- RegieLevan Akin
- ProduktionsländerDänemark
- Produktionsjahr2024
- Dauer105 Minuten
- GenreDrama
- Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Was an Lias Erscheinung am markantesten auffällt, ist neben ihrem von starken Linien gezeichneten Gesicht der Gang: aufrecht und mit gleichmäßigen, aber entschlossenen Schritten, den Kopf leicht in den Nacken geworfen, wie um sich aufzurichten. In Lias Gang steckt Würde und Stolz, aber auch eine große Anstrengung. Als müsste sie all ihre Kräfte bündeln, um nicht zusammenzusacken.
Lia ist pensionierte Lehrerin und auf der Suche nach ihrer verschollenen Nichte Tekla. Auf dem Sterbebett ihrer Schwester hat sie ihr das Versprechen gegeben, sie zu finden. Der Auftrag führt sie zu Anfang des Films in einen trostlosen Haushalt in der georgischen Hafenort Batumi, die junge Frau soll, bevor sie in Istanbul untergetaucht ist, zuletzt in der Nachbarschaft gelebt haben. Man spricht der Besucherin Mitleid aus und redet in Andeutungen. Eine „Tragödie“ sei es, wenn in einer Familie „diese Dinge“ passieren. Gemeint ist: Tekla ist trans.
Der Jugendliche Achi, der bei seinem aufbrausenden Halbbruder und seiner Familie lebt, gibt vor, etwas über den Verbleib der Verschwundenen zu wissen und bietet sich als Begleitung mit Englisch-Kenntnissen an. Für ihn ist Lia vor allem eine Gelegenheit, seinen bedrückenden Lebensumständen zu entfliehen. Und so macht sich das ungleiche Gespann gemeinsam auf den Weg nach Istanbul.
Aus dem Haus verjagt
Mit seinem mitreißenden Film „Als wir tanzten“ gab Levan Akin, in Schweden geborener Regisseur mit georgischen Wurzeln, vor fünf Jahren der unterdrückten queeren Community Georgiens eine Stimme. Darin verband er die Freude an Bewegung und Tanz mit der Coming-out-Geschichte eines jungen Mannes und dem eindrücklichen Porträt eines Landes, das sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hartnäckig an nationale Traditionen klammert. „Crossing: Auf der Suche nach Tekla“ spielt weitgehend in Istanbul – und zum großen Teil in der LGBTQ-Szene um Clubs, NGOs und Sexarbeit –, aber das repressive Klima in Georgien ist deshalb nicht weniger Thema. Tekla wurde von der Familie aus dem Haus verjagt, auch Lia war das Ansehen der Familie wichtiger, als ihre Nichte zu beschützen.
Levan Akin verwebt die verschiedenen Erzählfäden in fluiden Bewegungen. Auf der Fähre über den Bosporus löst sich die Kamera von den beiden Protagonisten, um selbständig auf dem Schiff umherzuschweifen. Nachdem der Blick eine Weile auf zwei Roma-Kindern verweilt hat, findet sie in Evrim eine neue Figur, eine türkische Anwältin und Aktivistin für Trans-Rechte, die gerade die Änderung ihres Geschlechtseintrags erkämpft hat. Bis sie Lia und Achi bei der Suche hilft, schlagen sich die beiden allein auf den Straßen Istanbuls durch. Eben jene auf der Überfahrt nur flüchtig gestreiften Kinder bringen sie in ein Viertel, in dem Transpersonen in einem Haus zusammenleben und auf den Straßen arbeiten. Doch niemand kennt dort die Gesuchte – „No Tekla“.
Ungeachtet aller Sprachbarrieren
Die Suche ist für den Film ein Motor, aber das eigentliche Interesse liegt woanders. Levan Akin geht es eher darum, Menschen ungeachtet aller Sprachbarrieren und kultureller Prägungen zusammenzuführen und zwischen ihnen Momente von Verbundenheit und Wärme herzustellen, sei es auch nur für einen Augenblick, ein paar Stunden oder Tage. Zwischen Achi und Lia, die anfangs eine reine Zweckgemeinschaft bilden, entsteht eine unerwartet tiefe Bindung, und auch die Begegnung mit Evrim bringt etwas in Bewegung. „Crossing: Auf der Suche nach Tekla“ ist überhaupt ein Film der Bewegung: von Batumi nach Istanbul, unterwegs auf den belebten Straßen Istanbuls und den eher entlegenen Randvierteln, zwischen Geschlechtern und Identitäten, zwischen Generationen und Sprachen. Träger dieser Bewegung – der Titel „Crossing“ ist in seiner Mehrdeutigkeit zutreffend – ist immer wieder auch die Musik: von herzzerreißenden Volksliedern bis hin zu den pulsierenden Techno-Beats in den Clubs.
„Crossing: Auf der Suche nach Tekla“ zeigt neben der Solidarität aber auch die repressiven Seiten einer Gesellschaft, die sich an feste Geschlechterbilder klammert und alles Abweichende fürchtet – etwa, wenn Lias offensiver Flirt mit einem georgischen Landsmann nach einem anfangs herzlichen Austausch in dessen überstürzter Flucht endet. Und auch die in Istanbuls Nischen existierenden Toleranzräume für nicht-binäre Menschen sind begrenzt, sobald man mit den Autoritäten – Polizei, Ärzte und so weiter – in Berührung kommt.
Den Widrigkeiten zum Trotz schlägt Levan Akin einen grundsätzlich hoffnungsvollen – und vor allem kraftvollen – Ton an. Ob die Suche nach Tekla jemals erfüllt wird, ist ungewiss, aber auf dem Weg wartet Vieles darauf, gesehen und gefunden zu werden.