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Filmkritik
Je schärfer die politischen Auseinandersetzungen in der Türkei werden, desto mehr spitzt sich der Humor in den Sitcoms zu. „Ҫarşı Pazar“, dessen Titel als „Altstadtbasar“ eingedeutscht wurde, beschäftigt sich mit einer Kleinstadt, deren Bürger sich von einem korrupten Baulöwen eine bessere Welt versprechen lassen, dann eines Besseren belehrt werden und schließlich den naiven Bademeister Kahraman als Volkshelden feiern. Regisseur Muharrem Gülmez legte vor zehn Jahren die mit Gespür für treffende Situationskomik inszenierte Komödie „Beynelmilel“ (fd 38 144) über eine Kleinstadtkapelle vor, die in Folge mangelnder Noten bei einer Parade während der Militärdiktatur der 1980er-Jahre ausgerechnet „Die Internationale“ spielt. Mit „Ҫarşı Pazar“ verschlägt es Gülmez, der in der Zwischenzeit als Produzent arbeitete, erneut in eine Kleinstadt. In dem malerischen nordanatolischen Örtchen Tokat haben die Händler der Altstadt, angestachelt durch den bösartigen Friseur Cemil, ihre Ladenlokale an den arroganten Bauherrn Tunҫay verkauft, der das historische Stadtzentrum abreißen und eine Shopping Mall errichten will. Die einen haben des Geldes wegen verkauft, während sich die anderen freuen: „In so ein Einkaufszentrum kommen auch viele Mädchen.“ Einzig Kahraman, gespielt von dem populären Independent-Rocker Erdem Yener, der Besitzer eines türkischen Bades, wehrt sich gegen den Verkauf. Mit ihm hat Cemil noch eine andere Rechnung offen, da Kahraman vor Jahren die (Zwangs-)Heirat zwischen dem Friseur und seiner Schwester vereitelte – die Frau, so ihr Bruder Kahraman, solle selbst entscheiden, wen sie liebt. Doch irgendwann merkt auch Cemil, dass der Bauherr nur aufs schnelle Geld aus ist. Gemeinsam mit Kahraman und dessen neuer Flamme macht er sich auf den Weg zu Tunҫays Villa, um die Kaufverträge zu finden und zu zerreißen. Die Inszenierung setzt auf aktuell beliebte Zutaten: Neben dem Wetteifer zwischen fiesem und (reichlich naiven) guten Helden, Romanze mit Hindernissen und jeder Menge kompromissloser Albernheiten erhält auch der unvermeidlich korrupte Bürgermeister seinen Auftritt. „Ҫarşı Pazar“ verweist auf die allgegenwärtige Korruption in der Politik und einen unreflektierten Modernisierungseifer, denen so manche historische Bausubstanz als Ausdruck kollektiver Identität zum Opfer gefallen ist. Das sind mutige Narreteien in Zeiten, in denen Journalisten wie der Chefredakteur der Tageszeitung „Zaman“, Ekrem Dumanlı, oder Prominente wie Merve Büyüksaraç, die „Miss Turkey 2006“, wegen ihrer Korruptionsvorwürfe gegen Ministerpräsident Recep Erdoğan und andere führende Politiker verhaftet wurden bzw. mit Verhaftung bedroht werden. Mit einer Mischung aus warmherzigem Volksstück und treffenden Pointen macht sich „Ҫarşı Pazar“ – fern aller Volkstümelei - für den Erhalt von Traditionen stark. „Warum gibt es für Männlichkeit Bedingungen? Ich will so was nicht. Ich will weder eine Beschneidung, noch den Militärdienst“, ruft Kahramans Neffe, als er sich auf der Flucht vor der Beschneidung auf einen Baum zurückzieht und von dort den Hodja und die Ältesten mit Steinen bewirft. Der Vorbeter wird, wie nahezu alle Figuren in diesem Film, schon eingangs durch den Kakao gezogen: Als bei der Beerdigung von Kahramans Vater die versammelte Trauergemeinde des Verstorbenen im Chor als eines „guten Menschen“, dann aber auch als eines „Frauenjägers“ gedenkt, murmelt der Hodja mit, wobei er sich ein Lächeln verkneifen muss. „Ҫarşı Pazar“ ist ein temporeiches, humoristisches Umschaltspiel zwischen Volksstück, überdrehtem Witz und politischen Anspielungen, das sich für warmherziges Miteinander statt übereilte Modernisierung und für Toleranz statt Fundamentalismus einsetzt, und in dem die kleinen Fehler, Neid und Habgier genauso ihren Platz haben wie die Einsicht, künftig alles ein bisschen unaufgeregter anzugehen.