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Filmkritik
Der neunjährige Samay lebt mit seiner verarmten Familie in dem Dorf Chalala im indischen Bundesstaat Gujarat. In seiner Freizeit hilft er seinem Vater Bapuji, der auf einem Provinzbahnhof Tee an Reisende verkauft. Bapuji ist ein Brahmane und gehört damit der höchsten indischen Kaste an. Durch einen Betrug seiner Brüder verlor er jedoch seine Viehherde. In seinen Augen ist das Kino etwas Anstößiges. Dennoch fährt er mit seiner Frau Baa, seiner kleinen Tochter und Samay in die Stadt, um einen religiösen Film anzusehen. Der Junge ist von seinem ersten Kinobesuch so fasziniert, dass er fortan jede Gelegenheit nutzt, um mit dem Zug ins abgetakelte Kino Galaxy zu gelangen. Dort freundet er sich mit dem Filmvorführer Fazal an, der die Kochkünste von Samays Mutter schätzt und ihn deshalb vom Vorführraum aus Filme schauen lässt, solange er den Inhalt der Lunchbox des Jungen genießen darf.
Samay schwänzt oft die Schule, um im Kino in die fantastischen Filmwelten einzutauchen. Seine unschuldige Begeisterung für die Gestaltungsmöglichkeiten des Lichts und die Erzeugung von Bewegtbildern überträgt er auf eine Handvoll gleichaltriger Freunde, die gemeinsam aus Schrottmaterialien eine Laterna magica und dann eine primitive Projektionsapparatur basteln, um Bilder in Bewegung zu versetzen. Als die Jungs herausfinden, wo die Metallkisten mit den Filmrollen für die Kinos der Gegend zwischengelagert werden, stehlen sie einige Rollen, um ihren Behelfsprojektor auszuprobieren. Doch dann durchkreuzt der Einzug der digitalen Technik Samays Pläne, der lernen will, wie man mit bewegten Bildern Geschichten erzählen kann. Denn auch im Galaxy-Kino verdrängt ein steriles digitales Gerät den alten Projektor, der ebenso entsorgt wird wie die ausgedienten Filmrollen. Auch Fazal verliert seinen Job, weil er kein Englisch sprechen kann.
Eine Hommage an berühmte Vorbilder
Der Spielfilm von Pan Nalin, der allein schon wegen der tiefen Freundschaft zwischen einem Knaben und einem Filmvorführer unübersehbar auf den Spuren des italienischen Filmklassikers „Cinema Paradiso“ (1988) wandelt, ist autobiografisch inspiriert. Wie sein filmisches Alter Ego wuchs Nalin in einem abgelegenen Dorf im Bundesstaat Gujarat auf und half bis zu seinem zwölften Lebensjahr seinem Vater als Teeverkäufer auf einem Bahnhof. Auch betätigte er sich lieber kreativ, als in die Schule zu gehen, und verließ die Familie in jungen Jahren, um sich dem Kino zu widmen. Nalin gelang 2001 mit seinem ersten langen Spielfilm „Samsara – Geist und Leidenschaft“ der Durchbruch.
Gleich zu Beginn von „Das Licht, aus dem die Träume sind“ legt der Filmemacher ein cineastisches Bekenntnis ab, indem er einigen Kinopionieren für die „Illumination des Wegs“ dankt: den Brüdern Lumière, Eadweard Muybridge, David Lean, Stanley Kubrick und Andrej Tarkowski. Das Finale verneigt sich vor indischen Filmstars und weiteren Regie-Größen von Hitchcock bis Fellini. In der bedächtigen Inszenierung tauchen überdies immer wieder Anspielungen und Reverenzen an Kinogrößen auf, etwa wenn am Anfang wie in „Ankunft eines Zuges in La Ciotat“ (1896) ein Zug auf die Kamera zufährt oder Kubricks experimentelle Farbkompositionen aus „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) sich auf Samays Gesicht spiegeln. Oder wenn Samay und zwei Begleiter auf einer Draisine zum Kino eilen – eine Hommage an Nalins Lieblingsfilm „Stalker“ (1979) von Andrej Tarkowski.
Aus der Perspektive des jungen Filmliebhabers
Der Film ist konsequent aus der Kinderperspektive erzählt und ruht weitgehend auf den schmalen Schultern des neunjährigen Hauptdarstellers Bhavin Rabari, der ebenfalls aus Gujarat stammt und sich im Casting gegen 3000 Bewerber durchsetzte. Mit seinem natürlichen Spiel und einer erstaunlichen Kamerapräsenz kann er verständlich machen, wie man verrückt nach Kino werden kann und wie diese Leidenschaft ein Leben für immer verändert. In einer Schlüsselszene gesteht Samay seinem Vater: „Ich möchte das Licht studieren. Denn aus Licht werden Geschichten und aus Geschichten werden Filme.“ Kameramann Swapnil Sonawane gelingt es auf vielfältige Weise, Samays Liebe zum natürlichen und künstlichen Licht und dessen kreative Bearbeitung in poetischen Szenen zu veranschaulichen, etwa wenn Samay und seine Bande sich Sonnenbrillen aus bunten Filmschnipseln basteln und damit durchs Dorf radeln. Wenn die Kamera bei den häufigen Bahnfahrten in elegischer Manier über die sonnenüberfluteten Landschaften Gujarats hinwegschweift, ist David Leans visuelle Ausdruckskraft nicht fern.
Trotz des Trends zum Lyrischen meidet Nalin jedoch allzu nostalgische oder sentimentale Töne, wenn es ums zentrale Spannungsverhältnis zwischen Fantasie und Realismus geht. Samays naive Filmemacher-Träume werden überdies in den sozialen Kontext einer mittellosen Brahmanen-Familie eingebettet, die sich für ihren Sohn nicht einmal eine höhere Schulbildung leisten kann. Dass sich der Film im Mittelteil einige Längen erlaubt, verzeiht man dieser liebevollen filmischen Heldenreise gerne.