Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Die Liebe hat den 22-jährigen Moritz (Lorenz Hochhuth) nach Berlin gebracht. In der großen Stadt wirkt der Junge mit den wuscheligen Haaren und dem verträumten Blick ein bisschen brav und provinziell. Alles ist erstmal neu und aufregend: das Abhängen am See, die selbstbewusst offenen Menschen, die Vernissagen und warmen Sommernächte. Sobald er aber unter Leuten ist, sucht er etwas hilflos die Nähe zu seinem Freund Jonas (Gustav Schmidt), dem die Beziehung aber bald zu eng wird.
Der Debütfilm von Hannes Hirsch beginnt mit einem gebrochenen Herzen und einem Jungen, der nicht weiß, wo er hingehört. Wenig später fängt Moritz etwas mit dem Kinovorführer Noah (Cino Djavid) an, der mit seiner Schwester und ihrem Kind in einem gediegenen Umfeld lebt. Bei einem Spieleabend zwischen netten, aber eher biederen heterosexuellen Pärchen merkt man Moritz' suchendem Blick an, das er nicht hierher gehört.
Transformation mit offenem Ende
Für einen herkömmlichen Protagonisten wirkt er eigentlich zu ziellos und passiv. In der Gruppe nimmt er sich zurück, hört eher zu, als dass er selbst erzählt. Auch wenn er nicht mehr auf seinen Freund fixiert ist, sucht er stets Gesellschaft, um nicht allein zu sein. Etwas verändert sich schließlich in Moritz, was sich auch in seinem Äußeren niederschlägt. In einer Schlüsselszene posiert der sonst so schüchterne Junge mit freiem Oberkörper vor dem Spiegel, als würde ihm zum ersten Mal auffallen, welche erotische Wirkung er auf Andere haben kann.
Dann setzt „Drifter“ einen harten Schnitt, und Moritz hat sich verwandelt. Er ist muskulöser geworden, hat sich den Schädel rasiert, trägt Tattoos und eine dicke Panzerkette. Er wirkt nun kantiger und selbstbewusster. Als eine Freundin ihn nach längerer Zeit wieder sieht, stellt sie fest, dass er jetzt wie „ein richtiger Schwuler“ aussehe. Aber Moritz hat sich nicht selbst gefunden, sondern befindet sich nur auf einer weiteren Station seiner Reise.
Ein Hafen freiheitsliebender Gleichgesinnter
Hannes Hirsch ist weniger an einer dramaturgisch durchgeformten Erzählung als an genauen Beobachtungen interessiert. Statt auf Konflikte und Wendungen zuzusteuern, gibt er sich einem Fluss flüchtiger Momente hin: schweißtreibenden Techno-Partys, Drogen-Exzessen, Abhängen mit Freunden, die unangepasst sind und nicht selten irgendwas mit Kunst machen. Ein stärkendes Gemeinschaftsgefühl prägt dieses Leben ebenso wie eine körperliche Nähe, die nicht selten dem Rausch geschuldet ist. Prickelnde sexuelle Abenteuer erlebt Moritz genauso wie Melancholie und Einsamkeit. Der Blick des Films ist dabei weder moralisierend noch verklärt.
"Drifter" wirft einen romantischen, mitunter vielleicht auch etwas klischeehaften Blick auf Berlin, weil die Stadt hier ein Hafen freiheitsliebender Gleichgesinnter ist. Doch erst dieses lose soziale Gefüge schafft eine Atmosphäre, in der Moritz sich sicher fühlt und sich austesten kann. Zunächst leistet er etwas Widerstand, als ihn ein befreundeter Designer zu einem avantgardistischen Outfit überredet, das farbenfroher und femininer ist als seine Sportklamotten. Gleichzeitig beginnt er mit Stefan (Oscar Hoppe), der in ihn verliebt ist, ein sadomasochistisches Verhältnis. Moritz ist zunächst über die Brutalität, die in ihm schlummert, erschrocken. Erst als Stefan ihm versichert, dass ihm das gefällt, nimmt er sie mit einem erleichterten Lächeln an. Irritierend sind diese Grenzüberschreitungen für ihn nur, weil sie ungewohnt sind.
Offenheit als Grundprinzip
„Drifter“ erzählt von einem Jungen, der von seinem Umfeld lernt und zu neuen Erfahrungen gebracht wird. Oft spielen dabei Motive wie das Ringen mit der eigenen Identität, unterschiedliche Vorstellungen von Männlichkeit und ein Leben jenseits bürgerlicher Normen eine Rolle, jedoch ohne dass sie zu einseitigen Statements gerinnen. Hirsch hat einen Film gedreht, der Offenheit zum Grundprinzip erhebt und konsequent in der Schwebe bleibt. Moritz befindet sich auf einer Reise, bei der nicht das Ziel, sondern die Suche das eigentliche Ereignis ist.