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Filmkritik
Im Leben von Louis Wain (1860-1939) gab es zwei Konstanten: die Elektrizität und Katzen. Der elektrische Strom beflügelte zeitlebens seine Fantasie und seinen Erfindergeist; die Katzen machten sein Leben „happier and catier“, wie es in der englischen Originalfassung von „Die wundersame Welt des Louis Wain“ heißt. Wain war nicht nur ein Katzenhalter, sondern auch ein Katzenliebhaber und Katzenkenner. Oder aber, wie es seine Frau Emily formuliert, „der erste Mensch, der entdeckte, wie töricht, lustig, drollig, verschmust, faul, aber auch klug und lernbegierig Katzen sind“.
Wain hat Katzen à gogo gezeichnet und sie dabei oft vermenschlicht. Seine Skizzen und Bilder, Illustrationen, Karikaturen, Comics und Bücher zeigen die Stubentiger oft mit Accessoires wie Brille, Zigarre, Hut, Tasche oder Sportgeräten. Sie tragen nicht selten Kleider und sind in Szenen zu sehen, die den menschlichen Alltag spiegeln. Sie fahren Fahrrad, angeln, musizieren, spielen Karten. Sie schwitzen beim Kricket, erziehen ihren Nachwuchs, machen es sich zwischendurch gemütlich und faulenzen. Wain, heißt es in dem Film von Will Sharpe, habe Katzen salonfähig gemacht; dank ihm halte man sich nun sogar in der Oberschicht Katzen.
Ein impulsiver, auch mental labiler Sonderling
Louis Wain lebte in einer Zeit, in der vieles im Umbruch war. Spektakuläre Entdeckungen und technische Erfindungen veränderten den menschlichen Alltag und das Lebenstempo. Parallel dazu machte die Domestizierung der seit Urzeiten verehrten und mystifizierten Katze, bis dato aber vor allem als Mäusefängerin galt, in der westlichen Welt rasante Fortschritte. In den 1860er-Jahren fanden in England und den USA die ersten „Cat Shows“ statt. In den 1887 wurde in London der „National Cat Club“ gegründet. Legendär sind die Katzen-Ausstellungen im Crystal Palace in London, deren erste 1871 stattfand und von denen eine in „Das wundersame Welt des Louis Wain“ auch kurz gezeigt wird.
Der biografische Film beginnt und endet am gleichen Tag, dem der Beerdigung von Louis Wain. Im Off werden Nachrufe auf den als verschroben bekannten Künstler gelesen. Er stand in der Blüte seines Lebens und im Zenit seines Schaffens, war weithin bekannt und vielerorts engagiert. Vor allem seine frühen, oft humorvollen und lustigen Katzenbilder wurden geliebt. Seine späteren Jahre aber führte Wain, bedingt durch seine Exzentrik, ein impulsiv-chaotisches Leben mit zunehmender mentaler Instabilität, in Armut und in verschiedenen Anstalten.
Die Handlung setzt im Jahr 1881 ein. Louis Wain fährt im Zug von einer Landwirtschaftsmesse zurück nach London und skizziert aus der Erinnerung, was er gesehen hat. Vor allem Tiere, etwa einen wütend schnaubenden Stier, in dessen Box er gestiegen war, um ihn aus der Nähe zu sehen. Fasziniert von seinem schnellen und sicheren Strich spricht ein Mitreisender Wain an und bittet ihn um ein Porträt von seinem Schoßhündchen. Wain fertigt das Verlangte kurzerhand an und verschenkt es. Mit Geld konnte Wain zeitlebens nicht umgehen, was ihm auch zum Verhängnis wurde.
Er ist zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt und der Älteste von sechs Geschwistern. Sein Vater, der Tuchhändler William Matthew Wain, ist vor 18 Monaten gestorben, die Mutter mit der Situation überfordert. So obliegt es ihm, für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Das wäre an sich nicht schwierig. Denn Wain zeichnet linkshändig so flink wie rechts. Er hat einige Jahre an einer Londoner Kunstschule studiert und eine Weile auch als Lehrer gearbeitet. Als er die im Zug angefertigten Illustrationen William Ingram, dem Herausgeber der „The Illustrated London News“, vorlegt, bietet dieser ihm eine feste Stelle an.
Eine unstandesgemäße Ehe mit einer älteren Frau
Doch Wain hat anderes im Kopf. Er hat eine Oper geschrieben, möchte als Erfinder arbeiten und die Elektrizität einfangen. Erst als Caroline, seine mit dem Haushalt betraute Schwestern, für die drei jüngsten Geschwister eine Gouvernante anstellt und sich Wain prompt in die zehn Jahre ältere Emily Richardson verliebt, nimmt er Ingrams Angebot an. 1883 heiraten die beiden. Sie verlassen Wains Familie und ziehen in ein Häuschen in New Hampstead; ihre Beziehung ist in den Augen der Gesellschaft wegen des Altersunterschiedes, aber auch wegen des Standesgefälles ein Skandal.
Doch Louis und Emily geben nichts auf das Gerede der Leute. Sie nehmen eine zugelaufene Katze in ihren Haushalt auf und nennen sie Peter. Die gemütlichen Abende mit Emily und Peter am heimischen Kamin gehören zu Wains glücklichsten Erinnerungen. Doch das eheliche Glück währt nur kurz. 1884 erkrankt Emily an Brustkrebs und stirbt im Januar 1887. Diese drei Jahre, in denen Peter der ständige Begleiter von Emily ist und Louis die Katze in schlaflosen Stunden zu zeichnen beginnt, dürften der Ursprung seiner Katzen-Manie sein. Wain hat später nie wieder geheiratet; auch seine fünf Schwestern gingen ledig durchs Leben.
Der Film fokussiert im ersten Drittel stark auf die Beziehung von Louis und Emily. Die Erinnerung an diese kurze Phase trauter Zweisamkeit legt sich als beglückend-bedrückender Schatten über Wains weiteres Leben. Sie prägt bildlich auch den weiteren Film, der in groben Zügen und mit oft riesigen zeitlichen Sprüngen einige der wichtigsten Stationen und Ereignisse in Wains Leben benennt: Die Rückkehr zur Familie nach Emilys Tod, der Umzug in eine von Ingram zur Verfügung gestellte Villa, Wains Flucht nach New York, seine Rückkehr nach England drei Jahre später, kurz nach dem Tod der Mutter. 1913 stirbt Wains psychisch angeschlagene Schwester Marie, 1917 Caroline, welche die Familie seit dem Tod des Vaters zusammengehalten hat und auch Wains größte Stütze im Leben war.
Im Laufe der Jahre wird Wain immer launischer und unausgeglichener, sein labiler Gemütszustand entwickelt sich zunehmend instabiler, so dass die Schwestern im Zusammenleben mit ihm mehr und mehr überfordert sind. Mit der Diagnose „Schizophrenie“ landet Wain schließlich in einem Armenhaus.
Tableau-artige Bilder aus einer anderen Zeit
Will Sharpe erzählt in groben Zügen. Er orientiert sich dabei nicht an der beruflichen Karriere und den Erfolgen des Protagonisten, sondern an dessen Gemütszuständen und seiner psychischen Verfassung; die Inszenierung setzt dabei immer wieder auf die Nachempfindung von Wains künstlerischem Werk. Den Bildern haftet etwas Tableau-artiges an, das sie bisweilen wie Gemälde erscheinen lässt. Aber auch im Tonfall und der Wortwahl der Erzählung klingt das viktorianische England an, ebenfalls in der für heutige Ohren lieblichen Musik, die Arthur Sharpe komponiert hat.
Das wirkt, insbesondere gegen Ende, als Wains Katzenbilder immer abstrakter und psychedelischer und seine Ängste zunehmend heftiger werden, bisweilen etwas naiv, aber auch überhöht und manchmal nahe am Kitsch. In seinem inszenatorischen Gestus erinnert „Die wundersame Welt des Louis Wain“ an „Across the Universe“ von Julie Taymor oder „Hinter dem Horizont“ von Vincent Ward.
Sehenswert wird der Film durch den Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch. Der groß gewachsene Brite mit seiner unverkennbaren Physiognomie beweist bei seiner Rollenwahl seit jeher ein Flair für Käuze und Genies und verhilft ihnen in intensivem Spiel mit betörender Sensibilität zu einem eigenen Leben. Im Falle von Wain, der im heftigen Sturmregen mitunter Blitzen nachjagt und die Elektrizität in intensiven Gefühlsmomenten zwischen Menschen fließen sieht – und damit ein elektrisierendes Synonym für die Liebe geschaffen hat –, passt das außerordentlich.