- RegieDoug Liman
- Dauer109 Minuten
- GenreScience Fiction
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Wie wäre es, wenn man die Gedanken anderer lesen oder genauer: hören könnte? Würde diese Fähigkeit das Miteinander erleichtern, weil man an den Absichten der anderen nicht mehr zweifeln müsste? Oder würde es ganz im Gegenteil eher das Misstrauen steigern, weil man nichts mehr verbergen könnte und kein Geheimnis mehr hätte? Würde man in so einer Welt leben wollen?
Diese faszinierende Idee liegt dem Film von Doug Liman zugrunde, der auf dem ersten Teil einer Romantrilogie von Patrick Ness beruht. Die Gedanken der Charaktere sind sogar zu sehen; eine violettblaue, kranzähnliche Wolke umschwirrt die Köpfe der Menschen, während sie im Voice-over akustisch zu hören sind und die eigentlichen Gespräche der Menschen stören. Darum werden die lauten Gedanken auch als „Lärm“ bezeichnet.
Eine frauenlose neue Welt
„Chaos Walking“ spielt in einer nahen Zukunft, auch wenn es zunächst wie in einem Western aussieht. Die Menschen haben die Erde verlassen und andere Planeten besiedelt. Einer von ihnen heißt „New World“. Hier lebt Todd Hewitt (Tom Holland), der junge, naive Sohn eines Farmers, in einem Dorf namens Prentisstown. Eigentümlicherweise gibt es hier keine Frauen. Sie seien im Krieg mit der einheimischen Bevölkerung getötet worden, hört man einmal. Doch stimmt das auch? David Prentiss (Mads Mikkelsen), der Bürgermeister des Dorfes, hat einen eigentümlichen Kult geschaffen, in dem die Männer ihre Kraft aus der Beherrschung ihrer Gedanken beziehen. Wer seine Gedanken unterdrücken kann und somit Stärke zeigt, besitzt innerhalb dieser Gemeinschaft die Macht.
Ausgerechnet an diesem gottverlassenen Ort strandet die Astronautin Viola (Daisy Ridley) mit ihrem Raumschiff; alle anderen Mitglieder der Besatzung sind tot. Todd findet sie in den Wäldern und ist angenehm überrascht – das erste Mädchen, das er jemals gesehen hat. Doch schnell zeigt sich, dass Violas Leben aufs Höchste gefährdet ist. Gemeinsam flüchten sie vor Prentiss und seinem Mob, auf der Suche nach einem funktionstüchtigen Sender, mit dem Viola Hilfe von ihrem Mutterschiff herbeirufen könnte.
Mit dem Motiv der Flucht und der Suche nach Hilfe bewegt sich „Chaos Walking“ im Fahrwasser von „E.T.“ und John Carpenters „Starman“. Wie in diesen Filmen geht es auch hier darum, dass sich unterschiedliche Menschen mit ihren spezifischen Fähigkeiten zusammenraufen müssen, um zunächst das Überleben und später dann die „Heimkehr“ zu sichern. Die Elemente, die sonst einen Science-Fiction-Film ausmachen, sind stark zurückgenommen. Sie beschränken sich auf wenige Utensilien und die Waffen, die Viola in einer kleinen Tasche mit sich führt. Erst ganz am Schluss ist das Skelett eines riesengroßen Raumschiffs zu sehen, dem alles Futuristische ausgetrieben ist: eine verrostete Ruine.
Vom Überlebenskampf in der Wildnis
Das Hauptaugenmerk von „Chaos Walking“ liegt auf den Überlebenskampf in einer Wildnis, die nur gelegentlich von kleinen menschlichen Siedlungen unterbrochen wird. Ein Motiv, das die Analogie zum Western unterstreicht, so als ginge es auch hier um die sogenannte „frontier“, die sich immer weiter ins Landesinnere verschiebt, und um Menschen, die das Land besiedeln. Die Einheimischen, die Todd einmal „Aliens“ nennt, obwohl er der Außerirdische auf diesem Planeten ist, spielen dabei kaum eine Rolle. Von ihrer Unterdrückung und Vertreibung, vielleicht sogar Auslöschung ist nie die Rede. Irritierend auch das Verhältnis der Geschlechter. Während die Männer durch ihre lauten Gedanken im Alltag eindeutig behindert werden, haben die Frauen in den anderen Siedlungen nicht nur Geheimnisse, sondern auch ein Wissen, das ausschließlich ihnen zugutekommt. Eine Kluft, die sich nicht überbrücken lässt.
Mit einem Mal beginnt man zu ahnen, was es mit der schon Jahrzehnte andauernden Frauenlosigkeit in Prentisstown auf sich haben könnte. Die Inszenierung hält sich allerdings nicht mit sozialen, philosophischen oder genderrelevanten Fragen auf; sie interessiert sich primär für die actionbetonte Flucht der beiden Protagonisten, die kompetent und stilsicher inszeniert wird. Daisy Ridley und Tom Holland halten mit ihrer sympathischen, körperlichen Darstellung das Interesse an ihren Figuren wach; der Film erliegt nicht dem Fehler, ihnen eine Liaison anzudichten. Immerhin existiert eine gegenseitige Attraktion, doch der erste Kuss muss noch warten.