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Filmkritik
„Bald werde ich komplett im Nebel leben. Wozu das alles? Warum den Augenblick leben, wenn fünf Minuten später nichts mehr davon da ist?“ Diese Sätze hat der pensionierter Historiker Édouard Beauchemin (Rémy Girard) in sein kleines Notizheft geschrieben, in dem er alles festhält, was ihm wichtig ist, bevor er es wieder vergisst. Es ist ein Zeichen großen Vertrauens, als er es in einer schweren Stunde der jungen Bérénice (Karelle Tremblay) zu lesen gibt. In dieser Schlüsselszene bringt Regisseur Éric Tessier die tiefe Tragik des an Alzheimer erkrankten Mannes auf den Punkt, der damit hadert, dass er allmählich sein Gedächtnis verliert.
Von einem zum anderen
Während Édouard sich an den Stoff seiner Vorlesungen noch exakt erinnern kann, wird sein Kurzzeitgedächtnis immer schwächer. Als seine frustrierte Frau Madeleine (France Castel) ihn in die Obhut ihrer Tochter Isabelle (Julie Le Breton) gibt, um sich eine Auszeit zu nehmen, lehnt diese zunächst ab, weil sie als Reporterin gerade zu einer längeren Recherche aufbrechen will. Doch ihr Lebensgefährte Patrick (David Boutin) erklärt sich bereit, Édouard zu übernehmen. Als Patrick dann aber kurzfristig die Chance auf einen neuen Job bekommt, soll seine Tochter Bérénice einspringen. Die willigt auch ein, gegen Bezahlung auf Édouard aufzupassen. Wider Erwarten verstehen sich die beiden trotz der alles andere als guten Voraussetzungen, insbesondere nachdem der Ex-Professor ihr anvertraut hat, dass er eine weitere Tochter namens Nathalie hatte, die sich mit 19 Jahren das Leben nahm.
„Du wirst mich in Erinnerung behalten“ ist nach Vorgängern wie „An ihrer Seite“ ein weiterer kanadischer Film, der sich sehr ernsthaft mit dem Thema Alzheimer befasst. Regisseur Éric Tessier konnte dabei auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, da seinen Vater eine ähnliche Krankheit ereilte. Tessier nutzt das Setting, um die Fallhöhe des zur Eitelkeit neigenden Intellektuellen hervorzuheben, der zwar über ein enzyklopädisches Wissen verfügt und noch unlängst Vorträge zu komplexen historischen Themen gehalten hat, aber immer öfter seine Gesprächspartner fragt, wer sie sind.
Beeindruckend unprätentiös setzt sich die gemächliche Inszenierung, die dem Thema gelegentlich auch mit humoristischen Einlagen begegnet, mit geradezu philosophischen Fragen auseinander. Was macht die Identität eines Menschen aus? Ab wann beginnt ein dementer Mensch seine Identität zu verlieren? Wie gehen Familienangehörige damit um, wenn ein Alzheimer-Kranker sie nicht mehr erkennt? Es geht aber auch um existenzielle Themen wie Sterben, Selbsttötung und Erlösung, Egoismus und Barmherzigkeit. Der Film fragt zudem auch nach Geborgenheit und Liebe.
Schilfrohr im Wind
Die Herkunft des Stoffes vom Theater ist unüberhörbar; er fußt auf einem Stück des Dramatikers François Archambault. Als Gegengewicht zu den vielen dialoglastigen Innenraum-Szenen setzt die Inszenierung auf Landschaftsaufnahmen mit im Wind wiegendem Schilfrohr oder Momente in einem einsamen Park, den leise Vogelstimmen erfüllen. Rückblenden in die Anfangsjahre des Ehepaares, in denen Édouard und Madeleine frisch verliebt in einem sommerlichen Wald herumturteln, erscheinen dagegen ziemlich kitschig. Auch der Soundtrack tendiert ins Sentimentale.
„Du wirst mich in Erinnerung behalten“ lebt vor allem von soliden Schauspielerleistungen, allen voran Rémy Girard in der Rolle des Kranken, dessen Desorientierung mitsamt der Wut über die eigene Hilflosigkeit ebenso eindringlich dargestellt sind wie die Erleichterung und das Glücksgefühl über helle Momente oder die Verzweiflung, wenn Édouard sich seiner ausweglosen Situation bewusst wird.
Frappierende emotionale Intelligenz
In der jungen Karelle Tremblay hat Girard eine gleichrangige Partnerin an der Seite, die als Bérénice eine beachtliche Entwicklung von der blasierten Göre über die geduldige Aufpasserin bis zur einfühlsamen Seelenverwandten mit frappierender emotionaler Intelligenz durchläuft. Sie sorgt mit Girard für wunderbare Momente, wenn der Kranke Bérénice für seine verstorbene Tochter hält – und sie bereitwillig in diese Rolle schlüpft. In der packenden Schlussszene, in der die beiden auf einer Parkbank schweigend ihre Gedankenströme austauschen, läuft Tremblay zu echter Hochform auf.