Filmplakat von Deutschland. Ein Sommermärchen

Deutschland. Ein Sommermärchen

110 min | Dokumentarfilm
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Die Fußball-Weltmeisterschaft war DAS Ereignis des Sommers. Kaum einer, der nicht mit Jürgen Klinsmann und seinen Jungs gezittert, gefeiert und Tränen vergossen hat. Mittendrin - statt nur dabei - war Regisseur Sönke Wortmann, der aus mehr als 100 Stunden Material eine bewegende Dokumentation geschaffen hat. Wie hat die Mannschaft die Euphorie im eigenen Land erlebt? Wie gingen die Spieler mit den hohen Erwartungen um? Wortmann zeigt Bilder, die die Fans vor dem Fernseher nicht zu sehen bekamen... (nki)

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Filmkritik

Ende 1843 kehrte Heinrich Heine für wenige Wochen aus dem französischen Exil zurück: „Im traurigen Monat November war’s / Die Tage wurden trüber, / Der Wind riß von den Bäumen das Laub, / Da reist ich nach Deutschland hinüber.“ So begann ein Jahr später sein Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“, das in Preußen schon bald verboten und beschlagnahmt wurde. Sönke Wortmann dürfte nach seinem sommerlichen „Trip“ durch das Deutschland der Fußballweltmeisterschaft 2006 kaum mit solchen Anfeindungen rechnen. Sein filmischer Bericht über ein spektakuläres Sportereignis, vor allem über den „Hype“ um die junge, „so gänzlich andere“ deutsche Nationalmannschaft gilt als offizieller Dokumentarfilm mit den beiden Fußballverbänden FIFA und DFB als Partner, die jedoch keine aktive Funktion innerhalb des Projekts hatten, wie Wortmann betont. „Wichtig war ihre Bereitschaft, uns zu vertrauen und uns arbeiten zu lassen.“ Nun war bereits Heines satirischer Zungenschlag, der die Mächtigen im Staat so verstörte, im Grunde eher moderat, und auch Wortmanns mitunter recht zündende Pointen sind stets versöhnlich-affirmative Beschreibungen von Stimmungen und Befindlichkeiten sowie „Tugenden“ der Spieler, liebevoll kompiliert aus kleinen und kleinsten Impressionen. „Und da mag es wohl geschehen sein, dass die ernsten Töne mehr als nötig abgedämpft oder von den Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt wurden.“ Was nicht Wortmann gesagt hat, sondern Heinrich Heine. Womöglich war es sein Spielfilm „Das Wunder von Bern“ (fd 36169), der Wortmann die Chance eröffnete, Zugang zu Spielern und Stab der deutschen Nationalelf zu bekommen. Aus solch exklusiver Innensicht resultiert dieser Film, der das deutsche Team um die Trainer Jürgen Klinsmann und Joachim Löw sieben Wochen lang während des WM-Turniers im Juni/Juli 2006 begleitete und es nahezu ausschließlich durch Wortmanns eigene digitale Kamera beobachtete: in den Umkleidekabinen, bei strategischen Lagebesprechungen, in Trainingshallen und Stadionkorridoren, beim Essen im Hotel, beim Besuch von Kanzlerin Merkel, bei kurzen Interviews mit den Spielern sowie bei vielen hübschen Zufälligkeiten. Eine solch privilegierte, „intime“ Perspektive ist interessant, weil sie Bilder generiert, die von der gängigen (Fernseh-)Berichterstattung vorenthalten werden, hat aber auch etwas von einem Tunnelblick, wenn Wortmann nur bedingt Dinge wahrnimmt, die außerhalb dessen liegen, wofür er sich interessiert. Doch sind diese „Scheuklappen“ selbst verordnet: Wie das Fußballteam weigert sich auch Wortmann (zunächst), Dinge zu sehen, die „seitlich“ passieren und ihn von seiner Aufgabe ablenken könnten. Natürlich sickert immer wieder etwas von der brodelnden Stimmung im Lande ins „heilige“ Innere des sportlichen Zirkels durch; in Fernsehberichten etwa, die Wortmann jedoch nur aus der Distanz einbezieht, wenn sie auf einem der Hotelmonitore aufscheinen. Das hakt Wortmann ähnlich schnell ab wie die Mannschaft, und selbst die Fußballspiele, eigentlich Herzstück eines jeden Turnierberichts, erscheinen lediglich als dramatisch verdichtetes Protokoll der Tore – „wuchtig“ zwar, mythisch aufgeladen mit Musik, aber eben kurz und knapp, mit der auferlegten Disziplin zur Selbstbeschränkung. Schnell geht es zur Tagesordnung zurück, zu innerer Einkehr, zur Konzentration auf das Wesentliche: das Endspiel, den Titel. Wortmanns Film taugt deshalb kaum als WM-Dokumentation oder der Spiele der deutschen Elf, sondern verdichtet sich vielmehr zur atmosphärischen „Befindlichkeitsstudie“ über junge Menschen, die angesichts einer gemeinsamen Aufgabe zusammenfinden und in einer Mischung aus Planung, Organisation und Konzentration, aber auch aus lässiger Entspanntheit sowie einer sympathischen Portion „laissez-faire“ heraus zur zielgerichteten (Zweck-)Gemeinschaft werden. Dabei haben manche Szenen das verspielte Flair jener Werbespots, die die Nationalelf für eine Nuss-Nougat-Creme drehte; es gibt „Streiche“ von Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski in der Unterhose, Oliver Neuville bei der „stressigen“ Urinprobe; aber auch ernstere Aussagen, etwa von Michael Ballack, der wegen Verletzung das Eröffnungsspiel nicht bestreiten darf, von den rivalisierenden Torhütern Lehmann und Kahn und schließlich ein Mannschaftsgespräch, in dem die Spieler darüber diskutieren, ob man zum Abschluss des Turniers noch zur Fanmeile nach Berlin fliegen soll. In solchen Szenen vermittelt sich unausgesprochen mehr vom „Geheimnis“ dieser Mannschaft als in manchem Interview, das erklären will, aber nur Worthülsen produziert, wenn raunend das Wort „Mannschaft“ fällt, die hier zusammenwächst, oder vom Respekt vor der Arbeit geredet wird, den jeder Spieler mitbringe. Erhellend und amüsant ist in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet Teamchef Klinsmann innerhalb der sachorientierten Organisation zum Protagonisten dramatischer Wortgewitter und deftig-derber Kampfparolen wird, mit denen er „seine Jungs“ motivieren will – und nicht immer Euphorie auslöst. Am Ende, man weiß es, wird dies alles nichts nützen, wird das ganz große Ziel, das Finale, verfehlt. Wortmann zeigt die Enttäuschung der Spieler bereits zu Beginn und „verarbeitet“ sie, indem er sich am Ende, gemeinsam mit den Fußballern, dann doch der Außenwelt zuwendet: Statt der typisch deutschen „Tugend“ des Selbstmitleids zu frönen, gewinnen die Spieler Trost und Optimismus aus dem kollektiven Begeisterungstaumel der Menschen auf den Straßen – prägnant versinnbildlicht etwa in einer kleinen Gruppe Polizisten, die so gar nicht ihrer Beamtenpflicht folgt, sondern den vorbeifahrenden Spielern mit einer Mini-La-Ola-Welle zujubelt, ähnlich wie sich später eine ganze „Armee“ von Soldaten zu solch wenig staatstragender Handlung hinreißen lässt. Da spüren dann wohl auch die Fußballspieler, dass sie längst zu Popstars geworden sind, die sich neben einem Xavier Naidoo einreihen können, der ohnehin ständig im Film präsent ist, gleichsam als Source-Musik, die aus Radios und Kassettenrecordern zu kommen scheint: „Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen. Dazu brauchen wir keinerlei Waffen, unsere Waffe nennt sich unser Verstand.“ Es wäre interessant zu hinterfragen, welche Rolle Wortmanns stets präsente und damit ja ständig zur Selbstkontrolle der Gefilmten mahnende Kamera bei der Kreation dieses „coolen Feelings“ zukommt – als Teil jenes neuen Selbstwertgefühls, vielleicht sogar jener neuen Identität, die wie ein Funke aufs Land übersprang und sich allen bis dato als antiquiert geltenden (Fußball-)Strukturen überstülpte. Wortmanns höchst unterhaltsamer Film signalisiert: „Es wächst heran ein neues Geschlecht, / Ganz ohne Schminke und Sünden, / Mit freien Gedanken, mit freier Lust – / Dem werde ich alles verkünden.“ Auch dies keine Zeilen von Wortmann, sondern aus Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“.

Erschienen auf filmdienst.deDeutschland. Ein SommermärchenVon: Horst Peter Koll (19.6.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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