- RegieRobert Bramkamp, Susanne Weirich
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2023
- Dauer99 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 6
Vorstellungen
Filmkritik
Der französische Filmkritiker Serge Daney hat einmal zwei Formen der Filmgeschichte unterschieden: Einmal die Geschichte der leistungsfähigen Körper (der Schauspieler:innen und ihrer Rollen, des Sports, der Pornografie). Zum anderen die Geschichte dessen, was sich „zwischen“ diesen Körpern abspielt (der „Sprache“ des Kinos, der Mise-en-scène, der Montage). Mit dem semi-fiktionalen Dokumentarfilm „Die Ausstattung der Welt“ scheinen Susanne Weirich und Robert Bramkamp diesen beiden Filmgeschichten noch eine dritte hinzuzufügen: eine Geschichte der Gegenstände, der dekorativen Objekte und Requisiten, die in den Filmen auftauchen und ansonsten in großen Lagern verwahrt werden.
Die Welt im Regal
Gedreht wurde in verschiedenen Fundi in Deutschland, unter anderem im Requisitendepot des Filmstudio Babelsberg. Hier ist schlechterdings alles vorhanden, was man sich vorstellen kann, in allen möglichen Variationen. Es gibt künstliches Sushi und echte Feuerrösser. Es gibt Standarten aus vergangenen Jahrhunderten und DDR-Telefone. Es gibt Bestecksammlungen, Uhrenkollektionen, ganze Regalsysteme und Bilder für die Wände.
Mitarbeiter:innen führen durch die Bestände, die sie verwalten, ordnen, kuratieren. Der Einsatz der einen oder anderen Objekte wird durch Einspieler belegt, meistens aus kleineren Fernsehproduktionen wie Vorabend-Krimiserien, aber auch aus Kinofilmen wie „Spencer“ oder Fassbinders „Welt am Draht“. In diesen Momenten korrespondieren die Objekte für einen kurzen Moment mit den Filmen, in denen sie auftauchen, während gegen Schluss die Telefonsammlung in einer etwas albernen Spielszene dazu dient, eine wahre „Kommunikation“ herzustellen: durch Telefonanrufe aus der ausgestatteten Welt (der Filme) zurück in die Welt der Ausstattung (das Depot) erzählen die Dinge ihre Geschichte(n) und fragen sich, welche Zeit gerade ist; eine Zeit, die im Inneren des Depots wie angehalten scheint.
Von einer „Verlängerung der Lebensdauer“ von Gebrauchsgegenständen ist einmal die Rede, und davon, dass „die Dinge was können müssen“. Es ist das nackte Vermögen der Dinge, etwas zu bedeuten und gebraucht zu werden, das sie jenseits der Leinwand und Bildschirme im Fundus überleben lässt, wo ihnen ein Dasein in ewiger Passivität beschieden ist; wirklich benutzt werden viele von ihnen vermutlich nie (wieder).
Eine Geschichte des Stillstands
Filmgeschichte, wie sie sich in dieser Welt der Ausstattung offenbart, ist die Negation der ausgestatteten, bewegten Welt der Filme. Sie ist eine Geschichte des Stillstands. Daher all die Spiele mit Stop-Motion, mit dem Fort-Da von Objekten, die durch die Montage wie von Zauberhand im Raum bewegt werden, als würden sie hin- und herspringen, ohne ihre profunde Immobilität je abgestreift zu haben.
Es stellt sich aber die Frage, was Weirich & Bramkamp mit all den stummen und stillen Gegenständen anfangen, die sie mit der Kamera in immer neuen Kombinationen filmen und mit der Montage in immer neue Konstellationen verrücken können. Zum einen evozieren sie auf diese Weise verschiedene Allegorien für diese Welt der Requisiten. Der Fundus, der im Film fast nie verlassen wird, ähnelt mal einem geschlossenen Aquarium (ein roter Spielzeugfisch fährt über den Boden), mal einer barocken Wunderkammer (die Begleitmusik stammt von Georg Friedrich Händel), mal einem modernen Museum (bei den Erkundungen in den Gemäldesammlungen der Depots, in denen sich auch Repliken alter Meisterwerke finden). Er ähnelt auch dem berühmten „Operationstisch“ von Michel Foucault aus dessen „Ordnung der Dinge“, auf dem der Regenschirm auf die Nähmaschine treffen kann. Der Fundus ist der Ort einer Heterotopie, an dem sich die Filmgeschichte anhand der aus den Filmen herausgefallenen Gegenstände neu sammelt und wo eine seltsame Ordnung in sie einkehrt (eine Ordnung nach Dingen, Themen, historischen Epochen und so weiter); sie ist aber auch ein Ort wilder und zufälliger Begegnungen zwischen an sich weit voneinander entfernten Dingen, die jede Ordnung immer auch in Frage stellen.
Das Problem der Ordnung
Vor allem aber ähnelt der Fundus dem Film von Weirich und Bramkamp selbst, der die Dinge ebenso sammelt wie der Fundus und dessen Probleme er teilt – allen voran das Problem der Ordnung: die Ordnung der Bilder, der Einstellungen durch die Montage; die Ordnung der Gegenstände in den Bildern; die Ordnung der einzelnen Kategorien, mit denen sie im Fundus konfrontiert werden; aber auch die Frage, ob diese Kategorien überhaupt die richtigen sind. Und das, weil sich zu jedem beliebigen Einzelgegenstand im Lager wie im Film eine eigene Geschichte erzählen ließe; jedes neu erworbene Objekt kann eine neue Sammlung um sich herum entstehen lassen und neue Kategorien begründen. Zum anderen gibt es historisch-politische Gründe, die alten Konzepte und Namen oder die Inhalte bestimmter Sammlungen in Frage zu stellen. Etwa mit Bezug auf genderspezifische Zuschreibungen (ein Bild wird „Schokoladenmädchen“ genannt und später in „Der Wiener Stubenmensch“ umgetauft), insbesondere aber bei Objekten in den „afrikanischen Sammlungen“. Hier ist der Rassismusverdacht allgegenwärtig oder zumindest der Verdacht der Fetischisierung und Exotisierung eines ganzen Kontinents, in Form von Masken, Skulpturen und bildlichen Darstellungen teils unklarer Provenienz, verloren im Niemandsland zwischen Originalität und Ethnokitsch.
Um auf die Fiktionalisierung aller Kategorien, vor allem der rassistischen, hinzuweisen, schmuggeln Weirich & Bramkamp eine fiktionale Figur in die Depots: eine Doktorandin der „Postkolonialen Studien“, gespielt von der deutschen, in Ghana geborenen Schauspielerin und BIPoC-Aktivistin Thelma Buabeng. Die hat zu den problematischen Objekten, die sich hier tummeln, einiges zu sagen und tut dies mit pointiertem Humor und rhetorischer Schärfe, ohne dabei die Depots selbst anzugreifen, stellen diese doch nur zur Verfügung, was außerhalb von ihnen benötigt wird. Dennoch können Eingriffe nicht schaden. Im Zentrum von Buabengs Bemühungen steht das miniaturisierte Bild einer schwarzen Frau inmitten einer Gemäldesammlung, die gefühlt nur Darstellungen weißer Personen im Großformat umfasst. Dieses Porträt wird von der Doktorandin und einer Mitarbeiterin vergrößert, mit einem neuen Rahmen versehen und in die Gemäldesammlung neu eingegliedert, wo es nun, den anderen ebenbürtig, nicht nur seinen Platz beansprucht, sondern auch auf den Mangel an Diversität aufmerksam macht, der bei aller Vielfalt der Objekte hier dennoch regiert.
Das Bild der schwarzen Frau
Die postkoloniale/dekoloniale Thematik ist dabei aber auch ein Trick, der die Ordnung nicht nur kritisiert, sondern sie auf anderer Ebene wiederherstellt. Die Fokussierung auf „afrikanische“ Objekte, die sich ebenso aufdrängt wie eine notwendige „Dekolonialisierung“ der Sammlungen, mag mit Bezug auf künftiges Filmschaffen wichtig und zeitgemäß sein. Doch sie legitimiert den Film auch insofern, als dass sie diesem inmitten der Verführungen des Fundus eine Struktur verleiht. Gerade gegen Ende wirken die Bildfolgen etwas fahrig und ziellos. Die Vergrößerung des Gemäldes der schwarzen Frau entspricht einer moralischen (und daher nicht wirklich überzeugenden) Unterbrechung der weiteren Verkettbarkeit der Objekte durch Weirich & Bramkamp – einem letzten Wort, einem Schlussstrich, dem Ende des Films, das den weiteren Ausschweifungen der Montage Einhalt gebietet. Die Figur auf dem Bild ist nicht nur ein Objekt wie alle anderen. Dank ihr ist die Sammlung etwas gerechter und „richtiger“ geworden – und der Streifzug durch die Archive nicht ganz umsonst gewesen.