- RegieTom Tykwer, Andy Wachowski, Lana Wachowski
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2012
- Dauer171 Minuten
- GenreDramaScience FictionActionFantasyNobleCinemaWide
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
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Filmkritik
Eine wilde Reise durch Zeit und Raum, Epochen und Moden, Gedankenwelten und Weltansichten – wobei das nur scheinbar Vergangene weit über die Zukunft hinaus weist und zur düsteren Vision des noch Kommenden wird. Mit „Cloud Atlas“ reist man im Jahr 1850 über den Pazifik, wenn ein junger Notar aus San Francisco auf dem Rückweg von Australien Unterdrückung und Rassismus, Sklavenwelt und Missionierung begegnet und seine Eindrücke an Körper und Geist durchleidet; man folgt in den frühen 1930er-Jahren einem erfolglosen, aber hochtalentierten englischen Musiker auf ein belgisches Schloss, auf dem er seiner Passion für musikalische Kompositionstechniken, aber auch seinen sinnlichen Begehrlichkeiten ausgeliefert ist; wird in einen Thriller des Jahres 1975 entführt, in der eine mutige Journalistin gegen einen mächtigen Atomkonzern, seine mörderischen Intrigen und eiskalten Attentäter antritt; erlebt „das grausige Martyrium“ eines alternden Verlegers (in der Gegenwart) im Rahmen einer lustvoll ausgereizten Farce, in der die Insassen eines dubiosen Pflegeheims übers Kuckucksnest fliegen; wird in die Zukunft eines hypermodernen Korea versetzt, in der sich ein weiblicher Klon seiner Lebensrealität bewusst und zur Ikone des Widerstands gegen inhumane Machtstrukturen wird; und lauscht schließlich einem alten Ziegenhirten, der von seinem früheren Leben auf Hawaii erzählt, als sein primitiv lebender, abergläubischer und der zivilisierten Sprache verlustig werdender Stamm einen martialischen Überlebenskampf ausficht – was sich nicht in der Frühzeit, sondern in einer fernen postnuklearen Zukunft abspielt, in der sich die letzten Völker verbünden müssen, um zu überleben und die Werte der menschlichen Zivilisation zu bewahren. Gegen Ende von David Mitchells philosophischem Abenteuer- und (Zeit-)Reise-Schmöker „Der Wolkenatlas“ (2004) werden die „Guten“ einmal als naive Träumer bezeichnet, die vergeblich gegen die „Hydra der menschlichen Natur“ kämpfen würden. Das Leben sei in Wahrheit nicht mehr als ein Tropfen in einem grenzenlosen Ozean – wogegen der Schiffsreisende Adam Ewing nach seiner qualvollen, am Ende aber erkenntnisreichen Seereise in seiner letzten Tagebucheintragung opponiert: „Was aber ist ein Ozean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?“ Dieses utopische Credo hallt durch alle sechs Erzählungen des Romans, die sich zu einem nahezu tausend Jahre Zivilisationsgeschichte umspannenden Kaleidoskop verschachteln. Die vielen, höchst vital entworfenen Figuren scheinen über Zeit und Raum hinweg miteinander verbunden zu sein, und zwar nicht nur durch ein kometförmiges Muttermal, sondern vor allem durch ihre Seelen, die „über die Zeit wie die Wolken über den Himmel“ wandern. Das hat wenig von esoterischem Geraune um Reinkarnation und Seelenwanderung, entfaltet sich vielmehr als fabulierfreudig ausgesponnener zentraler Gedanke hinter einer ebenso intelligenten wie unterhaltsamen Erzählung, in der sich die Handlungsstränge mittels grundverschiedener, souverän angeeigneter Erzählstile entfalten. Kann so etwas überhaupt filmisch abgebildet und visuell verdichtet werden? Droht nicht zwangsläufig das wirre Bilder-Chaos, das dem schillernden literarischen Gedankenfluss nie gerecht werden kann? Die erste halbe Stunde von „Cloud Atlas“ könnte solche Befürchtungen befeuern: Wenn in einer rasanten Montage Handlungsfäden aus allen erzählerischen Ebenen eher assoziativ aneinander gereiht werden, dann bekommt zumindest der Romanunkundige zunächst kein Bein auf den Boden. Und doch hat dieser visuelle Parforce-Ritt Methode, entfesselt der Film doch von Beginn an seinen ganz eigenen Bewusstseinsstrom aus Wahrnehmungen, Gedanken und Assoziationen als Fundament eines visuellen Erzählens – und macht den Zuschauer neugierig auf die noch nachzureichenden „Innenwelten“. Auch die Idee, drei Regisseure als ein Team zusammenzuführen, sodass sich ihre unterschiedlichen Inszenierungsweisen zueinander verhalten müssen, macht Sinn: „Matrix“ meets „Lola“, oder besser „Der Krieger und die Kaiserin“ (fd 34 498), weil Tom Tykwer in diesem Film noch am fabulierfreudigsten sein Spiel mit der Zeit vorantrieb und sich auf die magische Suche nach den Prinzipien des Schicksals machte. Dass man am Ende von „Cloud Atlas“ dann gar nicht mehr so genau weiß, für welche Szenen Lana und Andy Wachowski, für welche Tykwer verantwortlich zeichnet, das ist eine sehr schöne, durchaus konstruktive „Verwirrtheit“, die der narrativen Strategie des Films entspricht: ein poetisch überhöhtes Filmkonzept für Mitchells Roman zu finden, das spektakulär unterhält und dabei auch intelligent über das „Weltengefüge“ philosophiert, die Fallstricke des Lebens, moralisch fragwürdige Machtspiele, die menschliche Zivilisation als permanentem Tanz auf dem Vulkan. Nicht immer vermag das Spiel mit Formen und Sujets ganz zu überzeugen; manche (notwendige) Verkürzung der überbordenden Romanstruktur gerät mitunter eher schwach und endet allzu pathetisch-trivial; auch das Jonglieren mit zahlreichen Masken, hinter denen sich in den verschiedenen Episoden immer dieselben Darsteller/innen verbergen, stößt des Öfteren an seine (Erkenntnis-)Grenze. Was aber stets überwiegt, sind das Staunen und der Respekt angesichts der überbordenden Visualisierung der Erzählung: Abenteuerfilm und Thriller, Science-Fiction- und Kunstfilm, Satire und kulturkritische Farce – der Film spielt mutig und leidenschaftlich, durchaus auch risikofreudig auf der Klaviatur dieser verrückten Genre-Melange und findet eine attraktive visuelle Entsprechung für die literarischen Bilderwelten.