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Filmplakat von Das Glaszimmer

Das Glaszimmer

93 min | Drama, Family, Kriegsfilm | FSK 12
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1945, kurz vor Kriegsende: Anna und ihr elfjähriger Sohn Felix flüchten aus dem zerbombten München und suchen Unterschlupf in Annas Heimatdorf. Schnell wird klar, dass Anna und Felix, die in München in einem liberalen Musikerumfeld zuhause waren, nicht so recht in das kleine Dorf passen. Ihr Nachbar Feik, ein alter Schulfreund von Anna, hat sich zum strammen Nazianhänger entwickelt. Feik hat es sich zur Aufgabe gemacht das ganze Dorf auf Linie zu halten. Während Anna nur schwer die überzeugte Nationalsozialistin im Dorf spielen kann, will Felix um jeden Preis vermeiden als Außenseiter zu wirken, und so lässt er sich schnell durch die Nazi- Propaganda von Feik und seinem Sohn Karri blenden. Zum Glück findet Felix im neuen Haus einen geheimnisvollen Rückzugsort: ein magisches, funkelndes „Glaszimmer“. Erst nachdem Felix die Ungerechtigkeiten des Krieges zu spüren bekommt erkennt er, dass Familie und Freundschaft wichtiger sind als jegliche Ideologie.

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Filmkritik

Die Bomben fallen auch auf München; ihr Haus hat bald kein Dach mehr. Deshalb flieht Anna (Lisa Wagner) mit ihrem elfjährigen Sohn Felix (Xari Wimbauer) in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges aus der Großstadt zurück in ihr Heimatdorf in Niederbayern. Dort kennen die Leute sie noch. Ihr alter Schulkamerad Feik ist die lokale Parteigröße, der Feiern und Treffen ausrichtet. Wegen eines kaputten Beins kann er nicht selbst an die Front, aber seine Begeisterung für Hitler ist umso größer.

Felix hat etwas Mühe, sich zurechtzufinden, zumal Feiks Sohn Karri (Luis Vorbach) ihm sehr schnell und mit Gewalt klarmacht, wer hier bei den Kindern das Sagen hat. Felix möchte kein Außenseiter sein; also spielt er mit Karri, Martha (Hannah Yoshimi Hagg) und dem Flüchtlingskind Tofan (David Benkovitch) zusammen „Westfront“, macht bei Mutproben im stillgelegten Sägewerk mit und schießt bei der Wehrübung mit dem Maschinengewehr.

Der Krieg ist allgegenwärtig

Der Krieg ist allgegenwärtig in „Das Glaszimmer“ – nicht nur in den Gesprächen der Eltern und im heimlichen Geflüster, dass er schon verloren sei, sondern auch in den Spielen der Kinder und in ihrem Kennenlernen. Als ein paar Bomben fallen, suchen Martha und Felix nach heißen Granatensplittern; nur knapp entgehen sie der Explosion eines Spätzünders.

Immer schwingt die Frage mit, wo die Väter sind: Warum Feik nicht an der Front ist, dass Marthas Vater sich lieber umgebracht hat als zurück in den Krieg zu gehen. „Ich glaube nicht, dass mein Vater feige war“, sagt sie, aber die Jungs haben da schon aus den Reden im Radio und auf „Heldenfeiern“ aufgesaugt, dass es um den Endsieg geht, ums Vaterland.

Bei Felix ist das eine schrittweise Gewöhnung und Anpassung. Das Stadtkind aus liberalem Haushalt, dessen Vater Musiker ist, wirkt blass, fast durchsichtig; er interessiert sich anfangs eher für das Lebendige: kleine Rattenbabys, Tiere und Gras. Sein Lieblingszimmer im neuen alten Haus ist ein Raum, in dem ganz viele bunte Glassplitter das Licht einfärben.

Fast beiläufige Gewalt

Die Verrohung kommt vor allem mit Karri, der wiederum das Gehabe seines Vaters nachahmt, mit fast beiläufiger Gewalt und überall integrierten Mechanismen von Ausschluss und Ausgrenzung. Tofan ist sein liebstes Opfer: „Nichts da, Flüchtling, du bist der Feind und bleibst der Feind.“

Das Drehbuch von Regisseur Christian Lerch und Josef Einwanger (auf dessen Kindheitserinnerungen es beruht) besitzt ein feines Gespür dafür, wie dieses Freund/Feind-Schema den Alltag infiltriert, in dem jede klein Abweichung mit Strafen, gerne auch physischen, geahndet werden kann. Das führt schließlich sogar dazu, dass Felix und Karri ein Feuer in der Scheune von Tofans Familie legen – und damit nicht nur den Jungen in Gefahr bringen.

Die Nachricht, dass Felix’ Vater Bernd (Hans Löw) an der Front gestorben sei, platzt mitten in den Hochzeitstag von Bernd und Anna. Felix will das erst nicht wahrhaben und kommt noch viel weniger damit zurecht, als Bernd wenige Tage später in einem Versteck im Sägewerk auftaucht. Sein Vater, ein feiger Deserteur?

Alles ist unruhig und beengt

Lerch inszeniert die Wochen im April 1945 als beengte, bedrückende Erfahrung. Die Kamera bleibt immer nahe an den Figuren, knapp über Hüfthöhe, was dafür sorgt, dass die blassen Bilder nie an Weite gewinnen; die Handkamera steht niemals ganz still. Es ist alles unruhig und beklemmend, die wenigen Totalen und Luftaufnahmen wirken wie Fremdkörper in diesem Film.

Musik und Ton stehen allerdings zuweilen in sehr schrägem Kontrast dazu; in den ersten Szenen im Münchner Bunker hört man ein Ticken wie von einer Uhr, die Fahrt aufs Land wird als Befreiung mit leichter Streichermusik begleitet, zum Hindernislauf der Wehrübung gibt es sogar spannungsvolle E-Gitarre. Da läuft der Film dem Anspruch von Christian Lerchs Anspruch hinterher, „Identifikationsmomente zu schaffen, die heute junge Zuschauer*innen begeistern.“

Im Prinzip funktioniert das aber. Die Versuchung des Nationalsozialismus über sein Gemeinschaftsversprechen, auch seine in jeden Satz sickernden Diktionen und Haltungen werden spürbar, sichtbar, hörbar – dabei bleibt es aber auch. Der Krieg im Hintergrund wirkt seltsam vage, ohne Gegner und ohne Grund; vom Endsieg ist die Rede und von den Amerikanern, aber sonst wirkt er wie eine Macht, die einfach über die Menschen gekommen ist. „Es muss wieder Ruhe in die Herzen“, wünscht sich eine Figur zum Ende hin, an dem das Happy End durch die Niederlage (und einen cleveren Akt der Desinformation) gesichert wird.

Die Machtstrukturen bleiben unsichtbar

Aber die Machtstrukturen dahinter, die über Ausgrenzung und Beschimpfung hinausgehen, bleiben unsichtbar. Es gibt den Obernazi und den aufrechten Bauern, der den Leichnam eines abgeschossenen US-Piloten nicht einfach liegenlassen will, und es gibt ganz viele stille Mitläuferinnen und Mitläufer. Aber es gibt hier keinen Mord an den europäischen Juden, es gibt keine systematischen Verfolgungen, keine hingerichteten Menschen aus dem Widerstand. Kein Wort davon, nicht einmal eine Andeutung.

„Das Glaszimmer“ wählt bewusst die Perspektive eines Kindes, das von all diesen Dingen nichts wissen kann, das sich anpassen will und verführt wird. Verführt allerdings weniger durch Inhalte als durch Formen, Zusammenhalt, Vorgesagtes. Aber muss der Film diese Unwissenheit des Kindes teilen? Er kann sich natürlich dafür entscheiden. Aber dann spricht „Das Glaszimmer“ eben auch nur recht allgemein davon, dass Krieg schlecht ist und Gemeinschaft ein gefährliches Monstrum sein kann. Hitlerbilder und Hakenkreuzflagge sind dann nur historische Staffage; die ganz spezifische Bösartigkeit dieser Zeit, die Verbrechen der Deutschen bleiben außerhalb der Perspektive dieser Kamera, die Hintergründe nicht sehen kann.

Es ist für einen deutschen Film über den Zweiten Weltkrieg schwierig, sich so um die Schuldfrage und den Holocaust herumzudrücken. Man kann diese furchtbaren Themen auch für Kinder durchaus angemessen aufbereiten; der französische Film „Fannys Reise“ und „Das große Geheimnis“ aus den Niederlanden haben das beispielsweise durchaus versucht.

Der Blick ins Dorf beschönigt nichts

„Das Glaszimmer“ ist allerdings weit davon entfernt, die deutsche Bevölkerung als Opfer darzustellen; der Blick in die kleine Dorfgemeinschaft mit Tätern und vielen Mitläufern beschönigt nichts. Der Fokus auf die Sogkraft einer Gemeinschaftsideologie für Kinder ist durchaus treffend. Doch indem der Film den sehr spezifischen historischen Kontext außen vorlässt, verliert er an Kraft und wird zu einer rein generischen Erzählung darüber, dass Krieg und Führerkult schlecht für die Menschen sind.

Erschienen auf filmdienst.deDas GlaszimmerVon: Rochus Wolff (27.8.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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