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Filmkritik
„Die Unschärferelation der Liebe“ beginnt programmatisch. Ein Mann hört bei einer Busfahrt über Kopfhörer den schwungvollen Klassiker „Ungarischer Tanz Nr. 5“ von Johannes Brahms und sieht fortwährend Paare und andere Zweierkonstellationen: je zwei Müllmänner, Keulenschwinger, Tandemfahrer, Tauben, Nonnen, Windhunde, Turmspitzen oder zwei Menschen, die sich küssen. Seine selektive Wahrnehmung lässt vermuten, dass er sich seiner Einsamkeit bewusst ist.
Mit dieser geschmeidigen Montage setzt Regisseur Lars Kraume eine selbstbewusste Duftmarke; offensichtlich will er schon visuell mehr bieten als das blanke Abfilmen eines erfolgreichen Bühnenwerks. Das Theaterstück „Heisenberg“ von Simon Stephens erlebte 2016 am Düsseldorfer Schauspielhaus seine deutschsprachige Erstaufführung. In den Hauptrollen des boulevardesken Zwei-Personen-Stücks: Caroline Peters und Burghart Klaußner. Die erfolgreiche Premiere weckte das Interesse des Produzenten Stefan Arndt, der Kraume für eine Kinoversion begeisterte. Sieben Jahre später kommt das Stück mit den gleichen Darstellern nun in die Kinos.
Ein Kuss auf den Nacken
Burghart Klaußner gibt den Mann im Bus, der nicht lange allein bleibt. Denn auf der Heimfahrt prallt er mit Caroline Peters zusammen. Als die impulsive Schulsekretärin den 20 Jahre älteren Metzger spontan auf den Nacken küsst, ist der erstmal verwirrt. Zur Begründung sagt sie, dass sie ihn mit ihrem Mann verwechselt habe, der vor eineinhalb Jahren gestorben sei. Ihm ist die Begegnung sichtlich peinlich. Er versucht, mit U-Bahn und Bus das Weite zu suchen, doch die exaltierte Frau weicht nicht von seiner Seite und redet unaufhörlich auf ihn ein. Ungefragt erzählt sie ihm Episoden aus ihrem Leben und gibt sich erst als Taschendiebin, dann als Kellnerin aus. Wie sich zeigt, erfindet die Exzentrikerin gerne Geschichten. Wobei diese sich durchaus widersprechen. So erzählt sie einmal, dass sie keine Kinder habe, will dann aber ihren 19-jährigen Sohn Markus in den USA aufspüren, der nichts mehr von ihr wissen will.
So sehr sich der scheue Metzger zunächst gegen den femininen Temperamentsbolzen wehrt, kommt er gegen ihren Charme doch nicht an. Auch wenn sie den pedantisch organisierten Alltag des Junggesellen systematisch stört und ihn mit ihren offenherzigen Bekenntnissen irritiert, beginnt er sich doch in sie zu verlieben. Nach der ersten Liebesnacht überrumpelt sie ihn aber mit einer Frage, die darauf schließen lässt, dass die Begegnung an der Bushaltestelle kein Zufall war.
Das Glück lässt sich nicht planen
Der Titel des Films bezieht sich ähnlich wie der Titel des Theaterstücks auf die Heisenbergsche Unschärferelation. Diese Theorie aus der Quantenphysik besagt, dass jeweils zwei Messgrößen eines Teilchens - wie sein Ort und sein Impuls - nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind. Mit anderen Worten: Die Berechenbarkeit der Welt hat prinzipiell Grenzen, die unumstößlich sind. Auf die Liebe angewendet, heißt das, dass sich dabei nichts planen lässt und das Glück sich manchmal wider alle Wahrscheinlichkeiten einstellt.
Auf den ersten Blick wirkt die Ausgangskonstellation konstruiert. Der geradlinigen Inszenierung gelingt es jedoch rasch, den extrem unterschiedlichen Figuren Profil und Tiefe zu geben, da nach und nach ihre persönlichen Lebenslagen und seelischen Verletzungen sichtbar werden. Im hindernisreichen Prozess der Annäherung wird deutlich, dass Gegensätze sich so lange anziehen, bis sie sich passgenau ergänzen.
In ausgedehnten Einstellungen und mit ruhigem Erzählrhythmus hält die Inszenierung das emotionale Auf und Ab des Paars fest. Parallel dazu schleichen sich zunehmend melodramatische Töne in die anfänglichen Szenenfolgen im Stil einer klassischen Screwball-Comedy. Etwa wenn Greta ihre Sehnsucht nach ihrem verschollenen Sohn offenbart, die schließlich in eine Reise nach New York mündet.
Die beiden komplex strukturierten Hauptfiguren bieten den Darstellern viel Gelegenheit, ihre Kunst auf der Leinwand zu zelebrieren. Klaußner beschreibt in feinen Nuancen, wie ein verbitterter Einzelgänger allmählich auftaut und Einblicke in sein abgeschottetes Gefühlsleben gewährt; Petersen balanciert als exzentrischer Wirbelwind souverän zwischen Gemütszuständen und Stimmungslagen, mal witzig-traurig, dann wieder so nervend wie bezaubernd.
Plädoyer fürs Leben
Schon das Theaterstück schlug aus der Konfrontation der Gegensätze Funken und unterhielt mit überraschenden Wendungen und schlagfertigen Dialogen. Der mitunter etwas dialoglastige Film übernimmt diese Stärken und ergänzt sie mit einem guten Timing und einer erstklassigen Besetzung. „Die Unschärferelation der Liebe“ plädiert anschaulich dafür, erstarrte Rituale zu überdenken, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und auch einer späten Romanze eine Chance zu geben.