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Filmkritik
Schon der erste Auftritt ist eine Frechheit. Mitten im gestelzten Eröffnungsmonolog des von Schäfchen umtanzten Schauspielers Fleury plärrt es von hinten durchs Publikum: Er solle doch bitte aufhören mit dem Gestümpere. Der Soldat und Wortkünstler Cyrano de Bergerac seilt sich mit dramatischer Geste von den Rängen ab und konfrontiert den selbstgefälligen Schauspieler persönlich – zur Belustigung des gesamten Theaters, auch wenn dieser Auftritt nur einer einzigen Person gilt: seiner Jugendfreundin Roxanne, der er seine Liebe bisher nie gestehen konnte.
Mit Chuzpe stellt Cyrano sich gegen den versteinerten Barock des Theaters und der darin bespiegelten Gesellschaft. Schon dieser Auftakt setzt den Ton in der Neuinterpretation des Versdramas „Cyrano de Bergerac“ durch den britischen Regisseur Joe Wright. Auf dem Papier sah dieses Projekt zum Scheitern verurteilt aus: die Filmadaption einer Musicaladaption eines französischen Dramenklassikers, garniert mit der Musik einer amerikanischen Indie-Band. Die Kopie der Kopie der Kopie. Am Ende bleibt im besten Falle ein ähnlich groteskes Camp-Erlebnis übrig wie zuletzt bei Tom Hoopers unfreiwillig psychedelischer Verfilmung von „Cats“. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Musicalfilm „Cyrano“ funktioniert nicht nur glänzend, sondern ist einer der liebenswertesten und klügsten Filme des noch jungen Kinojahrs.
Das eine nicht gegen das andere ausspielen
Joe Wright hält bei diesem Unterfangen die Waage zwischen seinen ökonomisch erzählten und emotional dennoch vielschichtigen Romanadaptionen „Stolz und Vorurteil“ (2005) und „Abbitte“ (2007) und der überladenen Plüschigkeit seiner Tolstoi-Verfilmung „Anna Karenina“ (2012), die wie das Innere einer Schneekugel anmutete. Sein Mut zur hingebungsvollen Übertreibung kommt Wright in „Cyrano“ zugute, denn es gelingt ihm, die tragikomische Essenz des Versdramas mit dem Pomp des Musicals zu verknüpfen, ohne das eine gegen das andere auszuspielen.
Die Handlung vom unglücklich verliebten Cyrano bleibt dabei im Kern erhalten. Im Original traut der im Wortgefecht wie im Schwertkampf tapfere Cyrano sich seiner entstellenden Nase wegen nicht, seiner Angebeteten Roxanne die Liebe zu gestehen – und hilft deshalb ihrem Schwarm Christian, Liebesbriefe an sie zuschreiben. „I will make you eloquent, while you make me handsome“, verspricht er ihm.
Wright folgt der Musicalbesetzung seiner Drehbuchautorin Erica Schmidt. In ihrer Off-Broadway-Produktion hatte sie ihren Ehemann Peter Dinklage als Cyrano besetzt, der als Tyrion Lannister in der Fantasy-Serie „Game of Thrones“ bekannt wurde. Die bringt eine zentrale Veränderung mit sich. Während in allen bisherigen Inszenierungen die Schauspieler eine künstliche Nase tragen, nutzt Dinklage seine kleine Körpergröße, um Cyranos Andersartigkeit zu markieren. Aus einem im wahrsten Sinne des Wortes aufgesetzten Makel wird damit ein Akt der Repräsentation, der Cyranos Abgeklärtheit im Umgang mit kontinuierlichem Spott auch auf Produktionsebene reflektiert.
Ein hoffnungsloser Romantiker
Peter Dinklage, der durch seine Bandbreite zwischen herablassender Verachtung, unterdrückter Wut und augenrollender Langeweile für sich schon eine Naturgewalt ist, legt hier nochmal eins drauf, indem er sich zurücknimmt. Mit lediglich einem kurzen Seitenblick unter den Augenbrauen hervor fasst er die tiefsitzende Melancholie dieses Mannes in kurzen Momenten der Unachtsamkeit zusammen. Diese leisen Augenblicke machen seinen Cyrano so greifbar und anziehend und locken aus der Karikatur der Übertreibung sein Innerstes hervor: einen hoffnungslosen Romantiker.
So redegewandt und gewitzt Cyrano sich auch präsentiert, ist seine Geschichte letztlich eine Tragödie über die vernichtende Kraft von Stolz und Selbstzweifeln. Während Cyranos Gegner, der Herzog de Guiche, sein selbstherrliches und durch und durch widerliches Inneres mit Pomp und Puder überdeckt zur Schau stellt (herrlich bösartig und mit einem bombastischen Auftritt zu Kuschelrock-Gitarren gespielt von Ben Mendelsohn), muss Cyrano seine Unsicherheiten hinter Schläue und Schlagfertigkeit verstecken. Seiner Einsamkeit wohnt ein gewisses Pathos inne, und so münden seine Wortkaskaden immer wieder in regelrechte Rap-Einlagen, die seine rasenden Gedanken nur so heraussprudeln lassen. „My heart’s not even angry, that’s just the way that it breaks“, kontert er zu Beginn des Films eine Anfeindung und spricht letztlich ein prophetisches Urteil über sich selbst.
Rauschhafte Sequenzen anstelle von Leerlauf
Sprachrhythmus, Melodie und Tonalität verleihen dem visuellen Überschwang des Films als klug orchestrierte Ausdrucksmittel viel Struktur. „Cyrano“ gibt dem ursprünglichen Drama sein Rhythmusgefühl zurück, wenngleich nicht in den Originalversen, sondern in den wehmütigen Popballaden der amerikanischen Band „The National“, von der auch das 2018 uraufgeführte Musical stammt, auf dem der Film beruht. Wo andere Filme, die sich zentral um einen Briefwechsel drehen, lange Überbrückungen aus Lese- und Schreibpassagen konstruieren müssen, kann Wright genau diesen Leerlauf in rauschhafte Sequenzen übersetzen, die barocken Pomp mit modernen Inszenierungstechniken verschmelzen.
Joe Wright zieht hier alle Register. Wehende Vorhänge, Rüschenhemden und nebelige Überblendungen erinnern kurz an Musikvideos aus den 1980er-Jahren, und ein in langer Formation trainierendes Regiment wird in der Vogelperspektive zu einem sich dauerbewegenden Kaleidoskop aus Schwertern, das Busby Berkeley kaum schöner hätte erträumen können. Wright lässt sich jedoch nicht von der Abstraktion verleiten, sondern gibt sich vielmehr leichtfüßiger Exzentrik und wohltemperiertem Chaos hin – tanzende Schafe, Schwerterballett und eine absurd-märchenhafte Choreografie mit Brotlaiben in einer Bäckerei sind nur einige der Highlights.
Die Einsamkeit und der Weltschmerz
Abgefangen wird dieser Überschwang, als Cyrano und Christian gemeinsam in den Krieg ziehen müssen. Wright macht aus einer winterlichen Belagerung im Grau in Grau einer Berglandschaft ein anrührendes Kammerspiel zermürbter und vom Heimweh geplagter Kadetten, die Cyranos Einsamkeit im Weltschmerz von „The National“ spiegeln und den Überschwang des Musicals erneut emotional erden.