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Filmkritik
Durch die tiefblauen Fluten des Ozeans gleitet ein Walfisch dahin. Sein immenser Körper treibt wie ein großes Schiff allein durch das Meer. Im Off ist die Stimme eines Mannes zu hören, der überlegt, wie er seinem künftigen Sohn das Leben erklären soll. Der Kampf um die Kontrolle auf verlorenem Posten, angesichts maritimer Stürme, erscheint ihm dabei als ein passendes Bild.
Kapitän Jakob Störr (Gijs Naber) fährt zur See und transportiert Güter auf Containerfrachtern. Passagiere sind nicht seine Sache, und selbst seine Crew beobachtet der stattliche Seemann lieber aus der Entfernung. Während die Matrosen tanzen, duschen oder sich in erotische Heftchen vertiefen, bleibt der Kapitän missmutig in seiner Kabine, rigide und allein mit seiner Existenz. Auch das Essen, das er sich vom Koch servieren lässt, sorgt für Verdauungsprobleme.
Ein Ringen um Hingabe
Dass Störr Schwierigkeiten hat, sich auf die Welt und das Leben einzulassen, versteht sein Kantinenchef auch in einem weiteren Sinne. Er rät ihm dazu, sich eine Frau zu suchen und zu heiraten. Wieder an Land, bei einem Treffen mit seinem Geschäftspartner Kodor, rutscht Störr der Gedanke daran als Scherz heraus. Lachend wettet er, dass er die erste Frau ehelichen wird, die durch die Tür des feinen französischen Restaurants kommt, in dem sie sitzen. Keiner der beiden glaubt ernsthaft daran, doch als die charismatische Lizzy (Léa Seydoux) auftaucht und sich allein an einen Tisch setzt, lässt sich der Kapitän zu einer Kurzschlussreaktion hinreißen. Ohne Umwege macht er der fremden Frau einen Heiratsantrag.
Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi adaptiert in „Die Geschichte meiner Frau“ einen Roman von Milán Füst, der bislang zu Unrecht wenig Beachtung gefunden hat, obwohl der Autor in den 1960er-Jahren für den Literaturnobelpreis nominiert war. Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte um den Kapitän, der sich spontan eine Frau erwählt, wie eine weitere zeitgenössische Kritik an den Geschlechterverhältnissen und ihren Machtdynamiken. Doch das greift viel zu kurz, wie schnell deutlich wird. Denn Lizzy ist keineswegs eine hilflose, unterwürfige Frau, und ihre Einwilligung in den spontanen Bund mit dem Kapitän hat vielschichtige Motive.
Schon beim gemeinsamen Strip-Pokerspiel in der ersten Nacht zeigt sie, wer die Hosen in der Beziehung anhat. In einer späteren Szene setzt sie sich lachend seine Kapitänsmütze auf. „Die Geschichte meiner Frau“ ist aber gerade deshalb so besonders, weil der Film die Beziehung zwischen Mann und Frau nicht nur als Machtkampf, sondern als gemeinsames Ringen um die Fähigkeit zur Hingabe erzählt. Denn erst die Aufgabe von Kontrolle und Allmachtsfantasien macht Beziehungen möglich. Damit schließt Enyedi an die Fragen aus ihrem poetischen Vorgängerfilm „Körper und Seele“ an: Wie kann man sich dem anderen öffnen und in dessen Nähe die eigene Vulnerabilität aushalten? Lässt sich die seelische Vereinzelung überwinden, um ein Leben miteinander zu teilen?
Überleben und Schreiben
In „Körper und Seele“ hat Enyedi dafür Szenen gefunden, in denen die Liebenden in einer gemeinsamen Traumwelt in Tiergestalt zueinander finden. „Die Geschichte meiner Frau“ ist weniger optimistisch und folgt dabei der melancholischen Vorlage, die auch einen politischen Hintergrund besitzt. Füst vollendete den Roman 1942 in Budapest. Als ungarischer Jude war er vom sozialen Leben ausgeschlossen und musste die Deportation fürchten. Die meisten seiner Schriftstellerkollegen waren längst ins Exil geflohen. Sein Protagonist, den er an die Figur des Fliegenden Holländers angelehnt hat, sehnt sich nach Verbindungen zur Außenwelt und ist doch zu misstrauisch, um sich auf einen Menschen einlassen zu können.
Vor diesem Hintergrund erscheint die chronische Eifersucht des Kapitäns in einem anderen Licht. In sieben Kapiteln muss Störr mit dem Kontrollverlust als Preis der Liebe umgehen. Lizzy, die von seinem Geld lebt und ganz zufrieden damit ist, dass er monatelang zur See fährt, genießt derweil das Leben in mondänen Pariser Salons. Ein hartnäckiger attraktiver Verehrer (Louis Garrel) macht den Kapitän zunehmend nervös. Aus Angst davor, von Lizzy betrogen zu werden, verlegt er schließlich sogar die gemeinsame Wohnung nach Hamburg. Doch auch wenn seine anhaltende Paranoia noch so schmerzhaft ist, zwingt ihn seine Frau durch ihre Lebendigkeit, sich den Unwägbarkeiten des Lebens zu stellen, Schwäche zu zeigen und Ohnmacht zuzulassen.
Ambivalenz der Sehnsucht
Fokussiert auf die Dialoge verfolgt das Drama in hauptsächlich kammerspielartigen Szenen die Entwicklung der beiden Protagonisten, ihre Katz-und-Maus-Spiele und ihre Angst, sich aufeinander einzulassen. Atmosphärisch besonders gelungen sind dabei die Passagen, die in der Hamburger Speicherstadt gedreht und in herbstlich-goldenes Licht getaucht sind.
Fast drei Stunden dauern Enyedis Szenen einer Ehe. Es braucht durchaus eine Bereitschaft zur Hingabe und ein Interesse an psychologischen Dynamiken, um dem Film mit Begeisterung zu folgen. Dafür wird man dann aber mit einer Geschichte voller analytischer Kraft belohnt, die alle Klischees hinter sich lässt und mit großer Sensibilität den Ambivalenzen von Hingabewunsch und Kontrollzwang, Begehren und Machtlosigkeit nachgeht.