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Filmkritik
An Babyklappen können Neugeborene anonym abgegeben werden. Wo sich normalerweise Lebenswege trennen, bringt der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda allerdings mehrere Menschen zusammen. In einer regnerischen Nacht verabschiedet sich die sichtlich mitgenommene Prostituierte So-Young (Lee Ji-eun) von ihrem Kind. Auf der anderen Seite der Klappe befindet sich eine kirchliche Einrichtung, für die der Wäschereibetreiber Sang-hyun (Song Kang-ho) mit seinem jüngeren Kollegen Dong-soo (Gang Dong-won) ehrenamtlich arbeitet.
Tatsächlich gehen die beiden aber einem profitablen Nebenverdienst nach. Als sogenannte Broker stehlen sie Babys und vermitteln sie zu einem stolzen Preis an Paare mit Kinderwunsch. Und während sie mit krimineller Routine das Video der Überwachungskamera löschen, um So-Youngs Kind mit nach Hause zu nehmen, lauern auf einem Hügel oberhalb der Kirche bereits zwei Polizistinnen, die sie auf frischer Tat ertappen wollen.
Zu dünne Augenbrauen
Damit ist die Grundkonstellation von „Broker“ etabliert. Nachdem So-Young reuevoll zurückkehrt, schließt sie sich den Babyhändlern an, um das Kind zu verkaufen. Bei ihrem von zahlreichen Misserfolgen gekrönten Trip durch Südkorea sind ihnen die Polizistinnen dabei stets auf der Spur.
Der Film dreht sich zunächst um ein Verbrechen, das keinen erkennbaren Schaden anrichtet und moralisch doch fragwürdig bleibt. Wie ein Mensch bei diesem Vorgang zur Ware wird, das inszeniert Kore-eda mit einem komischen Twist. Das gelingt auch bei einigen anderen schweren Themen des Films; zum Running Gag werden etwa die seltsam dünnen Augenbrauen des Kindes von So-Young, die den Kaufpreis rapide nach unten treiben.
Die empathischen Filme von Hirokazu Kore-eda drehen sich schon seit Längerem um die Frage, was eine Familie ausmacht. Nach dem in Frankreich realisierten Film „La Vérité“ ist der in Südkorea gedrehte „Broker“ schon die zweite Produktion in Folge, die der Regisseur außerhalb von Japan gedreht hat. Auch sie lebt ganz von der Sympathie des Regisseurs für gesellschaftliche Außenseiter und von seinem aufrichtigen Glauben ans Gute im Menschen, der nicht kitschig wirkt, weil Kore-edas Figuren immer auch Hallodris sind.
Was wie ein Krimi beginnt, entwickelt sich zum warmherzigen Road-Movie in einem klapprigen Transporter. Bald landen die Vier in einem Waisenhaus, in dem Dong-soo aufgewachsen ist. Einer der Waisen, der vorlaute Hae-jin (Seung-soo Im), wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich adoptiert zu werden; der Junge gilt aber als unvermittelbar, weil er schon 8 Jahre alt ist. Wenig später vervollständigt er als blinder Passagier die Fahrgemeinschaft.
Glück unter anderen Umständen
„Broker“ funktioniert nach einer logischen Gleichung: Wäre es in einer kalten Welt, in der jeder auf sich allein gestellt ist, nicht naheliegend, sich einfach zusammenzuschließen? Familie ist in „Broker“ vor allem ein omnipräsentes Ideal, nach dem sich jeder sehnt, dem letztlich aber keiner entspricht. Die Babyhändler nutzen dieses Ideal als Maskerade, die sie für Außenstehende in verschiedenen Konstellationen durchspielen. Erst soll So-Young die Frau von Sang-hyun sein, obwohl sie seine Tochter sein könnte. Später nähern sie und Dong-soo sich dann als mögliches Elternpaar an, wenn auch mit dem schmerzhaften Bewusstsein, dass ihr Glück nur unter anderen Umständen möglich wäre.
Am schönsten an „Broker“ ist, dass er einen glauben lässt, dass dieser wild zusammengewürfelte Haufen Fremder eine gemeinsame Zukunft hat. Nicht konfliktfrei, aber doch auf ihre eigene, kauzige Art harmonisch lebt die Truppe wie eine Kommune in viel zu kleinen Hotelzimmern. Dabei entwickelt sich eine spielerische, lebensbejahende und ansteckende Energie zwischen ihnen. Sie offenbart, dass sich die Zuneigung und Verbundenheit, die man mit einer Familie verbindet, nicht auf Blutsverwandtschaft oder das enge, oft realitätsferne Modell der Kernfamilie reduzieren lässt, sondern spontan zwischen Menschen entsteht, die füreinander da sind.
Gesellschaftliche Normalität kommt in „Broker“ dagegen nur als etwas Einstudiertes vor, das der Wirklichkeit nicht standhält. Die nie eine Mine verziehende Polizistin Su-jin (Bae Doona) versucht die Truppe etwa zu überführen, in dem sie vermeintlich adoptionswillige Paare als Köder einsetzt. Die streng nach Drehbuch vorgehenden Lockvögel sind aufgrund ihrer steifen Performance jedoch schnell entlarvt. Gegen die Wärme und Authentizität der Zweckgemeinschaft haben sie nicht die geringste Chance.
Bad Cop, Good Cop
Su-jin gerät mit der Zeit stärker ins Zentrum der Geschichte. Zunehmend versucht sie die Straftat zu erzwingen, was sie moralisch zu einer nicht weniger ambivalenten Figur macht als die Babyhändler. Sie und ihre jüngere Kollegin Lee (Lee Joo-young), die konsequent im Auto sitzen und sich unterschiedliches Fast-Food reinschaufeln, sind ein klassisches Gespann aus Bad Cop und Good Cop. Während die Ältere von der Wut auf die in ihren Augen ungeheuerliche Tat getrieben ist, verweist die Jüngere auf strukturelle Probleme und den Widerspruch, dass man die Mütter kriminalisiert, statt ihnen zu helfen.
„Broker“ spannt ein engmaschiges Netz an Handlung auf, in dem jeder Figur eine konkrete Funktion zukommt und letztlich alle durch Gemeinsamkeiten oder Gegensätze verbunden sind. Das Drehbuch wirkt dadurch zwar mitunter etwas überkonstruiert, aber die Besonderheit des Films besteht darin, die Geschichte organisch und die Figuren menschlich wirken zu lassen. Keine noch so kleine Nebenfigur wird hier vergessen, sondern bleibt durch ihre Schwächen und Sehnsüchte stets als verwundbares Wesen erkennbar.
Kore-eda spitzt seine betont entspannt erzählte Geschichte immer wieder auf emotional intensive Momente zu, ohne diese zu sentimental oder kalkuliert wirken zu lassen. Sein Geheimnis besteht darin, große Gefühle zu erzeugen, dabei aber nicht den offensichtlichsten Weg zu gehen. Als gefühlvoller Höhepunkt von „Broker“ erweist sich eine Szene, in der sich eigentlich alle in die Arme fallen müssten. Stattdessen liegt die Wahlfamilie in einem dunklen Hotelzimmer, ohne einander zu berühren. Durch Distanz und Zurückhaltung verleiht Kore-eda diesem Moment eine besondere Spannung. Die Einsamkeit des Einzelnen bleibt dadurch erkennbar, während sich die Liebeserklärung auf die bloße Existenz des Anderen bezieht und deshalb kaum besser zur Geschichte passen könnte: „Danke, dass du geboren bist“.