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Filmkritik
Es beginnt mit einem perfekt geplanten Überfall auf einen gepanzerten Geldtransporter der Firma Fortico, die jede Woche Hunderte von Millionen Dollar durch Los Angeles fährt. Männer mit Helmen und Schutzwesten blockieren den Weg und halten das Wachpersonal mit Maschinenpistolen in Schach; mit einem Schneidbrenner wird ein kleines Loch in den Stahl gebrannt und Tränengas ins Innere des schweren Trucks geleitet; wenig später wird die Beute verladen. Doch plötzlich sind aus dem Off mehrere Schüsse zu hören. Kurz darauf noch einmal.
Ein Bild aus vielen Einzelteilen
Regisseur Guy Ritchie kommt auf diese Szene noch mehrmals zurück, die jeweils aus einer anderen Perspektive beleuchtet und um weitere Mosaiksteinchen ergänzt wird. Bis sich am Schluss ein Gesamtbild ergibt und man quasi im Nachhinein erfährt, wer die Hauptfigur ist und warum sie diese Aktion unternommen hat.
Diese Figur heißt Patrick Hill und wird von Jason Statham gespielt. Kurz nach dem Prolog heuert sie bei Fortico an. Hill ist ein verschlossener, schweigsamer Einzelgänger; seine neuen Kollegen nennen ihn kurz „H“. Ein Namenloser in einer undurchschaubaren Maschinerie – vielleicht ist das schon ein Schlüssel zum Film.
H scheint ein blutiger Anfänger zu sein, der unter Anleitung seines freundlichen Vorgesetzten das Handwerk eines Sicherheitsmannes erst noch lernen muss: Schießen, Einparken des Trucks, das Verhalten im Notfall. Die Prüfung besteht er gerade so mit der Mindestanforderung, doch damit hat er den Job.
Allerdings wird gleich bei seinem ersten Einsatz der Geldtransport überfallen. Zur Überraschung seiner Kollegen setzt H die Gangster im Alleingang außer Gefecht – mit einer Präzision und einer Kaltblütigkeit, die ihresgleichen sucht. Spätestens jetzt fragen sich seine Kollegen und Vorgesetzten, was H im Schilde führt. Auf wen hat er es wirklich abgesehen? Und was hat all das mit dem Überfall vom Beginn des Films zu tun?
Nie verliert man den Überblick
Statham spielt diesen mysteriösen Fremden als Leerstelle. Keine mimische Regung, kein überflüssiges Wort; es gibt nichts, was ihn oder seine Motive verraten könnte. Er ist der gefühllose, gnadenlose Antiheld, dessen Besessenheit auch etwas Furchterregendes hat. Man fühlt sich an Clint Eastwood als großem Schweiger erinnert, in den Filmen von Sergio Leone, Don Siegel oder seinen eigenen. Dass Eastwoods Sohn Scott Eastwood hier mitspielt, scheint darum nur folgerichtig.
Von da an splittert Guy Ritchie die Linearität der Handlung auf. Ein anderer Schauplatz, eine andere Zeit, mal um einige Monate zurück in der Vergangenheit, dann mit einem großen Schritt weiter Richtung Gegenwart. Der Regisseur hält dabei die Fäden fest in der Hand. Nie verliert man den Überblick, im Gegenteil: Mit jedem scheinbar abrupten Szenenwechsel, mit jedem neuen Kapitel, das von einer charakterisierenden Schrifttafel eingeleitet wird, kommt man dem Geheimnis von H allmählich mehr auf die Spur.
Ritchie zeigt sich hier eindeutig von der Rückblendenstruktur des Film noir beeinflusst, besonders von Robert Siodmaks „Gewagtes Alibi“ (1949) und Stanley Kubricks „Die Rechnung ging nicht auf“ (1955), die ähnlich wie „Cash Truck“ Raubüberfälle aus mehreren Perspektiven und auf mehreren Zeitebenen schildern und erst am Schluss ein Gesamtbild erlauben. Das Publikum ist gespannt und will wissen, was beim ersten Überfall passiert ist. Und wie es weiter geht.
Selten war Lakonie bedrohlicher
Der stete Perspektivwechsel bedingt eine Vielzahl von Nebenfiguren. Ein Kapitel schildert sogar das straff organisierte Vorgehen der Gangster, das nicht von ungefähr an militärische Präzision erinnert. Die wohl schillerndste Figur des Films ist Andy Garcia als The King, der Boss einer mysteriösen, inoffiziellen Polizeiorganisation, der H bei seinem Kreuzzug durch die Unterwelt von Los Angeles den Rücken freihält: „Let the painter paint“. Selten war Lakonie bedrohlicher.
Trotz seiner komplexen Erzählstruktur ist „Cash Truck“, das Remake eines französischen Films aus dem Jahr 2004, einer von Ritchies zugänglichsten Filmen. Er verzichtet hier auf jene Verzierungen und Manierismen, die „Snatch“ oder „RocknRolla“ so schwer verdaulich machten. Die Raubüberfälle sind geradlinig, ohne Schnickschnack inszeniert; gleiches gilt für die energiegeladene Action. Die Morde sind zugegebenermaßen blutrünstig und brutal, doch sie verweisen auch auf die schicksalhafte Unausweichlichkeit, mit der sich die Beteiligten in den Kreis aus Gier und Gewalt begeben.
Wenn man an diesem Film überhaupt etwas bedauern will, dann der Umstand, dass es hier niemanden gibt, mit dem man mal abends ein Bier trinken gehen wollte. Dafür sind die Figuren zu gefährlich.