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Filmkritik
Es beginnt hektisch, mit zwei nicht mehr ganz jungen Frauen, die in einem Auto ebenfalls etwas älteren Baujahres zur Rosenzüchtermesse nach Paris fahren. Sie kommen knapp, eigentlich fast zu spät; auf alle Fälle später als alle andern, die ihre neusten Züchtungen bereits eingepflanzt und gebüschelt haben und nun angeregt schwatzend auf die Juroren warten. Eine Vielzahl blühender Rosenstöcke unterschiedlichster Couleur präsentiert sich da im Parc de Bagatelle, die man sehnlichst gerne riechen würde.
In „Der Rosengarten von Madame Vernet“ ist das den Experten vorbehalten, die ihre Nasen schnüffelnd in die Blumen stecken und Neuzüchtungen anhand von Blütenfarbe und Blattform, Gleichmäßigkeit und Gesundheit der Pflanze beurteilen. Hier wird Hochgezüchtetes präsentiert, eigentlich Hybrides: Neue Rosensorten, so erfährt man in diesem Film, entstehen mittels Kreuzung. Rosenzucht ist also eine Wissenschaft und ein Handwerk. Ein eigenes Metier, das vielleicht etwas weniger von der Globalisierung, aber doch immer mehr von einer marktwirtschaftlichen Tendenz zu Großbetrieben bestimmt wird.
Der Preis, die begehrte „Rose d’Or“ („Goldene Rose“) für die gelungenste Neuschöpfung, geht bezeichnenderweise schon zum 16. Mal in Serie an die Großzüchterei von Constantin Lamarzelle. Madame Vernet aber, welche ihre Firma nach dem Tod ihres Vaters vor einigen Jahren übernommen hat und zusammen mit ihrer Assistentin Véra betreibt, geht leer aus. Dabei ist sie eine der erfahrensten Rosenzüchterinnen in Frankreich; Lamarzelle hofiert sie mehrfach, weil er sie gerne in seinem Team hätte.
Dann lodert ein Feuer in ihr
Doch Eve Vernet lässt ihre Firma lieber bankrottgehen, als dass sie ihre Seele verkauft. Die unverheiratete Mittfünfzigerin, die allein in ihrem großen Anwesen auf einem Hof im Burgund lebt, ist eine faszinierend eigenwillige und starke Frauenfigur. Ihr Haus ist voller Blumen- und Pflanzenbücher und ebensolcher Bilder. Sie besitzt eine Holzkiste mit Geruchsproben, raucht Stumpen und brütet bei einem Glas Wein stundenlang in ihrem Sessel über ihren Notizbüchern. Im geschäftlichen Auftritt herb und unverblümt, hat sie eine versteckte zarte Seele. Sie gerät leidenschaftlich in Feuer, sobald sie mit Rosen arbeitet.
Allerdings hat Madame Vernet nicht nur keine Familie, sondern auch keine Freunde oder Bekannten. Ihr Vater, sagt die Assistentin einmal, habe geahnt, dass sie im Alter einsam sein werde. Véra wird herzlich-spröde von Olivia Côte gespielt und ist Eves einzige Vertraute. Catherine Frot scheint die Rolle dieser so bodenständigen wie temperamentvoll aufbrausenden, in seltenen Momenten auch liebenswert-fragilen Frau durchaus zu liegen. Auch die übrigen Rollen sind mit Vincent Dedienne als Lamarzelle und Melan Omerta, Marie Petiot und Fatsah Bouyahmed als dreier vom Sozialamt vermittelter Arbeitskräfte ausnehmend gut besetzt.
Im Kern erzählt der Film eine David-und-Goliath-Geschichte. Nachdem Eve auf der Rosenzuchtmesse zum wiederholten Mal keinen Erfolg hat, drehen ihr ihre Unterstützer den Geldhahn zu. Es bleibt nicht einmal mehr genug, um die im Sommer benötigten Feldarbeiter anzustellen. Auch die Hilfskräfte vom Sozialamt erweisen sich vorerst als untauglich. Doch Vernet ist eine Kämpferin. Und wird es umso mehr, als Lamarzelle ihr wiederholt eine Stelle anbietet und für ihre Firma ein Übernahmeangebot macht. Der Crashkurs in Sachen Rosenpflege und -zucht, den Vernet ihren neuen Mitarbeitern schließlich verpasst, ist beeindruckend und lässt wohl auch Laien ein Licht aufgehen.
Eine wonniglich-rosige Fülle
Auf seiner blumigen Ebene ist der Film von Pierre Pinaud durchaus gelungen. Locker in die Geschichte eingestreut, wird nicht nur vieles über Rosenzucht erzählt, sondern auch bildlich nachvollziehbar demonstriert. Überhaupt schwelgt „Der Rosengarten von Madame Vernet“ in geradezu wonniglich rosiger Fülle. Noch bunter als der von blühenden Rosenstöcken übersäte Parc de Bagatelle präsentieren sich dann die Rosenfelder auf Vernets Gut. Auch folgen vom smoothen Titelsong bis zu dem als Schlussbouquet gesetzten Chanson „La rose et l’armure“ von Antoine Elie eine ganze Reihe von Musikstücken und Songs, die sich um die Königin der Blumen ranken.
Doch die von Lamarzelle gezüchtete Rose, um die ihn Vernet beneidet, heißt nicht „The Queen“, sondern „The Lion“. Von ihr ausgehend, würde Eve Vernet gerne eine neue Sorte züchten. Das führt zur Schwachstelle des Films: seiner Story. Pinaud hat in Interviews „Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel“ von Ken Loach als Inspirationsquelle erwähnt. Was sich nachvollziehen lässt, da sich unter den drei Helfern vom Sozialamt mindestens einer mit (klein-)krimineller Vergangenheit befindet. Die Vorgeschichte der beiden anderen bleibt im Dunkel; ihr Verhalten und Alter verweisen eher auf Psychosen. Gleichwohl baut die Story auf einen kriminellen Akt auf, der seltsamerweise weder für den Täter noch für das Opfer Konsequenzen hat.
Das weckt falsche Erwartungen, führt in die Irre und ist schlicht enttäuschend. Pinaud neigt zu einer seltsam unkonzentrierten Erzählweise. Bald erscheint der Film wie eine beschwingte Wohlfühl-Komödie, dann nimmt er sich wie das Porträt einer einsamen Kämpferin aus, die in der Begegnung mit einem jungen Kriminellen ihre fürsorglichen Seiten entdeckt. Zwischendurch sind aber auch Ansätze eines ökologischen Dramas auszumachen. Von einem erzählerischen Meister hätte das durchaus arrangiert werden können. Doch bei Pinaud wirkt alles zunehmend holpriger, obwohl der Film zunächst präzise und sorgfältig beginnt. Wäre das Kino nicht digital, könnte man zum Schluss hin schwören, dass der Filmvorführer bei der Projektion eine ganze Rolle vergessen hat, weil derart vieles nicht wirklich auserzählt wird. Was mehr als schade ist, denn die Rosen blühen in diesem Film wirklich prächtig.