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Filmkritik
Mit dem Wort „Sumpf“ verbinden sich negativ konnotierte Bilder. Die Landschaft lädt zum Versinken und zum Verschwinden ein; sinnbildlich steht „Sumpf“ auch für Vertuschung und Korruption. So verwundert es nicht, dass auch zu Beginn des im Jahre 1969 angesiedelten Gerichtsdramas „Der Gesang der Flusskrebse“ eine Leiche im Sumpf nahe des Städtchens Barkley Cove gefunden wird. Der Verstorbene ist Chase Andrews, ein beliebter junger Mann aus guter Familie, noch dazu ein ehemaliger Quarterback. Chase ist von einem Aussichtsturm gefallen. Ob es ein Unfall war oder ein Mord, kann eigentlich nicht ermittelt werden. Doch da an seiner Jacke Fasern einer roten Wollmütze gefunden werden, fällt der Verdacht auf deren Besitzerin: das sogenannte Marschmädchen, das ganz allein in einem Haus am Sumpf wohnt. Oder wohnt sie vielmehr im Sumpf?
Die Hexe aus dem Sumpf
Zu Beginn wird in einer Kamerafahrt durch die Gewässer dieser Landschaft in North Carolina der Unterschied zwischen Marschland und Sumpf erläutert. Marschland sei ein Ort des Lichts, wo Gras im Gewässer wachse und das Wasser in den Himmel fließe, zitiert die Erzählerin aus der gleichnamigen Romanvorlage von Delia Owens. Die Kamerafahrt, die dem Flug eines Vogels durch die verschlungenen Flussstraßen des Wasserbiotops folgt, endet an einem Strand mit Blick aufs offene Meer. Der Sumpf wird dabei zu etwas Bedrohlichem und das Marschland zu etwas Konstruktivem und Positivem stilisiert.
Wilde Gerüchte ranken sich um die scheinbar wilde junge Frau, die im Örtchen als eine Art Hexe verschrien ist. Nach einer Verfolgungsjagd durch die Gewässer wird sie von der Polizei verhaftet und anschließend des Mordes angeklagt. Doch wer ist die junge Frau wirklich, die Kya Clarke heißt und kaum spricht? Nur der Anwalt Tom Milton (David Strathairn) ist von ihrer Unschuld überzeugt. Eine Rückblende ins Jahr 1953 erläutert den Werdegang von Kya. Mit ihren Geschwistern und ihren Eltern lebt sie im Einklang mit der Natur in einem Holzhaus im Marschland. Doch die Idylle trügt. Der Vater schlägt die Mutter und die anderen Familienmitglieder. Zuerst packt die Mutter ihren Koffer und verlässt das Haus, dann folgen Kyas ältere Geschwister. Schließlich lässt auch der Vater sie mutterseelenallein im Haus zurück.
Doch Kya ist eine Meisterin in der Kunst des Überlebens. In der Natur kennt sich das etwas siebenjährige Mädchen gut aus, und dank eines afro-amerikanischen Krämer-Ehepaars im Städtchen kann sie sich buchstäblich über Wasser halten. Sie verkauft den beiden Flusskrebse und bekommt von der gutmütigen Krämerin Schuhe und Kleidung gestellt. In der Schule hält Kya es allerdings nur einen Tag lang aus. Die Kinder beäugen sie argwöhnisch und verspotten sie als schmutziges Sumpfmädchen.
Als Teenagerin trifft Kya (Daisy Edgar-Jones) den jungen Tate (Taylor John Smith) wieder. Er hatte sie auch früher schon unterstützt, wenn sie sich auf den Wegen durchs Marschland verirrt hatte. Beide sind zu hübschen jungen Menschen gereift und finden Gefallen aneinander. Tate, dem alle schlechten Eigenschaften abzugehen scheinen, bringt Kia geduldig das Lesen und Schreiben bei. Auch schenken sie sich gegenseitig Vogelfedern, denn beide sind passionierte Ornithologen. Doch nach einer harmonischen Liebesbeziehung verlässt auch Tate die junge Frau.
Das engstirnige Leben in der US-Provinz
Einige Jahre später geht Kya eine Beziehung mit dem dominanten Chase (Harris Dickinson) ein. Dieser findet sie exotisch und aufregend, doch vor seiner gutbürgerlichen Familie und seinen Freunden verheimlicht er die Verbindung. So oszilliert der Film zwischen der Gegenwart der Gerichtsverhandlung und vielen Rückblenden und erzählt einiges über das spießige Leben in der US-amerikanischen Provinz der 1950er- und 1960er-Jahre. Hinter der kleinbürgerlichen Fassade des Anstands offenbaren sich Engstirnigkeit und Rassismus. Auch der allseits beliebte Chase ist ein Produkt seiner konservativen Zeit, der Kyas Eigenständigkeit unterbinden will und sich als Frauenschläger und Tyrann entpuppt. Auf diese Weise leistet der Film seinen Beitrag zum allgegenwärtigen Thema der missbräuchlichen Männlichkeit und feiert weibliche Emanzipation. Dies verbindet er jedoch mit einem eigensinnigen Naturmystizismus, der irgendwann in brachialen Darwinismus umschlägt.
Als Erzählerin des Films fungiert Kya, die nicht müde wird, die regenerierenden Kräfte des Marschlandes zu beschwören. Sie bewegt sich darin so anmutig wie all die Kreaturen zu Wasser, Land und Luft. Das nasse Biotop trägt auch zu Kyas Lebensunterhalt bei, denn sie schreibt Bücher, die sie selbst illustriert, und steigt darüber zu einer anerkannten Fachgröße auf. Tate hatte ihr den Tipp gegeben, sich als Autorin zu verdingen. Später taucht dieser als reuiger Sünder wieder in ihrem Leben auf, ebenso wie Kyas Bruder Jodie, der ihr zusammen mit dem Anwalt Milton und dem Krämer-Ehepaar während des Prozesses solidarisch beisteht.
Der Twist am Ende
Wie die Anklage überhaupt zustande kommen konnte, ist anhand der dünnen Beweislage kaum nachvollziehbar und offenbart einen überkonstruierten Plot, dessen erzählerische Notwendigkeit erst der Twist am Ende plausibel macht. Dennoch ergeht sich der Film ständig in Kontrasten. Szenen der Harmonie sind süßlich inszeniert und mit Gitarrenmusik unterlegt, um so die Momente der Gewalt umso stärker hervortreten zu lassen. Das von allen verlassene und unverstandene Marschmädchen muss sich der erbarmungslosen Städter erwehren, sodass die Sympathien des Publikums schnell vergeben sind. Indem der Film sogenannte heiße Eisen verhandelt und seine singuläre Heldin überhöht, biedert er sich dem Zeitgeist an, unterläuft ihn aber auch und das in einer Weise, die den erwarteten Intentionen sogar zuwiderläuft.