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Filmkritik
Eine hübsche unverheiratete Frau war früher auf dem Land ein begehrtes Objekt. Sie hatte nicht viel zu sagen, und alle möglichen Akteure meinten, über ihr Schicksal bestimmen zu können. Dabei möchte Jagna (Kamila Urzendowska) eigentlich nur ein wenig als Subjekt agieren und sich von anderen nicht vorschreiben lassen, was sie zu tun und wen sie zu lieben oder zu heiraten hat.
Doch in ihrem Dorf in der Nähe von Lodz hat es die junge Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht leicht. Der reichste Bauer des Ortes, der alternde Witwer Maciej (Miroslaw Baka), hat ein Auge auf sie geworfen. Mit Jagnas Mutter schließt er einen Handel ab. Er darf Jagna für sechs Hektar seines besten Landes haben, denn, so Jagnas Mutter: „Die Liebe kommt und geht, aber das Land bleibt.“
Alle sind zufrieden – bis auf Jagna. Denn sie liebt ausgerechnet Borynas Sohn Antek (Robert Gulaczyk), und er sie. Doch Antek ist bereits verheiratet, hat Kinder und steht ohnehin auf Kriegsfuß mit seinem Vater.
Im Dorf bleibt nichts verborgen
Antek fühlt sich von seinem fordernden Erzeuger gegängelt. Er mag das Bauernleben nicht, und noch weniger gefällt ihm, dass er mit seiner jungen Familie bei seinem Vater leben und nach dessen Pfeife tanzen muss. Heimlich trifft er sich mit Jagna am Teich, in der Scheune oder wo sie noch nicht gesehen werden. Die Liebestreffen der beiden dauern auch nach Jagnas Heirat mit Boryna an. Doch der Dorfgemeinschaft bleibt nichts verborgen. Bald ist Jagna als Hure verschrien, und der Konflikt zwischen Antek und Boryna erreicht seinen Höhepunkt.
Jagnas Geschichte erzählte der polnische Schriftsteller Wladyslaw Reymont in seinem mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Roman „Die Bauern“. Das Leben der polnischen Bauern, ihre Kämpfe untereinander, aber auch mit dem Gutsbesitzer und den russischen Besatzern sind ebenfalls Gegenstand des Romans. Die eigensinnigen Landarbeiter wurden von vielen polnischen Intellektuellen in einem „Bauernkult“ regelrecht verehrt. Der Film des Regie-Paares DK und Hugh Welchman zeigt allerdings auch ihre Borniertheit, ihren Aberglauben und ihre konservative Weltanschauung und schildert die Geschichte unter einem feministischeren Aspekt.
Der Fluch der Schönheit
Jagnas Schönheit ist mehr Fluch als Segen. Ständig wird sie von irgendwelchen Männern begehrt, während die Frauen ihr mit Neid und Häme begegnen. Richtig durchsetzen kann sie sich nicht. Sie ist ein Spielball der Interessen und hat keine andere Wahl, als sich zu fügen. Außer ihrem Talent, schöne Scherenschnitte zu erstellen, tut sich Jagna mit keinen anderen Fertigkeiten hervor. Insofern versteht man auch, wenn Anteks Frau Hanka ihr Untüchtigkeit vorwirft.
Für die im Dorf vorherrschende Doppelmoral gibt es allerdings keine Entschuldigung. Die meisten Männer, die von ihr abgewiesen werden, reagieren aggressiv, auch untereinander. Doch auch ihr Liebhaber Antek lässt den Frust über seine untragbaren Lebensumstände an ihr aus und wirft ihr jene vermeintliche Unsittlichkeit vor, die er selbst verursacht hat. Wie Männer Frauen ausnutzen und erniedrigen, zeigt der Film aus einer heutigen Perspektive.
Andererseits eignet sich Jagnas Schönheit auch hervorragend für den Stil des Films. Die Filmemacher, die auch schon für „Loving Vincent“ verantwortlich waren, haben den Film mit echten Schauspielern an speziell konstruierten Sets, die wie Landschaften aussehen, oder vor Green Screens gedreht. Anschließend wurden diese Bilder von über 100 Künstlern in Studios in Polen, Serbien, Litauen und der Ukraine mit Ölfarben übermalt und animiert. So können Landschaften, aber auch vestimentäre oder physische Details wie Jagnas im Wind wehendes oder sich beim Tanz wirbelndes Haar besonders hervorgehoben werden. Da die Produktion des Films in die Covid-19-Pandemie fiel, hatten die Macher mit Verzögerungen im künstlerischen Ablauf zu kämpfen. Seit 2022 kam noch der Krieg in der Ukraine hinzu, bei dem Mitarbeiterinnen aus der Ukraine nach Polen evakuiert werden mussten. Dass der Film dennoch fertiggestellt werden konnte, grenzt an ein Wunder.
Visuelle poetische Übergänge
Da die Story des Films (wie auch des Romans) in die vier ineinander übergehenden Jahreszeiten unterteilt ist, ergeben sich durch die Animation auch visuell poetische Übergänge. Nach einer dramatischen Szene im Winter fliegt ein Schwarm Vögel in den Frühling; im Dorf schmilzt der Schnee auf Feldern, Wiesen und den Dächern der Häuser und lässt ein buntes Spektrum an zuvor verdeckten Farben erkennen.
Auch thematisch überzeugt das Werk. Historische Kostüme und Ausstattung wirken sehr authentisch, etwa die Interieurs der Bauernhütten. Auch Szenen bei Wind und Wetter, wie die Mühen der Ernte, übersetzen die Animatoren in packende Szenen und beeindruckende Bildkompositionen. Als besonders beklemmend erweist sich jedoch der ständige Tratsch im Dorf. Auf Schritt und Tritt beobachten und bewerten die Dörfler:innen die Protagonistin – Parallelen zu heutigen Auswüchsen in sozialen Medien drängen sich auf.
Insofern beleuchtet der Film auch das Stadt-Land-Gefälle, das in Polen bis heute existiert. Zum anderen werden die Bauern in all ihrer Komplexität dargestellt. Der Film prangert bigotte Wertvorstellungen, vor allem in Bezug auf Frauen, die Angst vor Neuem und brachiale Gewalt sowie Missgunst und Habgier an.
Herrschsucht, Frust & Ärger
Andererseits zeigt „Das Flüstern der Felder“ aber auch die harschen Lebensbedingungen der Bauern, ihre Abhängigkeit vom Gutsherrn und ihr Aufbegehren gegen willkürliche Bestimmungen, das in einer blutigen Schlacht von Soldaten gegen Bauern im Schnee gipfelt. Warum der deutsche Verleih angesichts des Hauptthemas des Films nicht den Originaltitel „Die Bauern“ übernommen hat, gibt Rätsel auf. Während die Figur der Jagna etwas blass bleibt, beeindruckt vor allem einer der Bösewichter: der Bauer Boryna. Das Spiel von Miroslaw Baka lässt den Dorftyrannen dennoch als vielschichtigen Menschen erscheinen. Auch in der Animation sind seine Gesichtszüge noch deutlich zu erkennen – sie zeugen von Herrschsucht, aber auch von Frust, Verletzlichkeit und der Liebe zu einer Familie, die seine Gefühle nicht erwidert.