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Filmkritik
Eine Zugfahrt quer durch die USA. Von Ost nach West geht die Reise - und damit von der Zivilisation in die Wildnis, aus den sicheren Koordinaten von Zeit und Raum in die geheimisvolle, dunkle Welt der Mythen und Legenden. William Blake, der den Zug in Cleveland bestiegen hat, um tausende Kilometer entfernt einen Job anzutreten, ahnt noch nicht, daß er sich mit dieser Entscheidung auf eine langsame Reise in den Tod begeben hat. Der Film weiß es sehr wohl, und in den großartigen ersten zehn Minuten macht er es dem Zuschauer schnell deutlich. Mit jedem zurückgelegten Kilometer, mit jeder Abblende der so schlichten wie in Bann schlagenden Anfangssequenz, verliert der Buchhalter Blake den Boden unter den Füßen, wird immer mehr zu einem Fremdkörper in einem Abteil (einer Welt), die nur noch aus wilden Jägern zu bestehen scheint. Verlassene Indianerzelte und unnötig abgeschlachtete Büffelherden säumen die Bahnstrecke.
Als er in Machine ankommt, dem Ziel seiner Reise, ist der erste Eindruck alles andere als tröstlich: Tod (Tierkadaver, ein Sargladen) und Dreck bestimmen das Straßenbild. Zu allem Überfluß muß er feststellen, daß er zu spät eingetroffen ist und die ihm zugesagte Stelle bereits vergeben wurde. (In dieser Bürosequenz haben John Hurt und Robert Mitchum ihre kurzen Cameo-Auftritte.) Blakes zaghaftes Aufbegehren wird schnell im Keim erstickt - gegen diese Gestalten, die wie Abzüge aus einem "Lieutenant Blueberry"-Comic wirken, hat das Milchgesicht nicht die geringste Chance. Schon wesentlich erfolgreicher ist er bei Thel, die aus einem Saloon unsanft direkt vor seine Füße fällt. Doch auch dieses Mädchen ist nur ein tragischer Zwischenstop auf seinem vorgezeichneten Weg und bringt ihn erst recht in ernste Schwierigkeiten. Kaum ist er mit ihr im Bett gelandet, taucht Thels Ex-Liebhaber auf, erschießt das Mädchen und wird selbst das Opfer des verdutzt, aber doch irgendwie überraschend kaltblütig reagierenden Buchhalters. Blake verläßt Machine fluchtartig ohne Job und mit einer Kugel im Leib. Aber dafür steht er am Beginn einer aufsehenerregenden und unfreiwilligen "Karriere" als Killer mit drei kuriosen Kopfgeldjägern im Schlepptau. Spätestens da kippt Jarmusch endgültig die Regeln des Westerns und vermischt sie mit den Merkmalen eines verkappten Road-Movies quer durch die prachtvollen Wälder Arizonas. Neil Youngs Soundtrack, der aus immer wiederkehrenden grollenden Motiven der E-Gitarre besteht, macht die taumelnden Bewegungen des Helden musikalisch nachvollziehbar.
Zusammen mit den grandiosen Landschaftsbildern, die in ihren Kontrasten an Ansel-Adams-Fotografien erinnern und den wirklichkeitsfernen Charakter des Films unterstreichen, beschwört er die Atmosphäre unausweichlichen Schicksals herauf. In dessen Erfüllung scheint denn auch von vornherein der einzige Sinn von Blakes fast schon surrealer Reise zu bestehen. In den Augen des Indianers Nobody, der ihn mit dem berühmten britischen Dichter gleichen Namens verwechselt, ihn pflegt und begleitet, ist Blake denn auch bereits ein "toter Mann". Die Kugel in der Brust sitzt zu tief, um noch entfernt werden zu können. Doch zuvor wird er tatsächlich zu einer Legende ganz besonderer Art, dem "Künstler" des Westerns schlechthin, dessen Autogramm ein ganz besonderes Kaliber darstellt und in Millimetern gemessen wird. Augenzwinkernd, gelegentlich aber auch auf recht drastische Weise überhöht Jarmusch seinen Helden im Angesicht des Todes zum unfreiwilligen Revolverhelden, der sich mit der stoischen Miene eines Buster Keaton gegen alle Widersacher durchsetzt und über alle Stereotypen des Westerns triumphiert.
Daß die Handlung trotz dieses feinen Hintersinns und etlicher skurriler Momente phasenweise durchhängt, liegt an Jarmuschs forciert "cooler" und distanzierender Inszenierung. Die Gretchenfrage: "Was will dieser Film sein - wenn überhaupt?", erscheint angesichts seiner widersprüchlichen Komponenten ein auswegloser Ansatz, metaphyische und klamaukhafte Momente liegen verwirrend dicht beieinander. Ähnlich wie zuletzt Wenders, setzt Jarmusch bewußt auf "naive" komische Elemente aus der Anfangszeit des Kinos (ohne freilich auf den Segen moderner digitaler Nachbearbeitung zu verzichten) und betont den abstrakten Charakter der meisten Figuren zusätzlich durch eine "primitiv"-antirealistische Darstellung seiner Akteure. Dies zusammen nimmt der Geschichte einiges von ihrer ansonsten starken emotionalen Wirkung, zumal auch die Spannungskurve von Blakes Odyssee seit der Flucht aus Machine reichlich flach angelegt ist. Selbst die Parallelmontage mit seinen Häschern wirkt eher wie eine Reminiszenz an alte Westerntage denn als ernstgemeintes dramaturgisches Element mit dem Ziel der Spannungssteigerung. Stattdessen hangelt sich der Film von einer makabren Situation zur nächsten, ähnlich taumelnd wie sein Protagonist, der nichts mehr zu verlieren hat, aber mit jedem Schuß ein Stück weiter ins Pantheon unbezwingbarer Legenden vorrückt. Und genauso unauffällig setzen sich auch Atmosphäre und Bilder dieses Films mit der Zeit im Gedächtnis des Zuschauers fest.