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Filmkritik
Die unglaubliche Geschichte von Internet-Nobodys, die es 2021 für einige Monate mit den mächtigsten Wall-Street-Brokern aufnahmen, erinnert an Mythen wie von David gegen Goliath bis zu Robin Hood. Denn es ist höchst spannend zu beobachten, wie Außenseiter Mächtige zu Fall zu bringen. Doch bei der Modernisierung solcher Heldensagen gibt es einen Knackpunkt. Denn die Abenteuer von „Dumb Money“ spielen sich nicht mehr auf Ritterburgen oder Schlachtfeldern ab, sondern in Internetforen und in Excel-Tabellen. Das ist nicht gerade der Stoff, aus dem die Hollywood-Träume sind. Doch in einem Film über die Hartnäckigkeit der kleinen Leute könnte so eine solche Ausgangsposition vielleicht eine Herausforderung sein.
Das Kätzchen, das brüllte
Kurz bevor der Youtube-Blogger Keith Gill live geht, legt er sein rotes Stirnband an und sorgt dafür, dass sein Batik-Katzenshirt richtig sitzt. Dann gibt er als „Roaring Kitty“ Finanztipps für alle zum Besten, die sie hören wollen. Eine seiner Vorschläge lautet, in die Computerspiel-Kette „GameStop“ zu investieren. Wie vieles, was Gill von sich gibt, basiert dieser Einfall auf einer Mischung aus Fakten und Idealismus. Dass alsbald Abertausende in die „GameStop“-Aktien investieren, hätte niemand erwartet, am allerwenigsten Keith Gill. Rebellion liegt in der Luft: die Internetplattform Reddit vs. Wall Street.
Wer nicht versteht, wie ein Keith Gill es geschafft hat, eine solche Lawine loszutreten, muss sich nur eines seiner "Roaring Kitty"-YouTube-Videos anschauen. Alles an Gill scheint das pure Gegenteil von Wall Street zu sein: ein sympathischer, leicht skurriler Kerl, der trotz wütender Kommentare immer ein mildes Lächeln auf den Lippen hat. Einem Kumpel wie ihm vertraut man allemal mehr als einem schnöseligen Analysten.
Darsteller Paul Dano, der viele dieser Videos in „Dumb Money“ exakt nachstellt, schafft es, Gills Eigenschaften wunderbar in seine darstellerische Leistung zu integrieren. Sogar seine Körpersprache passt: Auch wenn Gill nicht auf der Laufbahn steht, scheint er doch immer ein wenig zu joggen. Das sieht etwas seltsam und unbeholfen aus, ist aber auch sympathisch und liebenswert. Hier ist einer, der sein eigenes Tempo vorgibt, obwohl es von anderen belächelt wird.
Wenn auf der anderen Seite des Internets die Top-Broker der Wall Street diesen Sonderling unterschätzen und sich darauf vorbereiten, sein ganzes Geld zu rauben, drückt man Gill umso fester die Daumen. Denn es fühlt sich unglaublich gut an, wenn der freundliche Typ im Katzenshirt die Kerle in den Armani-Anzügen um ihr Vermögen bringt.
The American Meme
In einigen Momenten kann der Film sein Versprechen einlösen und eine zeitgemäße Neuauflage einer klassischen Underdog-Story präsentieren. In diesen Augenblicken schafft es Regisseur Craig Gillespie, die Heldengeschichte aus dem digitalen Raum herauszuzerren und ihr durch ein einprägsames Ensemble ein Stück Menschlichkeit einzuhauchen. In einer gelungenen Montage postet Gill nach ersten Erfolgen ein neues Video und spricht darüber, was ihn persönlich die Pandemie gekostet hat. Während die unterschiedlichsten Menschen seinen Live-Stream verfolgen, schwebt die Kamera verträumt durch leere Orte, an denen normalerweise das Leben toben würde. Es kribbelt beim Zuschauen seltsam unter der Haut, denn obwohl es nur wenige Jahre her ist, scheinen die Tage von Homeoffice, Abstandsregeln und Masken wie aus einem anderen Leben. Intuitiv wird klar, worum es wirklich geht: Die Welt steht still, doch die Aktienkurse bewegen sich weiter und eine bunt zusammengewürfelte Gruppe sieht darin die letzte Chance, ihr aus den Fugen geratenes Leben wieder etwas unter Kontrolle zu bringen.
Allerdings verweilt der Film nicht bei diesen kleinen Momenten, sondern will die große Geschichte erzählen. „Dumb Money“ soll eine detaillierte Nachbildung des „GameStop“-Hypes sein, ein Zeitzeugnis der ersten Pandemie-Jahre, ein Stück über Gill und seine Familie, aber auch über ein Ensemble von Internetnutzern und Finanzschwergewichten, deren Wege sich normalerweise nur selten kreuzen. Statt auf den persönlichen Blickwinkel zu setzen, springt die Story durch die Welt, um alle Aspekte der Geschichte einzufangen, und setzt dabei auf wilde Montagen aus (häufig realen) Online-Videos, die im Schnelldurchlauf neue Entwicklungen skizzieren sollen. Für ein Publikum, das keine Vorkenntnisse besitzt, ist der Wall-Street-Talk häufig nur rudimentär nachzuvollziehen und wird zudem auch noch uninteressant vermittelt.
Kapitalismuskritik auf Kuschelkurs
Obwohl „Dumb Money“ unter seinen Vorgaben strauchelt, ist der ungebrochene Idealismus der digitalen Rebellen allerdings zu sympathisch, um in den entscheidenden Momenten doch zu berühren. Allerdings büßt der Film seinen zunächst entlarvenden Blick bald ein und verkauft sich weit unter Wert. Die Inszenierung zeichnet die Schattenseiten des Aktien-Hypes schmerzhaft weich. Statt unangenehmer Wahrheiten gibt es motivierende Botschaften. Kleine Siege werden hochgespielt, große Verluste mit Zahleneinblendungen wie nebenbei abgehandelt. Die finalen Texttafeln wecken fast den Eindruck, als habe der Trubel um die „GameStop“-Aktien endlich eine faire Finanzwelt geschaffen, in der alles mit rechten Dingen zugeht und jeder gleiche Chancen hat. Selbst wenn man sich bei dieser Aktion für den Rest seines Lebens ruiniert haben sollte, ist es doch toll, dass man dabei war. Nimm das, Wall Street! Etwas mehr Biss hätte diesem Kätzchen von Film durchaus gutgetan.