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Filmkritik
Die Off-Erzählung beginnt viel sagend mit den Worten „Es war einmal...“, und ehe man sich versieht, ist man auch schon mittendrin in einer nostalgischen Kleinstadt-Geschichte voll zuckersüßer Ingredienzen längst vergangener Zeiten. Die Handlung spielt gegen Ende der 50er-Jahre in einem weltabgeschiedenen französischen Dorf. Lasse Hallström, der begabte Regisseur von „Mein Leben als Hund“ (fd 26 433), „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“ (fd 30 735) und „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (fd 34 161), begriff das wohl als Herausforderung, die Tugenden (und Untugenden) des populären französischen Films vor dem Hereinbrechen der „Nouvelle Vague“ wieder zu beleben. Erzählt wird – im Stil jener mystisch rustikalen Romanzen – von einer jungen Frau, die mit ihrer aufreizenden Anwesenheit eine bigotte Gemeinde in Unruhe und Versuchung versetzt. Eigentlich tut sie gar nichts anderes, als – ausgerechnet zur Fastenzeit – eine adrette kleine Chocolaterie zu eröffnen. Doch sie macht kein Hehl daraus, dass sie nicht beabsichtigt, sonntags zur Messe zu gehen, und dass sie ihren verführerischen Pralinen nach altem indianischem Geheimrezept eine Prise Chili-Pfeffer beimischt. Der adlige Bürgermeister des Ortes, dem seine Frau durchgebrannt ist und der dem unerfahrenen Pfarrer die Predigten umzuschreiben pflegt, sieht in der Zugereisten eine Abgesandte des Teufels. Als die pikante, aber keineswegs aufdringliche Wanderin aus fernen Welten sich eines Tages auch noch mit einem herumziehenden Vagabunden einlässt, kochen die Gefühle über. Doch da hat sie schon längst die Frauen des Dorfes auf ihrer Seite, und sogar der sittenstrenge Bürgermeister verfällt in einer schwachen Stunde der Zauberkraft ihrer süßen Köstlichkeiten. „Chocolat“ will einer jener Filme sein, die Erbauung mit leichtem erotischem Kitzel und Bigotterie mit einer verträglichen Dosis freidenkerischer Emanzipation garnieren. So, wie die symbollastige Story mit den Klischees alter mediterraner Dorfkomödien kokettiert, so verheddert sich die Regie in einem Dickicht stilistischer Vorbilder, deren spezifischen Reiz nur der Kameramann gelegentlich erfolgreich zu wiederholen vermag. Hallström ist trotz aller Bemühung kein Julien Duvivier und erst recht kein Jean Renoir, obwohl sich manchmal Ansätze finden, die bedauern lassen, dass ihm das letzte Quentchen Inspiration fehlt. Jedes Mal, wenn Hallström die Ereignisse von der ironischen Seite angeht, gelingen ihm ausgesprochen köstliche Szenen. Als der böse Bürgermeister inmitten der Auslage von Pralinen und Schokoladenkuchen einschläft, bekommt man zum Beispiel ein Gespür dafür, was aus dem Stoff – ungeachtet seiner altmodischen Ausrichtung – hätte werden können, wäre die Produktion nicht so verbissen auf Artigkeit bedacht gewesen. „Chocolat“ ist ein Frauenfilm. Aber einer von jener Garnitur, die mit scheinbar differenzierten, in Wirklichkeit jedoch reichlich holzschnittartigen Charakteren arbeitet. Kaum einer Figur wird genügend Raum zur Entwicklung gelassen. Die Männer sind – bis auf den Außenseiter, der wie die Heldin aus der Ferne kommt – allesamt Opfer ihrer klein karierten Denkweise, und die Frauen leiden seit Jahrhunderten unter den Folgen. Es ist einfacher, zu verdammen als zu vergeben, und es ist leichter, andere zu verteufeln, als sie zu akzeptieren. Für jene Zuschauer, die dieses Credo des Films bis dahin nicht verstanden haben, darf es der bedauernswert hilflose junge Pfarrer schließlich auch noch einmal von der Kanzel verkünden. Ob die vielen Frauen jeden Alters, die sich um die Unabhängigkeit der hübschen Pralinenverkäuferin scharen, auf Dauer von dem frischen Wind profitieren werden, bleibt der Fantasie des Publikums überlassen. Wer genauer hinsieht, entdeckt unter ihnen das offenkundigste Symbol für die emotionale Liebesaffäre der Amerikaner mit allem Französischen: die in zahllosen Musicals und romantischen Fabeln von Hollywood adoptierte Leslie Caron. Doch weder sie noch die vielen anderen amüsant anzusehenden Darsteller können verhindern, dass „Chocolat“ im Vorgestrigen, das er zu persiflieren vorgibt, deutlicher stecken bleibt als etwa jeder beliebige Film des längst nicht mehr jungen Claude Chabrol.