- RegiePaul Smaczny, Günter Atteln
- Dauer113 Minuten
- GenreDrama
- Cast
Vorstellungen
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Filmkritik
Unbeschadet von allen Affären im Erziehungswesen hat die auf Initiative des Markgrafen Dietrich von Meißen im Jahr 1212 gegründete Einrichtung zur geistlichen, geistigen und gesanglichen Erziehung neun- bis 18-jähriger Jungen ihre nunmehr 800 Jahre währende Geschichte überdauert. Wie sonst nur die noch traditionsreicheren Regensburger Domspatzen (gegründet 975) oder die im Vergleich fast schon „jungen“ Wiener Sängerknaben (1498) bilden die Thomaner und ihr knapp 100-köpfiger Chor die Spitze des weltlich/geistlichen Knabengesangs. Gründe gibt es für Paul Smaczny und Günter Atteln also genug, das spannende Leben und Lernen in Chor, Schule und Internat zu Leipzig einmal genauer zu betrachten. Ein Jahr zwischen Sommer 2010 und Sommer 2011 haben sich die Dokumentarfilmer in den ehrwürdigen Räumen des Alumnats umgesehen, mit den „kleinen“ und „großen“ Thomassern (so der interne Sprachgebrauch) eingehende Gespräche geführt und die nicht gelinden Neuerungen notiert, die sich im Vorfeld der 800-Jahr-Feier im Internat andeuten. Wer als Neunjähriger die Chance bekommt, nicht nur die öffentliche Thomasschule in der Leipziger Hillerstraße zu besuchen, sondern gar in den Stuben der ehrwürdigen Mauern des Internats ein Bett sein Eigen zu nennen, der gehört wahrhaftig zu den Auserwählten. Das strenge Gehör von Thomaskantor Georg Christoph Biller passieren nur Aspiranten mit guten Noten und einem ausgezeichneten Gespür für den Klang ihrer Stimme. Nur wer die richtigen Töne trifft und auch schon in diesen jungen Jahren sicher ist, die nächsten neun Jahre seiner Kindheit vollends dem Gesang widmen zu wollen, der darf eintreten. Angesichts des Aufnahme-Prozederes und der lateinischen Sprachfloskeln von Lehrern und „Oberern“ mutet es ein wenig an, als tauchten die Kinder fern von Eltern und Familie in eine Welt ein, die „Harry Potters“ Hogwarts nicht unähnlich ist. Doch trotz Kantorfamulus, Domestikus, Sammelultimus (und wie die Würdenträger im Internat auch sonst noch genannt werden): Die Realität im Internat ist eher trist. In den nüchternen Mehrbettstuben gibt der Einsteiger weitgehend sein Privatleben auf und verpflichtet sich, pro Woche eine Kantate zu lernen – eine Aufgabe, für die „normale“ Chöre mitunter Wochen des Studiums benötigen. Daher sind Essens- oder gar Freizeiten extrem begrenzt, zumal auch noch der Schulalltag in der Thomasschule mit Auszeichnung zu bewältigen ist. Doch die Kinder fügen sich ihrem Schicksal – oder besser ihrer Berufung, denn das Studium der bachschen Musikliteratur ist für jeden Sänger Herausforderung und Segnung zugleich. Das verhält sich spätestens seit 1723 so, als Johann Sebastian Bach persönlich die Stelle des Thomaskantors in Leipzig antrat und bis zu seinem Tod 1750 beibehielt. Mit Interpretationen seiner geistlichen Werke sind die Thomaner weltberühmt geworden, was den besten aller Jahrgänge mehrere Konzertreisen im Jahr einbringt. Doch auch das Budget eines bedeutenden Aushängeschilds deutscher Kultur wird immer schmaler, und so ist die Konkurrenz unter den Schülern groß, zu den 16 „Ersten“ zu gehören, die an jeder Reise teilnehmen dürfen. Trotz der erklecklichen Anzahl älterer und jüngere Thomasser, die die Regisseure befragen, um ein Gefühl von Freud und Leid hinter den Internatsmauern zu geben; trotz der harten Chorproben und der kargen Freizeitaktivitäten am Computer oder auf dem Fußballplatz; und trotz mancher Tränen und manchem Gelächter: Das große Ganze will sich in „Die Thomaner“ nicht eröffnen, und vielleicht reicht ein Jahr für eine Langzeit-Dokumentation einfach nicht aus. So mäandert der Film ein wenig beliebig zwischen den Wehen der Neuankömmlinge zu den (Des-)Illusionen der Abgänger, ohne dass man die Zeit bekommt, sich in die jeweilige emotionale Achterbahnfahrt der Protagonisten einzufinden. Im Vordergrund mag der Gedanke eines schlaglichtartigen „Films zum Jubiläum“ gestanden haben; denn interessante Phasen, etwa 40 Jahre Chorgesang unter totalitärer Führung in der DDR, werden ebenso außen vor gelassen wie die Hinterfragung einer umfassenden, die Familie weitgehend ausklammernden Spezialerziehung. Was passiert mit einem 18-Jährigen in einer Arbeitswelt ohne den musikalischen Kokon aus Kantaten, Messen und Oratorien? Als guter Schüler macht man überall Karriere, wie die Einblendungen vor dem Abspann weismachen wollen. Eine Karriere als Chorist bei den Thomanern jedenfalls ist nach dem Abitur passé. Die harte Außenwelt bleibt bei „Die Thomaner“ außen vor, und schon kommen neue „Einsteiger“, die die Tradition in Leipzig am Leben halten.