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Filmkritik
Frauen reden. Was beiläufig und alltäglich klingt und eigentlich gar nicht der Rede wert ist (der deutsche Titel „Die Aussprache“ setzt eine etwas andere Gewichtung als das Original „Women Talking“), beschreibt eine außergewöhnliche Situation, fast so etwas wie einen Systemfehler. Eine Gruppe von Frauen aus einer mennonitischen Gemeinschaft kommt auf einem Heuboden zum Gespräch zusammen. Das Sprechen ist in der patriarchalen Ordnung, in die sie eingefasst sind, für sie nicht vorgesehen, ebenso wenig wie das Treffen in der Gemeinschaft anderer Frauen. Nun aber ist es eine Notwendigkeit. Es geht um nichts weniger als um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Töchter, um den Schutz ihrer misshandelten Körper und Seelen.
Nichts tun, kämpfen oder gehen
Nach einer Reihe von sexuellen Übergriffen durch männliche Gemeindemitglieder – die meisten Väter, Ehemänner, Brüder und Nachbarn sind währenddessen unterwegs, um die angeklagten Täter auf Kaution aus dem Gefängnis zu holen – erwägen die Opfer drei Möglichkeiten: nichts tun, bleiben und kämpfen oder die Kolonie zu verlassen. Ein Gespräch beginnt. Doch wie sprechen, wenn man weder Lesen noch Schreiben gelernt hat? Oder wenn man, wie es im Voiceover einmal heißt, keine Sprache besitzt, um intime Dinge in Worte zu fassen?
„Die Aussprache“ basiert auf einem Roman von Miriam Toews, der von tatsächlichen Ereignissen angeregt ist, die sich in einer mennonitischen Kolonie in Bolivien zwischen 2005 und 2009 zugetragen haben. Über Monate sollen sich mehrere männliche Mitglieder in die Schlafräume der Frauen geschlichen, sie mit Narkosemitteln für das Vieh betäubt und vergewaltigt haben. Erst als eine der Betroffenen vorzeitig aus ihrer Betäubung erwachte und die Gemeinde alarmierte, kam der Fall an die Öffentlichkeit.
Traumatisch für die Opfer war neben der erlittenen Gewalt, dass man ihnen innerhalb der Gruppe nicht glaubte – ein Umstand, der bei Fällen sexueller Gewalt systemimmanent scheint. Ihre Geschichten seien ein Produkt „weiblicher Einbildungskraft“, hieß es.
Die Autorin Miriam Toews, selbst mennonitischer Herkunft und in „Stellet Licht“ (2007) von Carlos Reygadas eine der Hauptdarstellerinnen, wendet den diffamierend gemeinten Ausdruck in der Fiktionalisierung der Ereignisse ins Emanzipatorische und erklärt ihn zu einem Akt weiblicher Selbstermächtigung.
Noch nie eine Landkarte betrachtet
In der Verfilmung des Buches durch Sarah Polley bleiben Schauplatz und Zeit unbestimmt. Die einzige zeitliche Markierung ist der 1960er-Jahre-Song „Daydream Believer“ von den Monkees; er schallt einmal aus einem vorbeifahrenden Pickup und verortet das Geschehen zumindest nicht allzu weit von der Gegenwart. Diese Unbestimmtheit entspricht dem Wissensstand der Frauen. Von der Welt haben sie noch nie etwas gesehen. Auch haben sie keine Ahnung, in welchem größeren Ganzen sie sich überhaupt befinden. Was das Fortgehen erst recht schwer macht, haben sie doch noch nie in ihrem Leben eine Landkarte in der Hand gehabt.
„Wir werden nicht nichts tun.“ So viel zumindest steht schon nach kurzer Zeit fest. Zwischen den beiden Möglichkeiten bleiben oder gehen (ein Wortwechsel kreist um die Differenz von gehen und fliehen) kommt es in Anwesenheit eines sanften Protokollanten – der einzige Mann in der Runde ist Lehrer und das Kind einer vor vielen Jahren aus der Gemeinde verstoßenen Mutter – zu einem zuweilen heftigen Austausch von Argumenten. Einige Frauen fürchten, dass ihnen der Zutritt zum Himmelreich verwehrt sei, wenn sie gehen. Salome hat einen der Männer mit einer Sense attackiert und erwartet eine Strafe. Mariche wagt es noch nicht, sich gegen ihren gewalttätigen Mann zu stellen, Ona ist von ihrem Vergewaltiger schwanger und stellt eher Fragen nach den Strukturen, die die Gewalt überhaupt erst möglich gemacht haben.
Unter der Regie von Sarah Polley gerät die Debatte so schematisch wie vorhersehbar. Positionen werden wie eine abgezählte Lebensmittelration auf die Figuren verteilt, die flach wirken und rein instrumentell, ganz ähnlich wie die wiederholten „komisch“ gemeinten Momente, die kurzzeitig für kollektivstärkendes Gelächter sorgen.
Worthülsen und Aufmerksamkeitssprech
Das Problem von „Die Aussprache“ ist dabei nicht die minimalistische Anordnung. Polley hat nur schlichtweg keine Idee für einen konzeptuellen Film. Bis auf die stark symbolische Bildästhetik – eine entsättigte Farbpalette mit fahlen Grautönen, die alles kränklich aussehen lässt –, mangelt es dem Film auf allen Ebenen an Stringenz. Unmotiviert und willkürlich wird das vom pathetischen Spiel Rooney Maras geführte Heuboden-Gespräch gelegentlich von kurzen Flashbacks und Szenen unterbrochen, in denen die Kinder draußen, noch unschuldig, durch die Felder streifen. Andere Blicke gelten Alltagspraktiken wie dem Zeichnen und Flechten von Zöpfen, kommen dabei jedoch nie über die flüchtige Beobachtung hinaus. Doch vor allem klingt „Die Aussprache“ allzu oft nach den Worthülsen von Empowerment- und Achtsamkeitssprech. Die Sprache der Frauen ist keine, die sich erst finden und erfinden muss, die um Worte ringt oder fehlbar ist.