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Filmkritik
In der Serie „Und draußen die Nacht“ von Marco Bellocchio spielen Fabrizio Gifuni den italienischen Politiker Aldo Moro und Fausto Russo Alesi dessen Parteifreund Cossiga. Nun stehen sie sich in „Die Bologna-Entführung“ Mitte des 19. Jahrhunderts als katholischer Inquisitor Pier Gaetano Feletti und jüdischer Familienvater Momolo Mortara unversöhnlich gegenüber. Denn der Dominikanerpater Feletti ordnet im Auftrag der Katholischen Kirche die Entführung von Mortaras knapp 7-jährigem Sohn Edgardo an – ein realer Fall. Edgardo sei als Baby heimlich getauft worden, so wurde es der Inquisition zugetragen. Und eine Taufe könne nicht rückgängig gemacht werden: Christ sei man „für immer!“.
Ein christlich verbriefter Kinderraub
Da aber nach dem damals gültigen Kirchenstaatsrecht – Bologna gehörte zum Herrschaftsgebiet des „Papstkönigs“ Pius IX. – getaufte Kinder nicht von Juden erzogen werden durften, holte man Edgardo 1858 aus seinem Elternhaus und brachte ihn in einem sogenannten Katechumenenhaus in Rom unter. Dort sollte er gemeinsam mit anderen Kindern aus jüdischen Ghettos und verarmten Familien ins Christentum eingeführt werden.
Die Eltern Mortara rebellierten heftig, wandten sich an die liberale Presse und erreichten Interventionen Frankreichs, Großbritanniens und Österreichs beim Heiligen Stuhl – alles vergeblich. Allerdings bot der Fall emotionalen Zunder für die progressiven Kräfte, die eine Trennung von Staat und Kirche forderten, und auch für die Nationalstaatsbewegung des „Risorgimento“.
Am Ende des Films stehen sich der älteste Mortara-Sohn als Soldat der italienischen Truppen und der zum jungen Mann herangewachsene Edgardo gegenüber. Edgardo könnte endlich frei sein, doch er entscheidet sich für Christentum und Papst, gegen Herkunft und Familie. Die Katholische Kirche hat, könnte man zynisch konstatieren, an Edgardo Mortara ganze Arbeit geleistet.
Bilder des katholischen Prunks
Es ist eine ungeheuerliche Geschichte, die Bellocchio hier erzählt, von einem Kirchensystem, das es mit seinem Regelwerk geradezu darauf anzulegen scheint, die Menschen ins Unglück zu stürzen. Denn das christliche Dienstmädchen der Mortaras ist davon überzeugt, sich selbst der Todsünde schuldig zu machen, wenn sie auf eine Nottaufe des ihr anvertrauten jüdischen Babys verzichten würde. Wie menschenfeindlich solche Vorstellungen sind, ist aus heutiger Perspektive offensichtlich; um das zu zeigen, müsste man keinen Film drehen.
Was also ist Bellocchios Frage an den Stoff, warum erzählt er diese Story? Hoffentlich nicht nur, um ausführlich in Bildern katholischen Prunks zu schwelgen – dass dies dem Filmemacher gefällt, ist zumindest nicht zu übersehen. Das historische Drama bietet eine reiche, atmosphärisch packende Bebilderung, die in Ausstattung, Kostüm und Kamera sehr gelungen ist – aber keine inhaltliche Durchdringung des Falls. Die Inszenierung spielt viele Aspekte und Konflikte an, vertieft sie aber nicht. Weder werden spirituelle Fragen noch religiöse Konflikte analysiert, und auch in die Psychologie der Figuren vertieft sich Bellocchio kaum.
Insbesondere zu Edgardo scheint ihm nicht viel einzufallen, außer einer filmisch schön erzählten Verbundenheit, die Edgardo zur Figur des Jesus entwickelt. Nach anfänglicher Verzweiflung erkennt der kleine Junge, dass es der klügere Weg ist, nicht aufzubegehren, sondern sich anzupassen. Womit seine Figur gewissermaßen „auserzählt“ zu sein scheint; fortan tritt er nur noch als frommer Christ und seltsam opake, hermetische Figur in Erscheinung.
Äußerlich und konventionell
In „Und draußen die Nacht“ hat Bellocchio wie zuvor schon in „Il traditore“ gezeigt, dass er Historisches atmosphärisch verdichtet und mit aktuellen Fragestellungen erzählen kann und zugleich tief in die Psyche seiner Protagonisten und deren Beziehungen einzutauchen vermag. Das funktioniert in der „Bologna-Entführung“ eher weniger. Der Film erscheint ziemlich äußerlich und konventionell, sieht man von gelegentlichen Einfällen wie etwa Zeitungskarikaturen des „Entführer-Papstes“ ab, die vor den Augen von Pius IX. zu laufen beginnen, oder auch seine ins Bild gesetzten Visionen und Träume.
Entsprechend sind viele Parallelmontagen zu sehen, zwischen katholischem Zeremoniell und jüdischen Ritualen. Bellocchio bemüht sich um ein vielleicht allzu ausgewogenes Bild zwischen den Bekenntnissen; er zeigt auch das Judentum als patriarchale Religion und charakterisiert deren Vertreter als Machtmenschen, die Edgardo ihrerseits für ihre Sache zu instrumentalisieren versuchen. Zwar ist die Täter-Opfer-Konstellation eindeutig, aber womöglich auch nur deshalb, weil die Machtverhältnisse im Kirchenstaat Mitte des 19. Jahrhunderts eben genauso sind.
Aus den beiden Religionen heraus wird die Geschichte jedenfalls nicht erzählt; Judentum wie katholisches Christentum bleiben hier beide vage und wirken fast wie Folklore. Die traurige, nuancenreiche Geschichte von Edgardo Mortara und seiner Familie weist hier kaum über die filmische Erzählung hinaus.