- RegieKonstantin Shelepov
- ProduktionsländerRussland
- Dauer84 Minuten
- GenreDramaScience FictionAction
- Cast
- AltersfreigabeFSK 16
- TMDb Rating4/10 (6) Stimmen
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Was heute einfach Heimkino heißt, galt früher vielen als ein schleichendes Gift. Eine düstere, korrumpierende Kraft in Wohn- und vor allem Kinderzimmern. In Deutschland warnte die reißerische Reportage „Mama, Papa, Zombie“ vor „Horror für den Hausgebrauch“, in Großbritannien kämpfte man in Boulevard-Schlagzeilen und Gerichtssälen gegen die „Video Nasties“. Die ab 1983 geführte Liste unerwünschter Filme erzählt eine kurze Geschichte bürgerlicher Ängste, einmütig steht da Kunstkino von Andy Warhol und Andrzej Żuławski neben Genre-Klassikern von Abel Ferrara, Wes Craven und Dario Argento.
Der Horrorfilm „Censor“ von Regisseurin Prano Bailey-Bond versenkt sich in den „moral panics“ dieser Zeit. Wenn in den Nachrichten nicht gerade Margret Thatcher gegen streikende Minenarbeiter hetzt, wird von gar schrecklichen Gewaltexzessen auf VHS berichtet. Stellvertretend für den Zeitgeist steht die Zensorin Enid Baines (Niamh Algar), präzise und gewissenhaft, aschgrau und zugeknöpft. Sie lebt einsam in einem gleichermaßen grauen England, das sich mit jeder Pore nach den grellen Farben des Horrorkinos zu sehnen scheint. Ihre Schwester Nina ist vor längerer Zeit verschwunden, ihre Eltern wollen sie für tot erklären lassen. Nur Enid klammert sich weiter an die Hoffnung. So sehr, dass sie die Verschollene plötzlich in einem Film zu sehen glaubt. Während sie sucht, verschmelzen Film, Fantasie und Wirklichkeit mehr und mehr.
Wider den gefürchteten Sittenverfall
Das wirft man Zensoren ja ohnehin gerne vor: Dass sie Fiktion und Realität verwechseln. Enid zumindest glaubt fest an den Zusammenhang zwischen realer und Leinwand-Gewalt. In einer frühen Szene sehen wir sie in der Straßenbahn. Leute fluchen laut und wüst, die Schlagzeilen berichten von der steigenden Kriminalitätsrate. Einen Match Cut später sitzt sie im Sichtungsraum, um gegen diesen Verfall der Sitten anzukämpfen. Sie und die anderen Mitarbeiter der Behörde sind sicher nicht einfach nur prüde Moralisten. Der Film zeichnet sie durchaus komplexer. Einer ihrer Kollegen spannt mühelos den Bogen von einem ausgestochenen Auge in einem Horror-Schocker über den mythischen Zyklopen Polyphem und „König Lear“ bis hin zu Buñuels „Un chien andalou“.
Und doch weiß der Film alles so viel besser als Enid und lässt das den Zuschauer auch spüren. „Censor“ hätte zweifellos mehr Sprengkraft gehabt, wäre er zur rechten Zeit erschienen, vielleicht kurz nach David Cronenbergs „Videodrome“. In den letzten Jahren war das Kino im Allgemeinen und das Horrorkino im speziellen von einer Nostalgie für die 1980er-Jahre dominiert. Wer in diesem Jahrzehnt aufgewachsen ist, hat heute das richtige Alter, um selbst Filme zu machen. Nun ist man aber sogar so weit, die Kulturkämpfe dieser Zeit zum nostalgischen Gebrauchswerk zu formen. Noch einmal auf der richtigen Seite stehen, Rebellen mit abgenutzten Kassetten von „Faces of Death“ oder „Cannibal Ferox“.
Der Film geht an modernen Diskursen um Zensur vorbei
Wofür aber jetzt noch Enid, diese ganz und gar historisierte Figur entlarven? Wieso sie im Wahnsinn versinken lassen, den man als logische Konsequenz staatlicher Zensur schildert? Ein wenig wohlfeil ist das schon, gerade bei Horror-Fans rennt man sicher offene Türen ein. Dabei ist der Diskurs um Zensur längst ein anderer. Oft hat er mit sozialen Netzwerken und Fragen der Automatisierung zu tun. Ein Dokumentarfilm wie „The Cleaners“ von Hans Block und Moritz Riesewieck erzählt von den menschlichen Staudämmen gegen das digital verbreitete Blut, und von der psychischen Belastung, die die Zensoren erleiden müssen.
Natürlich steht auch Enid unter Druck. Ein Mord wird von den Nachrichten mit einem Film in Verbindung gebracht, den sie zugelassen hat. Die wütenden Anrufe besorgter Bürger versiegen nicht, sie beginnt an ihrer Urteilskraft zu zweifeln. Geht sie zu nachlässig vor? Ein Film namens „Don’t go into the Church“, der sonst wohl eher harmlos gewesen wäre, setzt ihr plötzlich enorm zu. Eine Szene zwischen zwei Frauen erinnert sie an ihre Kindheit und ihre verschollene Schwester.
Persönliche Verdrängung, die zu kollektiver Verdrängung führt
Auch das ist Zensur für den Film: Persönliche Verdrängung, die zu kollektiver Verdrängung führt. Die Zensorin schneidet nicht zum Schutz der Gesellschaft, sondern verallgemeinert die eigene Schutzbedürftigkeit. Filmzensur - ein Sehen vor dem Sehen gegen das Sehen. Und für Enid ein gleichzeitiges Sehen- und Nicht-Sehen-Wollen. Schon Atom Egoyans „Der Schätzer“ von 1991 zeigte eine Filmzensorin, für die der Gegenstand ihrer Arbeit eigentlich ein Fetisch ist. Die vermeintliche Kontrollinstanz als eigentliche Quelle des Schreckens, der Bock als Gärtner. Noch nicht ganz ein Klischee, aber auf bestem Weg dorthin.
„Censor“ ist nominell ein Horrorfilm, doch Prano Bailey-Bond fischt etwas lustlos in der Trickkiste des Genres. Hier eine Schrägsicht, da ein bisschen buntes Licht. Eine Geräuschkulisse, die immer wieder in der nächsten Szene nachhallt. Lautes Fernsehrauschen, Bilder hinter den Bildern. Ein paar Gewaltspitzen, man ist ja schließlich nicht zimperlich wie Enid, aber auch nicht so schockierend wie in den tatsächlichen „Video Nasties“. Blut, aber wohldosiert. Letztlich ist der Film tatsächlich ein bisschen bieder. Dieser Horror ist so eingehegt und domestiziert. Er glaubt nicht mehr an den Bruch mit dem Status Quo und wirkliche Verunsicherung. Im Widerstreit zwischen Bürokratenwirklichkeit und schillernder Horror-Fantasie dominiert klar die reizlosere der Welten. Noch die Wahnträume wirken verwaltet. Vielleicht liegt der wahre Horror darin, dass selbst der Abstieg in psychologische Abgründe etwas von einem Behördengang hat.
Warum auch die immer wieder eingeblendete Welt der Filme so digital und ohne jede Textur daherkommt, ist leicht zu erklären, aber schwer zu rechtfertigen. Eine Hommage ist wenig überzeugend, wenn sie Form und Mittel des Originals unzureichend wiedergibt. So bleiben nur ausgehölte Zeichen und Bilder, eine sicher originelle Prämisse und eine enttäuschende Umsetzung. Die Zensorin kämpft für die Rettung einer illusorischen Welt, und vielleicht wäre es ja sogar besser, wenn der Film es ihr gleichtäte.