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Filmkritik
Der zweite Spielfilm der walisisch-ägyptischen Regisseurin Sally El Hosaini beruht auf wahren Ereignissen. Das Drehbuch, das sie zusammen mit Jack Thorne verfasste, fußt auf derAutobiografie der syrischen Schwimmerin Yusra Mardini. Darin schildert die Sportlerin die spektakuläre Geschichte ihrer Flucht zusammen mit ihrer Schwester nach Deutschland und ihre Aufnahme ins erste Team der Refugee Athletes bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016. Später wurde Yusra Mardini zur Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR berufen.
Der Film beginnt 2011 in Syrien. Yusras Familie hat in einem Vorort von Damaskus eine Geburtstagsüberraschungsparty vorbereitet. Während die Gäste feiern, verfolgt Yusras ältere Schwester Sara auf dem Laptop Berichte über Demonstrationen gegen den Machthaber Baschar al-Assad. Später verkündet ihr Vater Ezzat, dass er als erster Familienvater in die Geschichte eingehen möchte, dessen drei Töchter bei den Olympischen Sommerspielen als Schwimmerinnen an den Start gehen. Bisher treibt der ehemalige Profischwimmer nur Sara und Yusra zu Höchstleistungen an; die jüngste Schwester Shahed ist noch zu klein.
Eine Granate im Schwimmbecken
Vier Jahre später rückt der Bürgerkrieg immer näher. Die ersten Freundinnen von Sara kommen bei Bombenangriffen ums Leben. Als eine Granate in die Schwimmhalle stürzt, wo die Schwestern gerade trainierten, beschließt der Familienrat, dass die Schwestern über die Balkanroute nach Deutschland fliehen sollen. Da Yusra erst 17 Jahre alt ist, hoffen die Mardinis, dass sie Shahed und die anderen im Zuge einer Familienzusammenführung nachholen kann.
Auf der gefährlichen Reise werden die Schwestern von ihrem flippigen Cousin Nizar begleitet, der bisher am liebsten als DJ auf Partys auflegte. Mit einem Touristenvisum fliegen die drei über Beirut nach Istanbul. Ein Schlepper bringt sie an die Küste, wo sie mit anderen Migranten in ein klappriges Boot steigen. Als es unterwegs zu sinken droht, springen Sarah und Yusra über Bord und ziehen das Boot an die Küste von Lesbos. Hier beginnt eine hindernisreiche Odyssee, die das Trio über Serbien und Budapest bis nach Berlin führt. Im anonymen Aufnahmelager scheint der Traum von Olympia zunächst ausgeträumt, doch dann lernt die ehrgeizige Yusra den deutschen Schwimmtrainer Sven Spannekrebs kennen.
Partys, Flirts und sehr viel Sport
Die chronologisch erzählte Inszenierung weist eine klassische Drei-Akt-Struktur auf: Syrien, Flucht, Deutschland. Mit viel Fingerspitzengefühl schildert die Regisseurin das Leben durchschnittlicher Teenager in der syrischen Hauptstadt mit Familie, Musik, Partys, ersten Flirts und sehr viel Sport. Dabei wird deutlich, dass die Schwestern sich zwar nahestehen, aber verschiedene Charakterzüge haben, die sich in Rivalitäten und Zwistigkeiten äußern.
Die Flucht bringt die dramatischsten Szenen mit sich, vor allem die packende Schilderung der gefährlichen Ägäis-Überfahrt mit den selbstlosen Heldentaten der Schwestern. Der Deutschland-Abschnitt ist nach dem ersten Jubel bei der Ankunft von wachsender Frustration angesichts der bedrückenden Enge in der Unterkunft und der zähen Bürokratie geprägt, ehe die Aussicht auf eine Olympia-Teilnahme von Yusra für neuen Schwung sorgt.
Bei einer Laufzeit von 134 Minuten lassen sich einige Längen und Redundanzen nicht übersehen, sowohl auf der Flucht über den Balkan als auch beim endlosen Warten und den harten Trainingseinheiten in Berlin. Auf der anderen Seite stechen aber auch Verkürzungen und Auslassungen ins Auge: Wie schaffen die Schwestern den Sprung von Ungarn nach Deutschland? Und wo kommen die rettenden Busse plötzlich her? Die Schlusspassage in Rio de Janeiro ist zudem durch eine gewisse Vorhersehbarkeit geprägt, wobei der Film den dramatischen Bogen überspannt. Denn Yusra gewann dort keine Goldmedaille, sondern landete auf dem 41. Rang von 45.
Hang zu ikonischen Kompositionen
Für solche erzählerischen Schwächen entschädigen allerdings die Leistungen der libanesischen Schwestern Manal und Nathalie Issa, die sowohl tiefe emotionale Verbundenheit als auch die Widersprüche der komplexen Figuren anschaulich machen können. Matthias Schweighöfer wirkt hingegen in seiner eindimensionalen Rolle als sympathischer Helfer Sven unterfordert.
In ästhetischer Hinsicht fallen bei dem Migrations- und Sportdrama vor allem zwei Aspekte auf. El Hosaini und ihr Kameramann Christopher Ross, der vorwiegend aus der Hand filmt, besitzen ein ausgeprägtes Gespür für eine kraftvolle Bildgestaltung und ikonische Kompositionen. So prägt sich insbesondere eine Szene ins Gedächtnis ein, in der eine Granate ins Schwimmbecken fällt und vor der geschockten Yusra in Zeitlupe zu Boden sinkt, ohne zu explodieren. Bemerkenswert sind auch die achtlos weggeworfenen Schwimmwesten, als die Schwestern mit den anderen Geretteten die Insel Lesbos erklimmen. Doch als die Kamera langsam in die Totale aufzieht, wird ein Meer aus tausenden orangefarbenen Schwimmwesten sichtbar – die Spuren jener Migranten, die überlebt haben.
Auf eigene Faust
Die Regisseurin wird auch nicht müde, die Lebensfreude der Schwestern zu zeigen, die sich auch von den größten Hindernissen nicht aufhalten lassen. Dabei spielen auch gezielte musikalische Akzente eine große Rolle. So tanzen die impulsive Sara und die strebsame Yusra 2015 auf der Dachterrasse eines Nachtclubs in Damaskus in einem blauen Lichtgewitter ausgelassen zu dem Song „Titanium“ des französischen DJs David Guetta, während am nächtlichen Horizont Explosionen aufleuchten. Und als Yusra in Berlin nach dem langen Stillstand auf eigene Faust das Training wieder aufnimmt, lässt sie sich von dem Sia-Ohrwurm „Unstoppable“ antreiben.