- RegieJan Schmidt-Garre
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2023
- Dauer90 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen
Filmkritik
Wenn Balkrishna Vithaldas Doshi über Architektur, Form, Licht und über Menschen in Räumen spricht, hat er gerne einen Stift zur Hand. Unmittelbar und mit nur wenigen Strichen materialisieren sich seine Gedanken auf dem Papier. In „Das Versprechen“ von Jan-Schmidt-Garre sieht man den indischen Architekten oft über ein Zeichenbrett gebeugt. Doshi notiert Begriffe, zeichnet Grundrisse und kommt darüber ins lebendige Erzählen. Dabei ist das Zeichenbrett auch ein Ort imaginärer Gespräche. Das „historische“ Objekt stand im Pariser Büro des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier, für den er Anfang der 1950er-Jahre arbeitete. Doshi nennt ihn offenherzig seinen „Guru“.
Balkrishna Doshi, 1927 in Pune in Indien geboren und kurz nach den Dreharbeiten des Films im Alter von 95 Jahren in Ahmedabad verstorben, seinem Wohnsitz und dem Ort seiner wichtigsten Bauwerke, zählt zu den einflussreichsten Pionieren moderner Architektur in Indien. Seit den 1950er-Jahren realisierte er mehr als 100 Gebäude, darunter Verwaltungs- und Kultureinrichtungen, Siedlungen und Wohnhäuser.
Nachhaltig und ohne Klimaanlage
Von der modernen Formensprache von Le Corbusier und Louis Kahn ausgehend, für die er als junger Architekt tätig war, entwickelte er ein eigenes ästhetisches Vokabular, im Einklang mit lokalen (klimatischen wie sozialen) Bedürfnissen und indischen Traditionen. Der heute allgegenwärtige Begriff der Nachhaltigkeit findet sich bei Doshi schon in den 1960er-Jahren realisiert. Mit dem „Institute of Indology“, einer Einrichtung, die ein Archiv, ein Forschungszentrum und ein Museum umfasst, baute er das erste Gebäude, das durch seine nachhaltige Bauweise keine Klimaanlage brauchte.
Der Filmemacher Jan-Schmidt-Garre dreht häufig Dokumentarfilme zu Musik und Kunst – etwa Porträts über die Künstler Andreas Gursky, Olafur Eliasson oder John Baldessari. In seinem jüngsten Film mit dem etwas aufgeladenen Titel „Das Versprechen“ nähert er sich dem Architekten weniger über dessen Biografie als über den Raum. Das Ergebnis ist eine Art exklusive Führung durch Doshis wichtigste Bauwerke – vor Ort wie auf dem Papier. Mit Anekdotischem hält sich Garre dabei nicht auf, und auch auf Interviews mit anderen Protagonist:innen wird verzichtet. Dass biografische Wegmarken in Form von Texttafeln eingeblendet werden, hat zwar etwas Lehrfilmhaftes, lässt dafür aber mehr Raum für die kreative Arbeit.
Doshis erster Auftrag war eine Gesamtschule, die er wie ein kleines Dorf gestaltete – mit Wegen zwischen den Gebäuden, eher niedrigen Decken und multifunktionalen Räumen. Die Architektur sollte nicht einschüchtern, sondern die Vielschichtigkeit des Lebens lehren. Seine Arbeit für Le Corbusiers Bauten in Ahmedabad, darunter das Sarabhai House und das Mill Owner’s Building (das auch dem Spielfilm „Brownian Movement“ von Nanouk Leopold eine Rolle spielt) waren prägende Stationen in seinem Leben und nehmen auch im Film einen wichtigen Platz ein.
Ein wacher, präsenter Mensch
Doshi, der 2018 mit dem renommierten Pritzker-Preis ausgezeichnet, zeigt sich im Film nie als Büromensch oder Architekturstar; mit fast kindlicher Begeisterung führt er durch das Areal seines 1956 gegründeten Architekturbüros, in dem man den Eingang nicht ohne Weiteres findet und erst einmal auf Umwege geschickt wird. In seinem Privathaus erklärt er die Einfachheit des Grundrisses; an der Hochschule für Architektur CEPT, die er Anfang der 1960er-Jahre in Ahmedabad gründete, besucht er mit ehemaligen Studierenden die Ateliers. Egal wo er auftaucht, wirkt Doshi stets lebendig und wach, erfahren und weise, aber doch irgendwie alterslos. Auf den Straßen des wuseligen Stadtviertels, wo er sein erstes Büro hatte, kennt man ihn; die Menschen bleiben stehen und machen Selfies.
Auch die Idee des sozialen Wohnens ist eng mit dem Namen Doshi verbunden. Im Jahr 1989 plante und baute er in Indore das Aranya Low Costing House, eine bezahlbare Wohnanlage mit Wohneinheiten, die auf Modifizierbarkeit angelegt waren. Im Film führen einige der Bewohner:innen durch ihre inzwischen um Treppen und Stockwerke erweiterten Häuser.
Vom hagiografischen Tonfall, der so vielen Künstlerporträts eigen ist, hebt sich „Das Versprechen“ auf angenehme Weise ab. Der Mensch soll vor der Architektur schließlich nicht auf die Knie gehen, sondern darin leben und sich entwickeln. Eine im Grunde einfache Idee, die aber zu selten Umsetzung erfährt.