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Filmkritik
In dem Film „Jauja“ (2014) von Lisandro Alonso sieht man Viggo Mortensen in der Rolle eines dänischen Leutnants, der Ende des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach seiner entlaufenen Tochter das patagonische Hinterland durchquert. Am Anfang von „Eureka“ taucht Mortensen erneut auf, in einer ähnlichen Rolle, einer ähnlichen Epoche (dem „Wilden Westen“) und erneut auf der Suche nach seiner Tochter.
Gleichzeitig markiert seine Figur, die schnell wieder aus dem Film verschwindet, die Differenz, die die beiden zehn Jahre auseinanderliegenden Filme trennt. „Jauja“ stellte etwas auf, was man in Ermangelung eines besseren Begriffes eine „Theorie der zwei Welten“ nennen könnte. Denn am Ende sprang „Jauja“ ins Dänemark der Gegenwart, in der Elemente der patagonischen Expedition – ein Hund, ein Spielzeugsoldat – wieder auftauchen. War die eine Ebene nur der Traum der anderen? Handelte es sich um zwei Versionen derselben Geschichte?
Die Theorie der zwei Welten
Die Theorie der zwei Welten besagt: Die Welt ist nie mit sich identisch, nie in sich geschlossen, nie mit sich eins. Sie hat immer ein Außen, eine andere Welt; das Leben geht „anderswo“, in einer anderen Welt, weiter. Die Theorie der zwei Welten ist eine Theorie der Artikulation, der Verbindung. Sie nimmt in den Blick, wie eine Welt, die aus verschiedenen Elementen (Welten) besteht, funktioniert.
Auf den ersten Blick scheint „Eureka“ dieses Programm fortzusetzen. Der Film zerfällt in drei Teile. Er beginnt mit Mortensen, gefilmt in Schwarz-weiß und im klassischen 4:3-Format. Mortensens Figur kommt in eine Westernstadt, in der er auf indigene Personen und eine Frau mit französischem Akzent (Chiara Mastroianni) trifft. Der Mann sucht seine Tochter; Leichen pflastern seinen Weg. Diese dreißig Minuten sind die besten des Films, sie zeichnen sich durch eine Brutalität und einen Nihilismus aus, der Sam Peckinpah, André de Toth oder Sergio Corbucci blass werden ließe.
Dann folgt der Sprung in die Gegenwart, nun gefilmt im Breitwandformat. Der Western läuft auf dem Fernseher in der Wohnung einer Polizistin und ihrer Tochter im Pine-Ridge-Reservat, South Dakota, einem der ärmsten Bezirke der USA. Hier hausen die Oglala-Lakota-People in bitterstem Elend. Dort trifft man die französische Schauspielerin aus dem Western wieder, die einen Film vorbereitet und zu Recherchezwecken in der Gegend ist. Der Teil endet mit einem Ritual, bei dem das Mädchen von ihrem Großvater in einen Vogel verwandelt wird. Der kann die Grenzen von Raum und Zeit durchbrechen.
Die Zeit ist nur eine Fiktion
An diesem Punkt erhält der Film sein zentrales Axiom. Es gibt, sagt der Alte, nur den Raum; die Zeit ist nichts als eine Fiktion, von Menschen erfunden. Zusammen mit dem Vogel findet man sich im dritten Teil des Films im Amazonas wieder, während der brasilianischen Militärdiktatur in den 1970er-Jahren. Dieser Teil ist erneut in einem anderen Format gedreht, das zwischen den beiden vorherigen Formaten liegt; er folgt einer anderen indigenen Community des amerikanischen Kontinents.
Angesichts dieser Hommage an indigenes Leben in den Amerikas über die Zeiten hinweg könnte man von einer Theorie der in diesem Fall sogar drei Welten sprechen. Und doch gibt es hier keine spekulative oder spekulierende Anschauung oder Betrachtung des Funktionierens einer (Film-)Welt, in der sich verschiedene Welten miteinander verbinden. Vielmehr präsentiert „Eureka“ ein geschlossenes System, ein Konzept aus präfabrizierten Welten, zwischen denen beliebig gewechselt werden kann. Die verschiedenen Formate betonen die Getrenntheit der einzelnen Universen; der Zusammenhalt wirkt willkürlich.
Dem Axiom des Großvaters folgend, könnte man sagen: Der Raum ist total, die Zeit eliminiert. „Eureka“ ist dementsprechend „totales“ Kino, das entlang seiner örtlichen und räumlichen Mutationen überall hingehen, aber nirgends etwas anderes entdecken kann als es selbst: nur Raum, keine Zeit, die eine Endlichkeit, eine Grenze oder einen Widerstand bilden würde. Diese Negation der Zeit führt zu einer gewissen Monotonie der Handlung und zu einer Negation des Kinos selbst. Indem man Chiara Mastroianni erst in ihrer Rolle und danach bei der Vorbereitung ihrer Rolle sieht, wird der zuerst gesehene Film im Film „ausgelöscht“.
Ein Mehr-als-Kino
„Das Kino“, repräsentiert durchs Western-Genre, ist eine kolonialistische, rasch ironisierte Form, voller Klischees und Gewalt der Weißen. Es wird von der Realität „überbordet“, so wie der Film im Fernseher von der Wohnung im Pine-Ridge-Reservat überbordet wird. Das Kino wird einem kritischen Kommentar über seine oft rassistischen Fiktionen unterzogen, aber gerade durch seine Negation auch ein bisschen totaler und vollkommener: ein Mehr-als-Kino, eine vollkommenere und aufgeklärtere Art der Wirklichkeit, die keine Lücken mehr kennt und nicht mehr mit einem Anderen oder einem Außen, einer anderen Welt „artikulierbar“ sein muss.
Durch die Negation der Zeit sind die Längen des Films – das Warten der Polizistin im Auto auf Verstärkung, das Warten des Mädchens auf den Abschluss ihrer Verwandlung – nicht mehr in eine reale Dauer eingeschrieben, die eine ästhetische oder politische Dimension haben kann; anders als bei Lav Diaz, der wie Alonso ein Vertreter des „Slow Cinema“ ist, bei dem die Länge der Einstellungen das Andauern des Leidens der philippinischen Bevölkerung offenlegt. Die Längen sind in „Eureka“ deutlicher spürbar und offenbaren ein abstraktes Zeitverständnis, so als wären sie lediglich dazu da, um zu demonstrieren, dass es sich bei ihrer Erfahrung in den Worten des Großvaters um eine schiere „Fiktion“ oder „Illusion“ handelt.
Vor diesem Hintergrund sei allerdings daran erinnert, dass das argentinische Kino, nicht zuletzt dank Lisandro Alonso, aktuell das aufregendste der Welt ist. „Eureka“ endet wie „Trenque Lauquen“ von Laura Citarella mit einem Schwenk, der ein Verschwinden offenbart. Bei Citarella gibt dieser Moment dem Film und seiner Erzählung über die Suche nach einer Verschwundenen erst seinen Grund, so als könne am Ende alles neu beginnen, die Zeit neu ge- oder erfunden werden. Bei Alonso aber bleibt dieser Moment ein Ereignis im Raum, so isoliert und symbolisch wie sein ganzer Film: zu bedeutungsaufgeladen, zu wenig suchend, aber immerhin eine Erlösung.