- RegieKyle Davis
- Dauer63 Minuten
- Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Der in „Drei Winter“ mehrfach wiederkehrende Song von Haddaway stellt die Frage ganz offen: „What is Love?“ Noch bevor das Lied das erste Mal erklingt, hat der Film diese Frage gestellt. Was macht diesen Mann, den man lange nur als gewaltigen, von der Sonne tiefbraun gegerbten Rücken zu sehen bekommt, so liebenswert? Marco scheint es sich selbst zu fragen, als die angetraute Anna verführerisch allein in seine Richtung tanzt. Die Augen zittern vor Glück. Dann ist sie bei ihm, lässt sich auffangen. Er wird kurz darauf das Gleiche tun; mit der gleichen Ergriffenheit an sie geklammert auf der eigenen Hochzeit tanzen, das Tempo der Musik gänzlich ignorierend. Michèle Brand und Simon Wisler spielen dieses Liebespaar. Sie sind, wie alle Darsteller in „Drei Winter“ keine Schauspieler. Sie Laien zu nennen, wäre aber gleichermaßen falsch, dafür sind sie schlichtweg zu fantastisch.
Anpacken kann er
Regisseur Michael Koch ist nah dran, am Liebespaar wie an den Menschen, die mit ihnen in einem kleinen Dorf in den Schweizer Alpen leben. Er zeigt die Bräuche, den Zusammenhalt, das Verhärmte, das Misstrauen gegenüber demjenigen, was nicht vom Berg kommt. Marco stammt aus dem Flachland. Wortkarg ist er, gütig, auch wenn er häufig für sich bleibt. Anpacken kann er. Das reicht, um in der kleinen Dorfgemeinschaft akzeptiert und von Anna und ihrer Tochter Julia geliebt zu werden. Harte, körperliche Arbeit, unterbrochen von der Zeit zusammen: es ist ein einfaches Leben, in dem das Paar ganz aufgeht.
Wenn Marco einmal spricht, ist es mit eben dieser Einfachheit; direkt aus dem Innersten, mit einer Aufrichtigkeit, die zunächst rührend, später dann tragisch erscheint. Denn Marco ist krank. Er bekommt Kopfschmerzen, sieht auf einem Auge schlecht. Nach der Hochzeit wird er zudringlich. Nicht zärtlich wie zuvor auf den Wiesen der Berge, die eine schöne Metapher für diesen Film sind: mager gehalten und dadurch umso lebensreicher. Plötzlich nähert er sich ihr auf dem Kneipenklo, insistierend. Er weint viel, hat Angst zu sterben. Anna fängt ihn auf, bis eine Untersuchung schließlich die Ursache seines Wandels enthüllt. Ein Tumor, der auf den Sehnerv und das limbische System des Hirns drückt.
Nach der Operation wechselt die Perspektive. Anna ist nun diejenige, die sich an die Liebe klammert. Eine Liebe, die mit der Krankheit, dem körperlichen und geistigen Verfall Marcos einfach zu verschwinden droht. Die Gemeinschaft ist nicht missgünstig, aber es fällt leicht, einen Menschen aufzugeben. Marco kann nicht mehr anpacken. Bald kann er kaum noch etwas. Ein Zwischenfall mit der Tochter zerstört alles.
Die Frage nach der Liebe wird zum Paradoxon
Die Frage nach der Liebe wird zum philosophischen Paradoxon. Wie lange bleibt der Mann, der heimgekehrt ist, noch der Mann, der einst Marco war? Kann Anna an dem festhalten, was nach und nach aus dem erschlaffenden Körper Marcos zu verschwinden scheint? „Drei Winter“ weicht nicht zurück, gibt die Liebe als einzige Möglichkeit einer Kontinuität aus. Er macht „What is Love?“ von der Eurotrash-Hymne zur grausamen Schicksalsfrage. Anna stellt sich dieser Frage allein. Dass Gott sie beantworten könnte, glaubt sie nicht. Der so fest in der Gemeinde verankerte Glaube bringt ihr keine Erlösung. Vor dem Hilfeangebot des Pfarrers weicht sie zurück. Es gehe schon. Irgendwo zwischen Trotz und Mitgefühl lässt der Pfarrer sie ziehen – er werde für Marco beten. Das einzige aber, was der Himmel bringt, bleiben die Heuballen, die an einem Stahlseil durch den Nebel auf die Wiesen stürzen.
Der Luzerner Chor, der prominent in die Berglandschaft gestellt wird, um in kurzen Zwischenspielen vom Schicksal zu singen, macht das Schicksal dann endgültig zur griechischen Tragödie. Abseits dieser seltenen, allzu sehr vom Kunstwillen gedrängten Einschübe bewegt sich Koch mit beeindruckender Klarheit durch das Drama. Die Berge sind für die Kamera von Armin Dierolf kein festes ästhetisches Panorama, das wie eine Tapete über das Drama ausgerollt wird. Nach jeder Durchquerung des Tunnels, der das Alpenland mit dem Flachland verbindet, scheint sie einen neuen Blick auf die Berge und das Dorf freizugeben. Als Marco eines der Rinder zum Schlachter fahren muss – das Tier wird nicht mehr trächtig –, scheint die umliegende Flora mit dem Leben der von ihm geliebten Kuh zu erlöschen. Auf dem Rückweg ist das Grün blass geworden, Grau ist plötzlich ein dominanter Farbton.
Aus der Dunkelheit ans Licht
Es sind Szenen, die sich weder auf die Unschuld stützen, die immer mit dem Leben eines domestizierten Tiers assoziiert ist, noch auf die einfach hergestellte, immer brutale Authentizität, die eine Schlachtung repräsentiert. Marco verlässt einfach den Schlachthof, bleibt danach liegen, lässt das Auto in der Kurve ausrollen. Steht dort still, wo eben noch Leben leuchtete.
Es ist ein brutaler Stillstand, den der Film zumutet. Man will das Leben aus diesem bulligen Körper herausschütteln, es irgendwie erwecken und zusehen, wie es um diesen Körper kämpft, sich noch einmal aufbäumt. Doch Marco kehrt immer weniger zu sich, Anna und Julia zurück. Nur in kleinen Momenten ist er noch voll da und lenkt den Wagen aus der Dunkelheit des Bergtunnels wieder ins Licht. Mit einer Hand wischt er über das Lenkrad, umkurvt spielerisch die Serpentinen. Die Kamera klebt an dieser, in winzigen Bewegungen aufkeimenden Lebensfreude, rückt zugleich die gewaltige, Marcos Schädel hinablaufende Narbe in den Vordergrund. Lässig erwidert der den Gruß der Autofahrer, die er vorbeilässt, stimmt plötzlich laut und an der falschen Stelle in das Lied ihrer Hochzeitsfeier ein, das aus dem Radio plärrt. Einmal mehr: „What is Love“ – für die Dauer dieser Autofahrt, dieses perfekten, ins Alltägliche gerutschten Glückmoments – einmal ohne Fragezeichen.