Filmplakat von Der subjektive Faktor

Der subjektive Faktor

140 min | Drama

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Filmkritik

In diesem Film versucht Helke Sander die Anfänge der sogenannten `Neuen Frauenbewegung` in den Jahren der Studentenbewegung zwischen 1967 und 1970 nachzuzeichnen. Was sie bietet, ist allerdings keine objektive Chronik der Ereignisse, sondern sie zeigt Momentaufnahmen aus der Biografie einer jungen Frau, die an der Entstehung der neuen Bewegung maßgebend beteiligt ist. Anni ist eine alleinstehende Frau mit Kind, die 1967 mit Studenten in eine Wohngemeinschaft zieht. Sie ist alles andere als eine politische Aktivistin. Die Studentenbewegung erlebt sie zunächst als passive Beobachterin: "Zäh und neugierig trabt sie hinter diesen neuen Leuten her und lernt und lernt alles, was abfällt", kommentiert die Sprecherin aus dem off, die sich mehrfach zu Wort meldet und so für eine distanziertere Haltung sorgt. Der Zuschauer beobachtet Anni und spürt langsam, wie sich bei ihr ein neues Bewußtsein regt. Die Ansätze sind zaghaft. In Diskussionen, in denen ihre in politischer Theorie bewanderten Kommilitonen das Wort führen, meldet sie sich zaghaft zu Wort. Erst nach und nach findet sie gleichgesinnte Frauen und es kommt zur Einrichtung von Kinderläden und schließlich zur Gründung eines Aktionsrats zur Befreiung der Frauen. Ihren großen Auftritt hat Anni dann, als sie ihre Vorstellungen von der Gleichberechtigung auf der Delegiertenkonferenz in Frankfurt vorstellen darf. Am Ende sieht man sie im Jahre 1980. Vieles hat sich geändert. Geblieben ist die beständige Arbeit für die Frauenbewegung und die Sehnsucht nach einfachen Lösungen, die sich aber nicht immer leicht verwirklichen lassen.

Der Film besteht aus locker aneinandergereihten Szenen aus Annis Leben, die immer wieder von Dokumentaraufnahmen aus den späten 60er Jahren ergänzt werden. Er ist nicht ohne Sprünge und Abschweifungen, aber gerade darin scheint eine bestimmte Absicht zu liegen. Es gibt zwei klare Gruppen. Die eine sind die Männer, Theoretiker, die ihren Marx, Habermas und Marcuse studiert haben und die die Studentenbewegung tragen. Die andere sind Anni und die Frauen, die sich zu ihr gesellen. Heike Sander versucht zu zeigen, daß die Frauen selbst im Rahmen der revolutionären Studentenbewegung einen schweren Stand hatten. Annis Versuche, ihr Bewußtsein für die Probleme der Frauen in Taten umzusetzen, werden kaum richtig ernst genommen. Auch die revolutionären Studenten erweisen sich als Männer, die sich den Frauen überlegen fühlen. Anni sieht sich immer wieder Vorwürfen ausgesetzt. Man sagt, das sei nicht wissenschaftlich, was sie da behaupte. Als sie gar davon spricht, daß die Frauen eine "Klasse" sind, brechen die Männer fast in Lachkrämpfe aus, weil Annis "Klassen"-Begriff mit dem von Marx nicht das geringste zu tun habe. Der Konflikt zwischen der suchenden Anni und den `Theoretikern`, die alles schon wissen, ist weitgehend überzeugend vermittelt und nachvollziehbar. Sicherlich neigt der Film mitunter zur Einseitigkeit, was die Darstellung der Männer angeht, aber das scheint erträglich, wenn man seine Subjektivität akzeptiert.

Erschienen auf filmdienst.deDer subjektive FaktorVon: Peter Hasenberg (8.3.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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