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Filmkritik
Vor einer Wolkentapete werden Erinnerungsfotos gemacht. In den Händen der jungen Menschen, die sich für diesen Anlass herausgeputzt haben, finden sich eine Rose und das Abi-Zeugnis. Beim gemeinsamen Essen mit den Familien – die Freundinnen Ira, Ka und Malin simsen, genervt von der ewigen Fragerei nach dem Studienwunsch, über die Tische hinweg – fällt dann auch eine Phrase, dem nach dem Schulabschluss wohl kaum zu entkommen ist: „Jetzt fängt das Leben an.“
Auf nach Italien!
In „Dead Girls Dancing“ beginnt das Leben im Auto, unterwegs, „on the road“. Vorsätzlich planlos brechen Ira, Ka und Malin nach Italien auf. Die Landschaft zieht vor dem Fenster als abstraktes Wischbild vorbei, der Kopf lehnt am offenen Autofenster, die Haare flattern im Wind. Ein Aufenthalt auf einem Campingplatz endet frühzeitig, indem der Rauchmelder im Zimmer der Anhalterin Zoe ausgelöst wird. Die erste Grenzüberschreitung (und Flucht) ist noch Spaß und Spiel; mit übermütigem Gekreische türmen die Münchnerinnen mit Zoe im Schlepptau vor dem wütenden Vermieter. Das Trio ist inzwischen zur Viererbande angewachsen, die „Neue“ bringt durch ihr teils erratisches Verhalten ein wenig Aufregung in die Gruppe. Sie ist aber auch Auslöserin von Spannungen. „Man weiß nie, ob sie die Show für sich oder für uns macht“, meint Ka einmal misstrauisch in die Runde.
Mit seinem schwebend-fluffigen Teenage-Impressionismus widerspricht das Spielfilmdebüt von Anna Roller nicht unbedingt der anfänglichen Phrase vom Beginn des Lebens. „Dead Girls Dancing“ greift ausgiebig auf Motive zurück, die sich zur Bebilderung jugendlicher Erfahrungswelten und Freiheitsgefühle schon oft bewährt haben. Die Figuren fügen sich in diese Oberflächen perfekt ein. Trotz unterschiedlicher Typen und Zuständigkeiten – Ira ist der Tomboy, Malin die Aufgeräumte, Ka die Provokateurin, Zoe die Mysteriöse und zudem Iras „Love Interest“ – sind sie eher Trägerinnen von Stimmungsbildern als greifbare Charaktere.
Zwischen Wirklichkeit und Fantasie
Zu einer markanteren Form findet der Film im mittleren Teil. Nach einer Autopanne – der sozial gesättigte Background tritt beim Telefonat mit dem deutschen Automobilclub offen zu Tage –, strandet die Gruppe in einem verlassenen Bergdorf. Das Haus, in das sie einsteigen, erweckt den Anschein, als ob die Bewohner nur kurz zum Einkaufen in den nächsten Ort gefahren seien. Die jungen Frauen durchwühlen die Schränke und probieren Kleider an. Von der Hitze ermattet, liegen sie eng aneinandergeschmiegt zusammen und malen sich flüsternd Szenarien aus, die passiert sein könnten: eine Seuche, ein Fluch, sie zu viert als „Last Men on Earth“. Später trinken sie bei Kerzenschein den Messwein der Kirche aus, mampfen aus dem Supermarkt geklaute Kekse, bis ihnen halb schlecht wird, und tanzen fröhlich miteinander.
Eine Weile driftet der Film im Grenzbereich von Wirklichkeit und Fantasie, zwischen Unheimlichem und Mystischem umher. Die lyrische Kamera von Felix Pflieger verselbständigt sich und gleitet durch die Flure, und zwischendrin tauchen die Frauen in Gestalt von Hexen auf – zuvor hatte sich Zoe als Anhängerin der „Weird Sisters“ aus „Macbeth“ geoutet. Wie so manches in „Dead Girls Dancing“ bleibt der Bezug auf das Hexen-Attribut – als Symbol weiblicher Selbstermächtigung in feministischen Diskursen – hier aber bloßes Ornament.
An Launenhaftigkeit, Pose und Oberfläche ist ja grundsätzlich nichts verkehrt. Doch der Film will etwas Substantielleres mitteilen über den Übergang vom behüteten Sein ins Erwachsenenleben, über Grenzverschiebungen und das Seelenleben angesichts unendlicher Zukunftsmöglichkeiten in einer von der Klimakatastrophe überschatteten Gegenwart. So haben die Protagonistinnen und vor allem die Hauptfigur Ira nach dem kurzen Flirt mit dem Horrorgenre erst einmal eine bittere Lektion zu lernen: Zurück in die Schule.