- RegieJonas Rothlaender
- Dauer102 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
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Filmkritik
Gleich zu Beginn liest ein Mann darüber, wie ein anderer Mann seine Sexualität im Sado-Maso-Bereich auszuleben begann. Zunächst scheint es, als spräche der Mann vor der Kamera von eigenen Erlebnissen, doch bald wird klar, dass er sich diesen Text nicht so recht aneignen kann, ähnlich einem ungeübten Schauspieler, der mit der anderen, fremden Sprache kämpft. Als er am Ende angekommen ist, folgt die Frage: „Was denkst du über den Mann?“, die auch in der Folge die jeweiligen Gesprächssituationen einleitet. Als Antwort kommt hier erstmal nur: „Puh“, vielleicht aus Erleichterung, den Text bewältigt zu haben. Darauf folgen kurze Clips mit anderen Männern, alle zwischen Mitte 20 und Mitte 40, die vor der Kamera ihre Texte erhalten.
Auf der Grundlage der jeweiligen Lesetexte finden die Männer einen Bezug zu ihrer eigenen Biografie, zu Erlebnissen und Erkenntnissen, Wünschen und Erwartungen, aber auch zu Verletzungen und Ängsten, die sie mit sexuellen Erfahrungen verbinden. Einer der Textautoren schildert in einer Mischung aus Entrüstung und Heiterkeit sein „erstes Mal“ – die Frau wollte nicht, dass er stöhnt, und er fügte sich. Anhand dieses Textes entspinnt sich ein Gespräch über Männlichkeitsklischees, Unsicherheit und den Zwang zur Anpassung.
Freud und Leid des Mannseins
Es geht also um Freud und Leid des Mannseins, weniger um sexuelle Vorlieben oder um Beziehungserfahrungen. Im Vordergrund steht dabei die Auseinandersetzung mit Rollenklischees und der Umgang mit der eigenen Männlichkeit. Die meisten haben zu Beginn wenig Erfahrung, darüber zu sprechen. Doch in der Regel öffnen sie sich, reden über Ansprüche und Erwartungen von Frauen und umgekehrt, aber auch über nicht verarbeitete Trennungsgeschichten. Dominanz und Aggression sind ebenfalls wichtige Inhalte, aber auch das männliche Selbstverständnis, der Wunsch nach Anerkennung und unerfüllte Sehnsüchte wie Geborgenheit und Hingabe.
Insgesamt werden viele Themen angeschnitten und reflektiert, teils mit analytischem, teils mit bekenntnishaftem Charakter. Daraus resultiert ein relativ umfassender, vielleicht nicht unbedingt repräsentativer, aber durchweg interessanter Querschnitt durch männliche Gefühls- und Gedankenwelten. Bei den meisten wird dabei ein Wunsch nach Orientierung deutlich und nach mehr Vertrauen. Erstaunlicherweise wirken viele extrem unsicher, sowohl was ihr Selbstbild betrifft, als auch ihre Sexualität. Das verliert aber im Laufe der Zeit an Substanz, zumal keine Entwicklungen oder Handlungsstränge sichtbar werden. Im Gesamtbild wirken die Männer extrem selbstkritisch und sensibel, also alles andere als aggressiv und dominant – zwei Eigenschaften, mit denen sie sich bewusst auseinandersetzen. Manche Interviewpartner bieten schon dadurch eine willkommene Abwechslung, dass sie etwas weniger angepasst wirken, so wie der „Schürzenjäger“, der sich nicht binden kann oder will.
Lauter sprachfähige Großstadtmänner
Jonas Rothlaender sucht in seinem Interviewfilm eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner: eine Gesprächsgrundlage für die Auseinandersetzung mit männlicher Sexualität und Männerklischees. Der Film provoziert nicht, er stellt nichts in Frage. Das filmische Muster ist immer gleich: Der Text eines anonymen Mannes wird in einem offenbar gleichbleibenden Raum von einem ebenfalls anonymen Mann gelesen, über Nachfragen des unsichtbaren Regisseurs entwickelt sich ein mehr oder weniger monologischer Diskurs über seine eigene Beziehung zur Sexualität. Dieses minimalistische, vielleicht auch etwas einfallslose Konzept gibt dem Film eine relativ starre Struktur. Die visuelle Darstellung mit Talking Heads und die Kameraeinstellungen variieren nur wenig. Auch stellt sich ein gewisser Ermüdungseffekt ein, weil ein bestimmter Typus Mann dominiert: urban, gebildet, wortgewandt, meist zwischen 30 und 40. Mindestens zwei Männer sind nicht eindeutig heterosexuell orientiert, was aber nicht weiter thematisiert wird.
Generell sind die Schilderungen alles andere als pornografisch, manchmal wirken die Äußerungen geradezu weichgespült; statt „Dirty Talk“ dominiert eine um Sensibilität bemühte Bekenntnissprache, die vielleicht im vorauseilenden Gehorsam die Erwartungshaltung von Frauen erfüllen soll. Der persönliche oder berufliche Hintergrund der Männer wird lediglich zufällig erwähnt. Hier steht nicht das Einzelschicksal im Fokus, sondern das Bild des Mannes in der heutigen Zeit.
Kein Interesse an männlicher Dominanz
Wirklich überraschend ist dabei nur, wie unsicher alle sind. In den Lesetexten geht es um alltägliche sexuelle Erfahrungen und Wünsche oder um extremere Situationen, um Verletzungen und Gewalt. Doch auch hier bleiben die Schilderungen meist jugendfrei. Außerdem erstaunt, wie stark sich Männer offenbar von der Anerkennung durch Frauen abhängig machen und wie anpassungsbereit sie sind. Gleiches gilt für „Das starke Geschlecht“: Der Film polarisiert nicht, er ist wenig spektakulär, und er zeugt davon, dass zumindest gebildete, sympathische, sprachgewandte Großstadtmänner um die 35 mit einer männlichen Dominanz nichts oder nichts mehr zu tun haben wollen.