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Filmkritik
Ein republikanischer Dildo reist Richtung Süden. Es ist nicht der einzige Kunstpenis, der in „Drive-Away Dolls“ prominent ins Bild gestellt wird, aber derjenige, um den sich hier alles dreht. Er soll nach Tallahassee in Florida gebracht werden. Ein heikler Transport, für den eigentlich zwei humorlose Schergen einer Verbrecherorganisation angeheuert wurden. Doch stattdessen tauchen Jamie (Margaret Qualley) und Marian (Geraldine Viswanathan) beim lokalen Autovermieter Curlie (Bill Camp) auf, bei dem sich der Wagen mit der Fracht befindet. Und es kommt, wie es kommen muss: Die zwei Frauen, die ein Auto für einen spontanen Trip nach Tallahasse brauchen, bekommen, ohne es zu wissen, just das Fahrzeug, in dessen Kofferraum sich die verfängliche Ladung befindet.
Nicht die kompromisslosen alten Republikaner sitzen in dem Film von Ethan Coen also am Steuer, sondern zwei lesbische Ausreißerinnen. Die haben es weder eilig noch eine Ahnung, was sie auf ihrer Reise anstellen wollen, geschweige denn, was sie eigentlich transportieren.
Ein Neuanfang muss her
Jamie und Marian sind in erster Linie zwei Freundinnen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den gleichen Weg einschlagen. Wo beide herkommen, ist bald klar. Während Marian bis unter den Hals zugeknöpft und entsprechend zaghaft nach Anschluss in der lokalen Lesbenbar sucht, präsentiert „21st Century Lesbian“ Jamie von der Bühne der Bar herab dem Publikum ungefragt ihre Brüste, findet damit den nächsten potenziellen One-Night-Stand und fährt gleichzeitig ihre Beziehung mit Polizistin Sukie (Beanie Feldstein) an die Wand. Für beide muss auf die eine oder andere Art ein Neuanfang her.
Die Vorstellungen davon gehen den Temperamenten entsprechend weit auseinander. Marian geht früh ins Bett und liest Henry James, Jamie schleppt Frauen für immer neue Sex-Eskapaden ab und nimmt ihre „allzu prüde“ Freundin auf Knutschpartys mit den Spielerinnen der lokalen Fußballmannschaft mit. Dann sind aber es aber doch bald Jamie und Marian, die sich näherkommen und Händchen halten, wenn es brenzlig wird.
Ihre Verfolger sind das Grand-Old-Party-Gegenstück zu dem Frauenduo. Sie verprügeln den Autovermieter, lassen sich von einer Polizistin verprügeln, verhören die Fußballspielerinnen und gehen einander an die Kehle, wenn es brenzlig wird.
Der Drive gibt die Musik vor
Es ist eine Kreisbewegung zweier entgegengesetzter Kräfte, die Regisseur Ethan Coen weniger rigoros angeht, als es in vielen Coen-Filmen sonst zu sehen ist. Was den fein konstruierten, ästhetisch aber ausartenden Roadtrip zusammenhält, ist das unverkennbare Gespür für Timing, das alle Coen-Arbeiten auszeichnet. Ethan Coen und Ehefrau Tricia Cooke, die nicht nur für die Montage zuständig ist, sondern auch als Co-Autorin auftritt, haben sichtlich Spaß daran, die absurden Figuren ihres bipolaren Amerika miteinander kollidieren zu lassen. Die unterschiedlichen Visionen der Vereinigten Staaten, das moderne und konservative, provinzielle und urbane, kriminelle und aufrechte oder das promiskuitive und puritanische Amerika verkeilen sich nicht in einen gegenseitigen Stillstand. Vielmehr beharken, betrügen, belügen und übertölpeln sie einander gegenseitig und sorgen damit ständig für neue Turbulenzen. Das passiert aber nicht auf der großen Bühne der diskursiven Ernsthaftigkeit, sondern in Knutschparty-Kellern und Lesbenbars am Straßenrand. Oder auch im Büro eines grantigen, maulfaulen Self-Made-Mannes wie Curlie (Bill Camp), der nicht viel mehr vorhat, als Autos zu vermieten, und dementsprechend weder mit den allzu distanzlosen Ladys per Du sein möchte, noch sich vom verbrecherischen Großkapital alles gefallen zu lassen, das seine Dienste für eine heikle Lieferung in Anspruch genommen hat.
Curlie ist der Prototyp des Bible-Belt-US-Amerikaners, der sich als Fels in der Brandung versteht, aber unweigerlich von den Kräften des verbrecherischen Großkapitals davongespült wird. Ziel der Übung ist allerdings nicht das Zementieren der Phrasen vom gespaltenen Land, sondern die Erkenntnis, dass das alles, wie man es auch dreht und wendet, verdammt komisch ist.
In Silikon gegossene Geschlechtsteile
Die ersten Solo-Regie von Ethan Coen frönt dem eigenen Genre-Spieltrieb, der auch immer der Spieltrieb eines Hochbegabten ist, der diesen Spieltrieb zwanghaft selbst reflektieren muss. Die Inszenierung wirkt dabei entwaffnend außer Rand und Band, jederzeit gewillt, den eigenen wahnwitzigen Ideen zu folgen. Psychedelische Zwischensequenzen, Wischblenden-Kitsch und die alles bestimmende Libido führen den Film immer wieder von den ausgetretenen Pfaden des Road Movies weg. „Drive-Away Dolls“ ist ein im besten Sinne dauererregter Film. Das bleibt nicht allein auf Margaret Qualley beschränkt, die als Jamie allen und jeder nachstellt. Das fröhlich-freie, sexualisierte Miteinander der Frauen bietet auch immer wieder eine Chance, neues Terrain, neue Witze und neue Absurditäten auszuprobieren – im Zweifel auch die in Silikon gegossenen Geschlechtsteile der politischen Opposition.