Szene aus PEPE
Filmplakat von PEPE

PEPE

Drama

Filmkritik

Wie klingt ein Flusspferd? Der Soldat, der seinen Funkspruch absetzt, zu dem der Film nur eine schwarze Leinwand zeigt, ist sich nicht sicher. Die Frage bleibt ungeklärt, denn der erste Hippopotamus-Laut, den man hört, ist streng genommen gar keiner. Denn Pepe spricht. Aus dem Jenseits unterlegt seine Stimme das mal schwarze, mal weiße Bild, mal in Afrikaans und damit der Sprache seiner Heimat, mal in Spanisch und damit in der Sprache des Landes, in das er entführt wurde.

Pepe ist eines der Flusspferde, die Pablo Escobar in den 1970er-Jahren verschleppen ließ, um sie in seiner privaten Menagerie zu halten. Das exotische Tier als Statussymbol war Escobars Form der Kolonialausstellung, die der Drogenbaron sich leistete. Der Film von Nelson Carlo de los Santos Arias macht daraus eine andere Kolonialismus-Geschichte, die nicht im Zoo von Escobar endet, sondern zusammen mit dem Hippopotamus aus tradierten Formen und Dramaturgien ausbricht.

Wilder Ritt durch Steppe und Zivilisation

„Pepe“ wühlt sich mehr assoziativ als erzählerisch durch Steppe, Dschungel, Wildnis, Zivilisation, Vergangenheit und Zukunft. Ein Helikopterflug, der die Entführung andeutet, überführt den Film nach Kolumbien. Hier gelangt das Flusspferd in einer LKW-Fahrt, die als langer Dialog zwischen Kleinkriminellen inszeniert ist, in den Zoo des Drogenbarons, dessen Ende historische Fernsehmitschnitte erzählen. Später taucht Pepe selbst im Fernsehen auf. Nicht in Fleisch und Blut, sondern als Cartoon-Figur. Das Hippo flieht aus dem Escobar-Zoo und findet am Río Magdalena einen neuen Lebensraum. Darüber verliert es seine Stimme.

Wieder sind es mit den dort lebenden Fischern die Randfiguren, die seine Geschichte fortschreiben. Wo eben noch Kolonialsymbolik ins Bild gestellt wurde und Zeitgenossenschaft aus dem Fernsehen in den Film drängte, umkreist die Kamera dicht über der Wasseroberfläche nun die Männer, die den Fluss befahren, einem seltsamen Monster begegnen und jammern, dass nicht einmal die eigene Ehefrau diese Geschichte glauben wird.

Der Film wechselt ständig die Register und stellt lange Erzählkino-Sequenzen zwischen die temporeich und assoziativ miteinander verschachtelten Experimental-Segmente. Diese rollen mit enormer Bildgewalt an, lassen die Leinwand im Licht der militärischen Suchscheinwerfer flackern, die zum Rhythmus der Feuerstöße eines Maschinengewehrs die Kontrolle über sich selbst zu verlieren scheinen. Als das Bild wieder in der Dunkelheit verschwindet, büßen auch die Soldaten die Kontrolle ein und setzen hektisch Funksprüche ab. Als der Zauber vorbei ist, findet der Film in Afrika zu einer fast malerischen Form. Er beobachtet zwei Helikopter, wie sie riesige Kisten über den Horizont hinaustransportieren und damit das koloniale Elend einleiten, das dem Film als lose Struktur dient.

Reflexionen über das postkoloniale Erbe

Wenn man die recht disparaten Versatzstücke von „Pepe“ als Reflexion des postkolonialen Erbes betrachtet, fügen sie sich in Kolumbien passgenau zusammen. Die Einheimischen, die Pepes Existenz nicht begreifen können und sich zunächst zu Tode fürchten, erklären das Hippo zur invasiven Art; die aus Deutschland eingeflogenen Jäger wollen das unschuldige Flusspferd mit großkalibrigen Waffen in die Hölle schicken. Sie alle sind Teil einer bitterbösen Geschichte, deren Ende auch Jahre später immer noch Leid und den Tod derer vorsieht, die zum Spielball fremder Mächte werden.

Doch in ein wirklich produktives Verhältnis (oder eben Missverhältnis) wollen sich die Ehestreitereien, Misswahlen und abendlichen Eskapaden nicht setzen lassen. Was der Filmemacher zur ästhetischen Collage eines anti-kolonialen Bildes zusammenfügt, liest sich im Detail allzu oft als frustrierender Halbsatz. Zerstörte Unschuld, rücksichtslose Milliardäre und europäische Autoritäten lassen sich politisch schwer abschütteln oder erzählerisch in Form pressen. Die ausladenden Monologe aus dem Jenseits, die allzu langen Episoden aus der Peripherie der arbeitenden Bevölkerung und die Exkurse deutscher Touristen auf Safari-Tour sind erzählerisch so frustrierend, wie sie als politische Wehklage geschmeidig schnurren. Das Flusspferd redet so viel über die Welt, dass es nicht mehr für sich selbst zu sprechen vermag.

Ein rätselhaftes Grunzen

Die eigentliche Kraft hinter Pepes Wehklagen klingt nicht in Afrikaans oder Spanisch an, sondern in den allzu selten hörbaren Lauten, die seine eigentliche Sprache ist. Im rätselhaften Grunzen des riesigen Tieres, das wir als Sprache nicht verstehen, sondern nur als Lachen missverstehen können.

Erschienen auf filmdienst.dePEPEVon: Karsten Munt (22.3.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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