Vorstellungen
Filmkritik
Im Jahr 1979 kehrt der 25-jährige Pierre Jarjeau von einer Farm im Bundesstaat Wyoming in die französische Provinz zurück. Dort übernimmt er mit seiner Jugendliebe Claire den großen Bauernhof seines Vaters Jacques. Allerdings vererbt der hartherzige Alte den Betrieb nicht, sondern verkauft ihn zum normalen Preis und sichert sich obendrein eine jährliche Pachtzahlung. Pierre steckt voller Tatendrang und nimmt einen hohen Bankkredit in Kauf, um den Hof endlich zu modernisieren.
Der Hof kommt nicht aus den roten Zahlen
Etliche Jahre lebt das Ehepaar Jarjeau zufrieden auf dem Land und bekommt zwei Kindern, Thomas und Emma.17 Jahre später baut Pierre einen großen Stall für eine neue Ziegenzucht, um den Betrieb der technischen Entwicklung und den Zwängen der Globalisierung anzupassen. Doch trotz der harten Schufterei kommt der Hof nicht aus den roten Zahlen. Im Gegenteil: Weil Pierre sich von der Agrarindustrie, der Genossenschaft und der Bank dazu verleiten lässt, weiter in großem Stil per Kredit in Erweiterungen zu investieren, wachsen die Schulden. Aus Geldmangel sieht sich Claire gezwungen, einen Halbtagesjob als Buchhalterin anzunehmen. Derweil hilft Sohn Thomas, der ein Gymnasium besucht, in seiner Freizeit auf den weitläufigen Feldern tatkräftig mit.
Trotz der Finanznot kann sich Pierre nicht dazu durchringen, seinen rechthaberischen Vater um Hilfe zu bitten. Doch dann zerstört eines Nachts ein Feuer den neuen Stall. Dieser Rückschlag wirft Pierre aus der Bahn. Er kann nicht mehr arbeiten, schläft oder sitzt nur noch rauchend zu Hause herum und verfällt in depressive Zustände. Als er eines Tages bei einem Streit Frau und Kinder mit dem Messer bedroht, sieht Claire keinen anderen Ausweg und sorgt dafür, dass ein Arzt Pierre in eine geschlossene Klinik einweist. Nach einiger Zeit kehrt er – anscheinend geheilt – zur Familie zurück, die ihn freudig aufnimmt.
Eine autobiografische Geschichte
Es ist kein Zufall, dass Regisseur Edouard Bergeon in seinem ersten langen Spielfilm ein so authentisch wirkendes Porträt einer Bauernfamilie zeichnet und die ökonomischen Nöte der französischen Bauern in ausgehenden 20. Jahrhundert stimmig schildert. Denn er erzählt, inspiriert vom Leben seines Vaters, der am Ende des Films im Ausschnitt eines Familienvideos zu sehen ist, eine autobiografische Geschichte. Bergeon stammt von Landwirten ab; er wuchs mit seiner Schwester auf einem Bauernhof bei Poitiers auf und kennt das Landleben sehr gut. Zudem hat der Filmemacher seit 2010 mehrere dokumentarische Kurz- und Fernsehfilme sowie Serien vorgelegt. Dazu gehört die Dokumentation „Le fils de la terre“ (2012), die sich mit Selbsttötungen von Landwirten in Frankreich befasst und auch den Tod seines Vater Christian Bergeon 1999 aufgreift.
Das Familiendrama, das in den französischen Kinos trotz der düsteren Thematik zu einem Überraschungshit avancierte, verknüpft souverän drei Sujets: einen starken Vater-Sohn-Konflikt, die schleichende Erosion einer Familie und die ökonomische Misere der Landwirte.
Mit subtiler Finesse zeichnet „Das Land meines Vaters“ den tragischen Niedergang der Bauernfamilie nach. So sehr sich Vater, Mutter und Kinder auch lieben und sich verzweifelt gegen Krankheit und Insolvenz stellen, können sie den familiären Zerfall nicht verhindern. Für Irritationen dürfte nicht zuletzt das widersprüchliche Verhalten des alten Jacques sorgen, der zwar einerseits betont, wie wichtig es ist, dass der Hof in der Familie bleibt, ihn aber nicht einfach vererbt, sondern teuer an den Sohn verkauft.
Im Schwitzkasten der Agrarindustrie
Zwar macht Pierre gleich zu Beginn Fehler, indem er sich eine zu große Schuldenlast aufbürdet und trotz sinkender Preise und eines wachsenden Konkurrenzdrucks mehrfach waghalsig investiert. Doch Bergeon zeigt auch ausführlich, wie der Landwirt zum Opfer eines profitorientierten Agrarsystems wird, in dem Saatgut- und Chemiekonzerne, Landwirtschaftskammer und Banken mit vereinten Kräften eine skrupellose Strategie der Technisierung der Landwirtschaft verfolgen, die in der Konsequenz kleine Höfe in den Abgrund treibt. Die politischen Seitenhiebe schließen auch EU-Bürokratie und Bauernverbände ein. Im Abspann erfährt man, dass in Frankreich zurzeit jeden Tag ein Bauer den Freitod wählt.
Mit Guillaume Canet hat der Regisseur einen ausdrucksstarken Hauptdarsteller gefunden, der jugendlichen Eifer ebenso überzeugend auf die Leinwand bringt wie stille Verzweiflung oder ohnmächtige Depression. Die Belgierin Veerle Baetens stehen ihm als aufopferungsvolle Claire und der französische Altstar Rufus als knorriger Patriarch aber kaum nach.
„Das Land meines Vaters“ erzählt die Familiengeschichte über zwei Jahrzehnte hinweg geradlinig und chronologisch. Mit zwei Ausnahmen: Die Eingangssequenz zeigt, wie der gealterte Protagonist verstört über einen langen Acker stampft, und kurz vor Schluss gibt ein Besuch Claires an einem einsamen Strand Gelegenheit für eine Rückblende zu fröhlichen sommerlichen Urlaubstagen. Gelegentliche Schwarzblenden gliedern den Erzählfluss in größere Abschnitte.
Nahe an den Figuren
Kameramann Éric Dumont fängt die einsame Hügellandschaft in der Region Alpes Mancelles in großzügigen Panoramen im CinemaScope-Format ein, die nicht zufällig an die Western erinnern, während die Kamera in den eher kammerspielartigen Szenen auf dem Bauernhof oft nahe an den Figuren bleibt. Bemerkenswert ist die große Bandbreite an Lichtstimmungen, um die Gefühlszustände zu visualisieren – von den warmen Farbtönen auf goldgelben Weizenfeldern bis zu den kühlen und trüben Herbstfarben, die die depressiven Schübe Pierres begleiten.