Filmplakat von Die wandernde Erde

Die wandernde Erde

126 min | Drama, Science Fiction, Action
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Da der Erde eine Kollision mit Jupiter droht, suchen die Menschen nach einem neuen Stern. Nun liegt das Schicksal des Planeten in der Hand einiger unerwarteter Helden.

Filmkritik

Ein chinesischer Science-Fiction-Blockbuster nach einer Novelle von Liu Cixin: Die Sonne wird zum roten Riesen und droht die Welt zu verschlingen; riesige Raketentriebwerke sollen den Planeten mobilmachen und in Sicherheit bringen. Doch die Gravitationskräfte des Jupiter bringen das Mammutunternehmen in Gefahr.

In der tumben Megalomanie des modernen Blockbusters sterben oft selbst Tausendschaften beiläufig. Das apokalyptische Titanen-Kino kann so gewaltig werden, dass es Menschen kaum noch wahrnimmt – höchstens dann, wenn sie über sich hinauswachsen und Superhelden werden. Ob der Blockbuster aus den USA oder aus China stammt, ist dabei egal. Sie werden mittlerweile ohnehin für denselben Weltmarkt produziert und gleichen sich einander mehr und mehr an. Immer größere Filme thronen über immer kleineren Menschen.

Für den bislang größten finanziellen Erfolg in der Volksrepublik zeichnet die China Film Group Corporation verantwortlich, die zuletzt unter anderem kulturelle Hybridprodukte wie „Warcraft“ oder „The Great Wall“ hervorbrachte. Frant Gwos „Die wandernde Erde“ spielte in China annähernd 700 Millionen Dollar ein, erschien fast überall sonst allerdings direkt und ohne große Ankündigung bei dem Streamingdienst Netflix. Die Reaktionen auf den Film zeigen, dass eine chinesische Produktion von solchen Ausmaßen nie nur als reine Unterhaltung wahrgenommen wird, sondern immer auch als Einblick in die Seele einer Nation. Diese Lesart drängt sich geradezu auf: Auch auf dem kleinen Bildschirm handelt „Die wandernde Erde“ von der neuen Größe einer alten Macht.

„Weltbewegende“ Weltraum-Fantasy statt Science-Fiction

Die Menschheit muss Himmel und Erde in Bewegung setzen: Die Sonne stirbt und wird zum roten Riesen; sie droht die Welt zu verschlingen. Tausende von riesigen Raketentriebwerken sollen den Planeten in Sicherheit bringen, die Reisedauer soll 2500 Jahre betragen. Die Überreste der von Naturkatastrophen geplagten Menschheit sollen in unterirdischen Städten überleben. Doch die Wissenschaftler der Vereinigten Weltregierung haben die Gravitationskräfte des Jupiters unterschätzt. Die Zerstörung steht unmittelbar bevor – lediglich ein zusammengewürfeltes Team von ungleichen Helden kann das Unglück jetzt noch abwenden.

Von der wissenschaftlichen Komplexität der Vorlage – verfasst von Star-Autor Liu Cixin – bleibt nur wenig. Der physikalisch-technologische Prozess zerfällt in abstrakte Missionsziele. Natürlich wird rudimentär erklärt, was gerade zu tun ist, die nackte Plot-Mechanik wird pflichtschuldig hinter wissenschaftlichen Schlagwörtern versteckt. Fast spürt man das milde Lächeln von Arthur C. Clarke, wenn wieder einmal Technologie zu Magie wird.

„Die wandernde Erde“ ist Weltraum-Fantasy statt Science-Fiction. Wie in den Gemälden des sozialistischen Realismus verschmilzt die Vision einer perfekten Zukunft mit der imperfekten Gegenwart. Dann sitzt etwa der junge Liu Qi mit seinem Vater und seinem Großvater an einem Strand, ein letzter Überrest der sterbenden Erde, während neben ihnen eine in futuristischem Blau erstrahlende Stahlkonstruktion den Horizont verbaut. Wie der Medientheoretiker Lew Manowitsch über Spielbergs „Jurassic Park“ schrieb, sind solche Computereffekte gleichermaßen Teil einer längst vergangenen Zeit und Botschafter einer kommenden Zukunft. Jedes Bild von „Die wandernde Erde“ wirkt artifiziell, am Computer entsteht eine neue Welt in den Grenzen der vorhandenen. Wie in der Geschichte des Films eben: Die neue Heimat wird die alte sein, Ursprung und Zielort sind eins. Der titanische Traum, die Welt aus ihren Angeln zu heben, dem Universum selbst eine neue Form zu geben, wird Wirklichkeit.

Technologische Magie kennt eben keine Grenzen

Wachstum rettet die Welt. Die Turbinen der Wandernden Erde sind eine Projektion in die Zukunft – die Apotheose der widerstandslos in die Welt gebauten Großprojekte, die der Westen in China mit größtem Erschrecken bewundert. Wo Ozean in gewaltige Städte verwandelt und Zugstrecken und Autobahnen so lang wie ganze Länder erbaut werden, da ist eine wandernde Erde nur ein konsequenter nächster Schritt. Technologische Magie kennt eben keine Grenzen.

Im Kern des Films steht ein merkwürdiger Widerspruch. „Die wandernde Erde“ ist von einem unbeirrbaren Fortschrittsglauben beseelt. Kein Wort fällt so oft wie „Hoffnung“, eine so mantrisch wiederholte wie leere Parole – politisch gerade darin, dass sie so aufdringlich unpolitisch scheint. Ein kleinster gemeinsamer Nenner. Gleichzeitig konnte der Fortschritt die Erde im Ursprungszustand nicht retten. Der Film beginnt mit BBC-Nachrichtenbildern von verheerenden Umweltkatastrophen und Aufständen. Der Untergang bleibt nebulös, doch man versteht, was gemeint ist.

Der größte Ausnahmezustand der Menschheitsgeschichte

„Aktuelle Erschütterungen demokratischen Regierens in den USA, Großbritannien und vielen Ländern der EU werden als Beleg dafür angeführt, dass traditionelle westliche Demokratien den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen seien und zunehmend an Akzeptanz selbst in westlichen Gesellschaften verlören“, schätzen Politikwissenschaftler die heutige Haltung der chinesischen Regierung ein (siehe Artikel „Charakteristika des politischen Systems“). Was hier untergeht, ist die alte Weltordnung. Die sterbende Sonne, der später bekämpfte Jupiter – unweigerlich zerfallende Hegemonialmächte, blauweißrote Riesen. Gewiss, die kaum umrissene Weltregierung spricht französisch, doch handeln können und müssen immerzu die Chinesen. Der Ausnahmezustand dient oft dazu, unbeschränkte Herrschaft zu legitimieren, und was ist das Ende der Welt, wenn nicht der größte Ausnahmezustand der Menschheitsgeschichte?

Auch „Die wandernde Erde“ kann sich der postmodernen Logik des zeitgenössischen Massenkinos nicht verweigern. Eklektisch versammelt er Bilder und Symbole aus der jüngeren Kinogeschichte. Astronaut Liu Peiqiang (Wu Jing) kämpft parallel zur eigentlichen Handlung gegen eine Abwandlung von HAL 9000 aus Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Die Ereignisse auf der Erde erinnern an Filme von Roland Emmerich wie „Independence Day“ oder „2012“ – vor allem durch das große, aber blasse Ensemble aus kaum definierten Einzelfiguren. Das große Actionfinale gefällt sich in einer spektakulären Parallelmontage à la „Star Wars“, die die kollektive Anstrengung aus heroischen Einzelleistungen zusammensetzt. Jedes Bild will überwältigen und technisches Vermögen ausstellen. Jede Kamerabewegung ist erwartbar, die meisten sind unauffällig. Nur selten kommt es zur offenen kinematischen Machtdemonstration. Einmal wandert der Kamerablick – digital entfesselt – von der Erdoberfläche durch die Stratosphäre bis hin zu einer Raumstation im Orbit. So leicht, als schwenke man über einen Esstisch, von einem Menschen zum anderen.

Humanismus als künstlicher Geschmackverstärker

Der rührselige Humanismus des Films, ebenfalls aus dem US-Blockbuster übernommen, wirkt wie ein künstlicher Geschmacksverstärker. Die archetypischen Figuren werden meist vom Drehbuch durch die Welt gejagt, ohne dass ihre Empfindungen oder Erfahrungen von Bedeutung wären. Bis zum alles entscheidenden Moment – dem Heldentod. Eine Figur wird etwa unter den Trümmern eines einstürzenden Gebäudes begraben. Die Bilder seines Endes zwischen Stein und Eis bringen eine Rückblende auf sein Leben hervor, aus Chaos und Zerstörung erwächst ein Moment warm beleuchteter Familienidylle. Lachen und Liebe in Zeitlupe. So montiert gibt erst der Tod dem Leben Bedeutung, erst als Opfer ist der Mensch ein Mensch. Szenen wie diese gibt es viele, viel zu viele, als hätte man all die effekthascherischen Tode einer modernen Prestigeserie in zwei Stunden versammelt.

Also eigentlich alles genau wie in einem entsprechenden amerikanischen Blockbuster. „Die wandernde Erde“ ist nicht mehr oder weniger Propaganda, nicht mehr oder weniger dumm und hurra-patriotisch als seine westlichen Pendants. Die letzten 25 Minuten sind, auf einer rein affektiven Ebene, sogar irgendwie spannend und mitreißend. China wird in den nächsten Jahren unweigerlich (noch weiter) zum entscheidenden Kinomarkt werden; dieser Film ist in Teilen wohl sicher „The Shape of Things to Come“. Viele der lärmtauben Effektgewitter können dadurch wohl nicht noch schlechter werden, und natürlich liegt auch kein Wert in albernem Fatalismus. Doch wenn die Zukunft des (teuren) Kinos wie „Die wandernde Erde“ aussieht, dann besorgt man sich wohl doch besser einfach einen Logenplatz für das strahlende Feuer der verglühenden Sonne.

Erschienen auf filmdienst.deDie wandernde ErdeVon: Lucas Barwenczik (28.2.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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