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Filmkritik
Mit Blähungen ist das so eine Sache. Sie ereilen einen zumeist im unpassenden Augenblick und lassen sich, je nach Lautstärke oder Geruchsbildung, nur selten verheimlichen. Was Erwachsene in Verlegenheit bringt, macht Kindern großen Spaß – zumal das plötzliche Entweichen von Darmwinden zu den wenigen Verboten gehört, deren Übertretung keine Bestrafung nach sich zieht. Wahrscheinlich ist nur so der Erfolg von Jo Nesbøs gleichnamigem Kinderbuch zu erklären, in dem gepupst wird, dass sich die Balken biegen. Ein kleines Tabu wird in sein Gegenteil verkehrt und zur Freude junger Leser ins Unermessliche gesteigert. Und: Sigmund Freud wird mit seiner Theorie der analen Phase, einer frühkindlichen Entwicklungsstufe, in der das Gesäß als erogene Zone entdeckt wird, ad absurdum geführt. Bei „Doktor Proktors Pupspulver“ kann die Psychoanalyse nicht mehr helfen. Dafür ist die Geschichte einfach zu schräg, zu verrückt, zu fantastisch. Im Mittelpunkt: Lise, die mit ihren eigenwilligen Eltern in einem Vorort von Oslo lebt. Kurzentschlossen freundet sie sich mit dem etwas zu klein geratenen Rotschopf Bulle an, der mit seiner Familie gerade ins Haus gegenüber gezogen ist. Angelockt von einem großen Knall, schauen sie gemeinsam bei Doktor Proktor vorbei, der in seiner Villa die unmöglichsten Dinge erfindet, manchmal auch aus Versehen. Das Mittel, das gegen Haarausfall helfen sollte, erzeugt stattdessen Fürze ungeahnter Wucht. So wuchtig, dass Proktors Katze bereits wie von der Tarantel gestochen aus dem Fenster schoss. Funktioniert auch bei Menschen, wie Bulle bald feststellt, als er durch die Lüfte fliegt, einen dicken und überdies geruchsfreien Kondensstreifen hinter sich herziehend. Der Mensch als Rakete, angetrieben von einem Megafurz – das wäre doch ein tolle Sache für die NASA. Das ruft aber auch Neider auf den Plan. Der dicke Herr Thrane klaut mit seinen dummen Zwillingssöhnen die Formel für das Pupspulver, lässt Doktor Proktor verhaften und lädt eine Abgesandte der NASA und die Chefin des Patentamtes ein, um während des norwegischen Nationalfeiertages dem Publikum „seine“ Erfindung zu präsentieren. Das müssen Lise und Bulle selbstverständlich verhindern. Während die Illustrationen des Buches noch viele Ideen der Fantasie überließen, setzt die Realverfilmung des norwegischen Regisseurs Arild Fröhlich auf Eindeutigkeit. Mit perfekten computergenerierten Special Effects fliegen die Menschen wie selbstverständlich durch die Lüfte – was nach dem ersten Staunen über so viel visuellen Unsinn doch rasch ermüdet. Sehr viel schwerer wiegt allerdings, dass Fröhlich und sein Drehbuchautor Johan Bogaeus die Erwachsenenfiguren als übertriebene Karikaturen angelegt haben. So plant Lises Vater, ein überzeugter Patriot in Militäruniform, die Feier zum Nationalfeiertag mit großer Leidenschaft, während ihre kunterbunt gekleidete Mutter ungehemmt dem Putzfimmel frönt. Die Promiskuität von Bulles Mutter ist in einem Kinderfilm ebenso fehl am Platz wie der Waffenfetischismus von Herrn Thrane, der mit einer Panzerfaust auf seine Söhne schießt, um Schutzanzüge zu testen. Für Kinder bleiben ganz viele Fragen offen – zu beängstigend wird hier die Vorbild- und Schutzfunktion der Eltern torpediert. Irritierend auch die Überwachungstechnologie, mit der Thrane Doktor Proktor ausspäht, um dessen Ideen zu klauen. Diese Elemente aus Science-Fiction-Film und Spionagethriller nehmen dem Film viel von seinem frechen, mitunter lustvoll albernen Charme.