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Filmkritik
Sechs von zehn Ehepaaren, die eine Wochenendbeziehung führen, überlegen, ob sie sich scheiden lassen sollen. Das behauptet zumindest eine Arbeitskollegin von Jung-an (Lee Jung-hyun). Weil Jung-an und ihr Mann Hae-jun (Park Hae-il) ebenfalls eine Wochenendbeziehung führen und weil Jung-An ihr Leben an wissenschaftlichen Fakten auszurichten pflegt, macht ihr diese Statistik zu schaffen. Hae-jun hingegen lächelt nur abwesend, als sie ihm davon erzählt.
Obwohl der Film noch kaum begonnen hat, befindet sich Hae-jun in einer anderen, in seiner eigenen Welt. Die könnte kaum weiter entfernt sein von der hellen, rationalen, exakt durchgeplanten Welt, in der Jung-An lebt; darin wird selbst Sex nach der Nützlichkeit für den Stoffwechsel und Gedächtnisfunktionen bewertet. Hae-juns Welt hingegen ist dunkel und romantisch und mysteriös. Er taucht in sie ein, wenn er unter der Woche fernab seiner Frau als Polizist in der Großstadt auf Verbrecherjagd geht. Und wenn er an den Wochenenden zu Jung-an ins gemeinsame Haus in der Provinz fährt, kehrt er nicht mehr ganz zurück aus dieser anderen Welt.
Fühlen, Denken, Handeln
Zumindest nicht mehr, nachdem er Seo-rae (Tang Wei) kennengelernt hat. Seo-rae ist die Witwe eines Mannes, dessen Tod Hae-jun untersucht. Der Verdacht, dass Seo-rae in der Sache nicht ganz unschuldig sein könnte, liegt nahe. Vom Ableben ihres reichen und deutlich älteren Gatten zeigt sich die junge Frau unbeeindruckt. Außerdem weist ihr Körper Spuren von Misshandlungen auf. Nicht zuletzt wird ihre DNA unter den Fingernägeln des Toten gefunden. Wäre Hae-jun wie Jung-an in der Welt der Fakten zuhause, dann würde er sich nicht vom fadenscheinigen Alibi der Witwe aus der Ruhe bringen lassen und die Frau im Nebel schnell dingfest machen.
Aber für Hae-jun haben neben Seo-rae keinerlei Fakten Bestand. Die stets souverän in sich selbst ruhende Frau, die aus China nach Korea eingewandert ist und in ihrer neuen Heimat als Altenpflegerin arbeitet, wird zum Zentrum seines Fühlens, Denkens und Handelns. In dieser Reihenfolge, denn die Bekanntschaft mit der schönen Verdächtigen lähmt Hae-jun eher, als dass sie ihn aktiviert. Sie vereindeutigt sich auch erst einmal nicht zu einer Affäre, obwohl alles darauf hinzudeuten scheint; oder vielleicht doch, aber eben zu einer emotionalen und intellektuellen Affäre, nicht zu einer körperlich-sexuellen.
„Die Frau im Nebel“ erzählt also nicht die wohlvertraute Geschichte des Polizisten, der mit der Frau, gegen die er ermitteln sollte, lieber ins Bett steigt; eine Geschichte, die letztlich darauf basiert, dass eine Art der Beziehung, eine professionelle beziehungsweise erkennungsdienstliche, durch eine andere, eine libidinöse, ausgewechselt wird. Vielmehr entwirft Regisseur Park Chan-wook eine Konstellation, in der beides, erkennungsdienstlicher Zugriff und Libido, unrettbar ineinander verknotet ist.
Einswerden im geteilten Begehren
Wenn Hae-jun zu Beginn des Films die Wohnung der Verdächtigen auskundschaftet, dann ist sein Blick nicht von dem eines Stalkers zu unterscheiden, insbesondere dann nicht, wenn er sich, von der oft großartig-wagemutigen Montage geschickt verbildlicht, in die intime Nähe der Observierten imaginiert. Und wenn später im Film Hae-jun und Seo-rae eine Liebesbeziehung oder zumindest etwas in der Art beginnen, bleibt das Verbrechen und der Verdacht doch stets zwischen beiden, als eine Asymmetrie, die ein Einswerden im geteilten Begehren verhindert.
Was freilich die Frage aufwirft: Kann Liebe überhaupt jemals komplett symmetrisch sein? In „Die Frau im Nebel“ sind Hae-jun und Seo-rae, so verfahren und konfliktreich sich ihre Beziehung auch gestaltet, dennoch die beiden einzigen Figuren, die zumindest den Versuch unternehmen, einander nahezukommen und die Welt des jeweils anderen zu verstehen. Nicht nur die Ehe Hae-juns, sondern auch und erst recht die Beziehungen Seo-raes mit anderen Männern sowie einige weitere Liebesgeschichten mit dezidiert unschönem Ausgang, die in den Plot hineinragen, sind von Projektionen und Missverständnissen geprägt; bestenfalls sind es Zweckgemeinschaften, schlimmstenfalls an Sklaverei grenzende Ausbeutungsverhältnisse.
„Die Frau im Nebel“ ist ein Film, der an die Liebe glaubt, aber nicht an die Unschuld der Liebe. Nicht zufällig sucht Park Chan-wook, der die wilden Genre-Experimente seines Frühwerks längst hinter sich gelassen hat und sich seit einiger Zeit auf abgründige Romanzen spezialisiert, erzählerisch wie stilistisch Anschluss an den klassischen Film noir. Ein Genre, in dem immer schon Detektiv- und Liebesgeschichten einander in die Quere kommen; und dessen verzweifelte Helden die Irrungen und Wirrungen, die sich aus diesem In-die-Quere-kommen ergeben, noch stets einer illusions- und horizontlosen Existenz in der nüchternen Welt der Fakten vorziehen.