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Filmkritik
Eine zarte Frau mit leuchtend roten Haaren rast im Auto durch die Nacht. Ihr Name sei Joan, sagt sie, während sie direkt in die Kamera blickt und die vierte Wand durchbricht. Er sei weder Jeanne oder etwa John. Vor allem bedeutet „Joan Verra“ im Französischen auch: "Joan wird sehen".
Bereits in der ersten Szene setzt der französische Regisseur Laurent Larivière damit das Thema einer weiblichen Selbstergründung. Schon früh spannte sich das Leben der eleganten Pariser Verlegerin zwischen zwei Nationen auf. Ihre Mutter war Französin, der Vater kam aus Irland. So führte sie ihr Weg als junge Frau für eine Zeit als Au Pair nach Dublin. Dort erobert ein ebenso umtriebiger wie charmanter Taschendieb im Pub zur Musik der Boomtown Rats ihr Herz. Auf durchtanzte Nächte mit Doug (Éanna Hardwick) folgen gemeinsame Diebestouren, die jedoch bald im Gefängnis enden.
Selbstverwirklichung und Mutterschaft
Im Liebesrausch scheinen die Konsequenzen nebensächlich. Doch Joan wird schwanger. Entsetzt holen ihre Eltern sie nach Frankreich zurück; die Beziehung reißt ab. Abrupt verbindet sich auch die Rückblende mit der Pariser Gegenwart, in der die gealterte Joan (Isabelle Huppert) ihrer großen Liebe in einem Pariser Café wiederbegegnet. Es deutet sich an, dass Doug nichts von seiner Vaterschaft erfahren hat. Während er zufrieden wirkt, als er von seiner eigenen Familie erzählt, die er nach ihrer Liaison gegründet hat, überkommt Joan ein tiefer Schmerz im Rückblick auf ihr bisheriges Leben. Sie zieht sich in ihr Landhaus zurück und gibt sich den eigenen Gedanken hin. Erinnerungen und Fantasien gehen dabei fließend ineinander über. Obwohl Joan beruflich weit gekommen ist und große Verehrung genießt, scheint sie von einem Verlust gequält, den sie sich nicht eingestehen kann.
Der Film entwickelt um seine Protagonistin herum eine mäandernde Struktur aus melancholischen Rückblenden, in denen ein traumatischer Verlust von verschiedenen Erinnerungen überlagert ist. Die erste ist für Joan der Verlust der eigenen Mutter. Als ihre Schwangerschaft der adoleszenten Leichtigkeit ein Ende setzt, hofft sie, zuhause von den Eltern aufgefangen zu werden. Die Prioritäten ihrer Mutter liegen jedoch längst außerhalb der Familie, bei einer Affäre mit ihrem japanischen Karate-Lehrer. In einer ebenso originellen wie befremdlichen Szene erwacht in Joans Fantasie ein Hokusai-Gemälde zum Leben, auf dem ihre Mutter den Platz der berühmten Frau des Fischers einnimmt, die sich einem gigantischen Oktopus hingibt. Kurz darauf lässt sie ihre Tochter für immer zurück, um mit ihrem Geliebten nach Japan in ein neues Leben aufzubrechen.
Weibliches Schuldgefühl
Die Kränkung über die scheinbare Selbstsüchtigkeit der Mutter wiegt schwer. Joans Vertrauen ist auch in Bezug auf ihre eigene Rolle erschüttert. Sie will sich ihrem neugeborenen Sohn gegenüber anders verhalten, doch schon bald zeichnet sich eine tragische Wiederholung ab. Gedankenversunken und dem Kind gegenüber abwesend sucht Joan Selbstbestätigung in ihrer Karriere. Ein spezielles Verhältnis verbindet die erfolgreich agierende Verlegerin mit ihrem Enfant Terrible, dem deutschen Schriftsteller Tim Ardenne (Lars Eidinger).
Der um einiges jüngere Mann hat sich in eine obsessive Liebe zu Joan hineingesteigert, die sie sich nicht anzunehmen erlaubt. Immerhin spiegelt er mit seinen manisch-depressiven Stimmungen ihre eigenen destruktiven Impulse sich selbst gegenüber.
So reizvoll das Zusammentreffen von Isabelle Huppert und Lars Eidinger als filmisches Paar auch ist, lässt das eindimensionale Drehbuch vor allem seine Rolle zu einem Klischee werden. Eidinger überbrückt das mit seiner Performance, die zwar einen dramatischen Unterhaltungswert besitzt, aber kaum Einblick in die Figur bietet. Hupperts nonchalantes Spiel zeigt ebenso wenig neue Facetten, trägt den Film jedoch durch ihre bloße Präsenz.
Die Aufnahmen der erfahrenen Kamerafrau Céline Bozon schaffen dafür einen eindrucksvollen Rahmen. Sie taucht die verschiedenen Episoden, in denen Joan ihr Leben Revue passieren lässt, in atmosphärische, lichtdurchflutete Einstellungen. Mal sind die Farbtöne warm und versöhnlich, dann wieder von kühler Bitterkeit. Auch das Genre, in denen die Rückblenden erzählt werden schwankt zwischen beschwingtem Coming-of-Age in Irland und schwelgerischem Melodram auf dem französischen Landsitz. Dass die Protagonistin selbst Romane editiert, spiegelt sich in der filmischen Form. Die Verschiedenartigkeit der Episoden erklärt sich aus dem Versuch einer Selbsterzählung des eigenen Lebens. „Die Zeit, die wir teilen“ belebt Bruchstücke der Erinnerung durch die Kraft der Fiktion und bringt sie zur Anschauung. Das gelingt stellenweise mit assoziativer Leichtigkeit; oft bleiben die Passagen aus Joans Leben allerdings eher disparates Fragment.