- RegieAdrian Goiginger
- ProduktionsländerÖsterreich
- Produktionsjahr2022
- Dauer118 Minuten
- GenreDramaKriegsfilmHistorie
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.9/10 (156) Stimmen
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Der Fuchs stirbt nicht. Für sensible Naturen ist das eine nicht ganz unwichtige Information zu dem gleichnamigen Spielfilm von Adrian Goiginger. Doch es gibt hier ohnehin Schlimmeres als den Tod. Das legt sich bleischwer über eine Menschenseele, und wenn diese nicht geheilt wird, bleibt es ein ganzes Leben lang.
Vom Schlagen einer solchen Wunde erzählt das erste, etwa zwanzigminütige Kapitel in „Der Fuchs“, das in seiner Dichte und ungeschwätzigen Genauigkeit ein eigener, meisterhaft inszenierter Kurzfilm ist. Er spielt im Jahr 1927, in einer armseligen Bauernhütte im Pinzgau. Wie auf einem niederländischen Gemälde, nur ohne jede Nostalgie, sitzt die Bauernfamilie Streitberger im Kerzenschein zusammen. Viele Mäuler gibt es zu stopfen, zu viele. Es ist ein stilles, freudloses Beisammensein.
Eine Kartoffel unter dem Tisch
Das Abendessen, ein paar Kartoffeln, hat der achtjährige Franz (Maximilian Reinwald) draußen auf dem Feld gefunden. Er hat sich sogar einen Anflug von Freude erlaubt, als er den Schatz nach Hause brachte. Goiginger choreografiert die von Yoshi Heimrath und Paul Sprinz mit dezenter Unruhe fotografierte Essensverteilung als komprimiertes Drama brüchig gewordener Blicke und zaghafter Gesten der Zuwendung. Weil Franz der Jüngste ist, bekommt er nur eine einzige Kartoffel ab. Mitleidig schiebt der ältere Bruder ihm unter dem Tisch eine weitere zu, heimlich, denn es droht Strafe.
Hier wird nämlich nicht egalitär verteilt, sondern zunächst dem Familienoberhaupt aufgetan. Der Vater (Karl Markovics) gibt dann ein paar Brocken an seine verhärmte Frau (Karola Niederhuber) ab, die abwesend vor sich hinstarrt. So ist es Gottes Wille, so ist’s gerecht. Sie beten, sie essen, sie singen ein frommes Lied. Die Kamera nimmt dabei Franz’ Blick auf und führt den Jungen als jenen Beobachter ein, der er auch Jahre später als Motorradkurier der Deutschen Wehrmacht sein wird: dabei, aber am Rand.
Die ernste Schweigsamkeit, die der österreichische Schauspieler Simon Morzé in der Rolle des erwachsenen Franz ohne viel Aufhebens zum energetischen Zentrum des Films macht, lässt im Unklaren, ob er begreift oder begreifen will, zu welcher Welt er da gehört. Seine eigene Welt war immer schon beschränkt und voller schwer durchschaubarer Regeln.
Aus der Perspektive eines Kindes
Schon in seinem Debütfilm „Die beste aller Welten“ (2017), dem zwischen Milieustudie und fantastischem Märchen changierenden Drama über seine eigene drogenabhängige Mutter, verstand es Goiginger, einen kindlichen Charakter – sein Alter Ego – als Beobachter sozialer Unwuchten zu zeichnen, ohne dass die Kinderperspektive rührselig oder altklug wirkte. Doch während es in „Die beste aller Welten“ für das Kind Adrian gut ausgeht, endet das Kindheitskapitel von „Der Fuchs“ mit dem Einbruch des Traumas, einer Urszene der Verlorenheit: Der Vater gibt ihn zu dem reichen Bauern Seiwald (Cornelius Obonya); der Vertrag wird mit drei Kreuzen signiert. Der Junge soll auf Seiwalds Hof als Knecht arbeiten, eine Schulbildung erhalten und genug zu essen haben.
Franz begreift nicht, will nicht, rennt zur Mutter, die ihm die Tür vor der Nase zuschlägt. Der Bauer wirft sich das schreiende Kind dann einfach über die Schulter, während der Vater sich abwendet und die Ohren zuhält. Kindheit schrumpft im ökonomischen Rhythmus von „Der Fuchs“ zu dem zusammen, was sie für viele jener Generation gewesen sein mag: auf ein kurzes, trübseliges Kapitel. Entsprechend jäh springt der Film ins Jahr 1937. Franz ist jetzt volljährig; er ist kein Knecht mehr und lebt von der Armenspeisung. Fürs Bundesheer wird er als Soldat angeworben. Wieder eine vertragliche Zugehörigkeit, wieder, um nicht zu hungern.
Die Großereignisse werden in „Der Fuchs“ im Kleinen und Beschränkten gespiegelt. Wieder ist es eine Essensszene, die jene entscheidende Wendung einleitet, die Begegnung mit dem Fuchs. In einem Wutanfall verlässt Franz den Tisch der Kameraden, stapft in den Wald und drischt auf einen Baum ein. Plötzlich fährt die Kamera den Baumstamm hinauf, dessen Eleganz und Stärke alles menschliche Kreischen und Zagen verstummen lässt. Das ist voller suggestiver Magie, fast wie bei Terrence Malick, nur trockener, weil das Magische hier abrupt aus dem Erdgebundenen aufscheint und nicht schon vorher gewusst oder behauptet wurde. Nicht himmelwärts, sondern auf der Erde, neben diesem Baum, findet Franz einen verletzten Fuchs. Er nimmt ihn mit und pflegt ihn heimlich gesund.
Ein magischer Fixpunkt
Dieses Tier wird ein Geheimnis bleiben, ein rettender Seitenpfad der überbeanspruchten Aufmerksamkeit und der eigenen Verlorenheit. Im größten Chaos eines Angriffs, und sogar auch noch dann, wenn den Soldaten ein Gelage spendiert wird, sucht Franz sein Tier, als ginge es dabei um alles. Und er spricht zu ihm, wenn er es endlich wiedergefunden hat: „Hast Angst g’habt. Bist wegg’laufen. Ich auch.“
Dass solche Szenen nicht ins Rührselige schwappen, liegt neben dem wortkargen Drehbuch auch daran, dass der Film ohne vermenschlichende Tricks auskommt. Zwei zahme Füchse standen vor der Kamera, ein Welpe und ein erwachsenes Tier, beide keine Kuscheltiere, aber sichtlich an den Menschen gewöhnt.
Als er vierzehn Jahre alt gewesen sei, erklärt Goiginger, habe er von seinem ansonsten eher schweigsamen Urgroßvater Franz Streitberger erstmals die Geschichte von dessen „Fixerl“ gehört. Von jenem Fuchswelpen, der verletzt neben seiner tot in einem Fangeisen liegenden Mutter ausharrte und den er dann monatelang bei sich hatte. Damit war Goigingers allererste Filmidee geboren. Noch vor seiner Einsiedler-Geschichte „Märzengrund“ und lange vor seinem Debütfilm über ein beinah verlorenes Menschenkind und dessen unverbrüchlicher Liebe (zu) seiner Mutter gab es die Geschichte einer Zähmung unter lebensfeindlichen Umständen, einer Gefährtenschaft mitten im Krieg.
Der Abspann zeigt eine Schwarz-weiß-Fotografie von Franz Streitberger als jungen Motorradkurier. Dazu hört man die Stimme des alten Mannes, dem der Urenkel einst so genau zugehört hat. Der Urgroßvater bringt sein Verhältnis zu seinem „Fixerl“ auf den Punkt: „Der ist ganz meiner gwen.“ Es ist die Geschichte einer Aneignung und Zuneigung, bis zur letzten schmerzhaften Szene, als Franz als Kriegsheimkehrer die verlassene Hütte der Eltern betritt und dort Schreibversuche des inzwischen verstorbenen Vaters findet. „Lieber Franz“, steht da. Das ist alles. „Der Fuchs“ ist auch ein Film über die Frage, was ein Mensch geben kann, wenn er nichts besitzt.
Das tun, was einem aufgetragen ist
„Der Fuchs“ sei kein Kriegsfilm, beteuert Goiginger, er spiele nur zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn er im Budget nicht mit Edward Bergers Remarque-Verfilmung „Im Westen nichts Neues“ mithalten kann, verhält sich „Der Fuchs“ zu „Die beste aller Welten“ wie Bergers „Im Westen nichts Neues“ zu dessen „Jack“: Zwei große Regisseure offenbarten ihre Meisterschaft schon früh, indem sie ein Drama aus Kinderperspektive erzählen konnten wie nur wenige. Und indem sie in ihrem Werk eine psychologische Linie vom Kindsein zum Soldatsein zeichnen, ohne irgendetwas zu entschuldigen oder zu relativieren. „I dad niemals desertiern!“, beteuert Franz seinem Kommandanten, nachdem er, statt zu kämpfen, das verschreckte Füchslein gesucht hat. Man glaubt ihm das. Denn das Gesetz, das er von Kindesbeinen an kennt und an das er sich hält, ist das zu tun, was ihm aufgetragen ist.
Simon Morzé verkörpert dieses pflichtbewusste, dennoch nur halb engagierte Dabeisein punktgenau durch minimale Mitmach-Gesten: hier ein bisschen mittrinken, dort ein paar Takte mitsingen im Wagen voller Soldaten. Nicht viel reden. Weltanschauliche Auseinandersetzungen spielen keine Rolle; Franz schnappt Sätze und Gebaren seiner Kameraden und Vorgesetzten wie Wetterereignisse auf, mit Gleichmut und Wachsamkeit. Etwa, wenn es vor dem Einmarsch nach Frankreich heißt: „Was Ihre Väter nicht vollbracht haben, das können Sie nun vollbringen!“ Für Franz bedeutet dies, genau wie sein Vater: das geliebte Wesen von sich wegstoßen zu müssen. Und dadurch, vielleicht, den Schmerz und die Schuld des Vaters zu begreifen.