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Filmkritik
Entlang seiner Bahnstrecken bricht China in ein neues Zeitalter auf. Der Abspann von „Cloudy Mountain“ zeigt den atemberaubenden Fortschritt, den das Reich der Mitte in wenigen Jahrzehnten macht. Die sogenannten Eisenbahnpioniere heben Trassen aus, erklimmen Kräne, balancieren Streckenteile auf der Schulter durch reißende Flüsse und unwegsames Gelände und heben ganze Schienenabschnitte mit der Kraft hunderter gemeinsam anpackender Hände. Die Montage endet mit dem Zeitalter der modernen chinesischen Eisenbahn. Bullet Trains, High-Tech-Kräne und gewaltige Brücken, die Ozeane, Wüsten und Gebirge.
Die Karstlandschaften in Südchina gehören zu den kompliziertesten Gebirgen, die es für die zukunftsweisenden Großprojekte zu überwinden gilt. „Cloudy Mountain“ beginnt mit einem ebensolchen Großprojekt. Unter dem Druck der hochambitionierten Zeitvorgaben wird der Weg durch den Berg bis ins kleinste Detail berechnet, um in Anschluss mit der Macht von Ingenieurskunst und Sprengstoff in das Gestein gesprengt zu werden. Doch die geologische Ingenieursarbeit hält auch nicht kalkulierbare Risiken bereit. Einige unerwartet heftige Erdverschiebungen lassen bereits auf die erste Routinesprengung des Tages eine Katastrophe folgen. Der Wassereinbruch bringt die Bauarbeiten gänzlich zum Erliegen. Die eigentliche Katastrophe aber kommt erst mit dem nächsten seismischen Schock, der gewaltige Risse in den Berg und ein riesiges Sinkloch in der nahen Kleinstadt aufreißt. Mehrere Dutzend Menschen verschwinden in den Erdspalten. Mit der nächsten tektonischen Verschiebung droht die gesamte Bevölkerung am Fuß der Berge verschüttet zu werden.
Chinas heroischer Wissenschaftler treten an
Das Katastrophenschutzprogramm, das zu diesem Zeitpunkt bereits auf Hochtouren läuft, macht schnell klar, was die Arbeit der heroischen Eisenbahnpioniere geleistet hat: China ist eine Weltmacht, deren intellektuelle und technologische Findigkeit praktisch keine Grenzen kennt. Protagonist Yizhou (Zhu Yilong) ist der Wissenschaftler-Prototyp dieses Chinas, das im nationalen Filmschaffen, besonders in hochbudgetierten filmischen Kriegs- und Katastrophenepen, gerne präsentiert wird. Der Sohn eines Eisenbahnpioniers lebt ein pflichtbewusstes wie abenteuerliches Leben. Das kleine Zuhause, das er sich mit der Freundin teilt, ist gemütlich und zugleich bis unter das Dach mit High-Tech vollgestopft: ein High-End-Monitor auf dem Küchentisch, eine Drohne auf dem Beisteller und im Hintergrund: diverse Diplomurkunden, eine Karabiner-Garderobe und eine Mini-Kletterwand –schlichtweg alles, was es für ein Leben im Dienst von Wissenschaft und Vaterland braucht.
Getrieben von besagtem Pflichtbewusstsein lässt Yizhou am Tag der Katastrophe die Freundin zurück, um zum Berg aufzubrechen und an dessen kaum bekletterbarer Flanke Daten über seine geologische Beschaffenheit und die Auswirkungen der tektonischen Aktivitäten zu sammeln. Vater Hong Yunbing (Huang Zhizhong) wollte eigentlich zu Besuch kommen, wird auf dem Weg zum Berg aber selbst Zeuge der Katastrophe und wirft sich ebenfalls heroisch in die Bresche, um die Menschen zu retten, die das Sinkloch verschlungen hat. Das Vater-Sohn-Gespann, das sich seit dem tragischen Tod der Frau/Mutter zunehmend voneinander entfremdet hat, arbeitet sich nun von unterschiedlichen Seiten, mit modernen und traditionellen Techniken zur Rettung der Verschütteten durch den Berg.
Bergrettung mit allem High-Tech-Schnickschnack
Unter der Führung der Projektleiterin Ding Yajun, gespielt von Chen Shu, jener Darstellerin, die sowohl in Hollywood („Der Marsianer“) als auch bei heimischen Großproduktionen („Hunt Down“) in Führungspositionen glänzt, wird derweil das gesamte High-Tech-Schnickschnack-Arsenal mobilisiert, das es für die Bergrettung braucht. 3D-Simulationen, 5G-Netze, Drohnen, High-Tech-Kameras etc. Alles schwirrt um den wieder und wieder mit der Macht der CGI malträtierten Berg. Der Propaganda-Bombast, den Jun Li als gefälliger Kassenhit-Regisseur abliefert, dürfte exakt dem entsprechen, was die staatliche China Film Group Corporation sich unter Katastrophen-Kino vorstellt. Der Film vermag die Intensität nicht nur hochzuschrauben, sondern auch, über die Laufzeit und die generischen Dramaturgie-Konstruktionen hochzuhalten.
„Cloudy Mountain“ mag die delirante Hemmungslosigkeit von Dante Lams ähnlich gelagertem Spätwerk wie „Operation Mekong“ abgehen, aber auch Jun Lis Katastrophenfilm wirft genug Pathos und Kataklysmus auf die Leinwand, um das unaufhörliche Spektakel zu füttern. Mitunter ist dabei nicht immer ganz klar, was um den Berg herum passiert, immer aber ist klar, dass etwas Wichtiges passiert. Wo man auch hinblickt, es herrscht Verantwortungsbewusstsein, das es braucht, um mit bürokratischer Effizienz im Angesicht der Katastrophe zu bestehen. Dort wo das nicht gelingt, offenbart der Film die klarsichtige, aber auch düstere Seite seiner Propaganda: das Volk muss duldsam sein im Angesicht der Naturkatastrophen, die China im Zuge der Klimakrise erlebt und vermehrt erleben wird.
Der Apparat läuft weiter
Auf eben diese heroische Opfergabe spitzt sich dann auch der Film zu. Die im Abspann verehrten Eisenbahnpioniere bezahlten für die schwierigsten Großprojekte angeblich für jeden Kilometer Bahnstrecke mit einem Menschenleben. In der von „Cloudy Mountain“ imaginierten Gegenwart ist das nicht anders. Interessanterweise verweise viele der heroischen Opfer, die im Laufe des Films gebracht werden, auch auf eine gewisse Ambivalenz in der Selbstwahrnehmung der vom Fortschritt getriebenen Weltmacht. Die bitterste Analogie dazu bietet nicht der Geschichtsrückblick des bereits erwähnten Abspanns, sondern der Tod eines Bergretters. Als er stirbt, brennt seine Helmlampe weiter und spendet Licht in der absoluten Finsternis des Berginneren: der Mann scheidet aus dem Leben, der Apparat aber läuft weiter.