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Filmkritik
Der junge Kojo arbeitet mit seinem älteren Bruder Kofi im Betrieb ihres Vaters auf einer Elektroschrott-Halde in Agbogbloshie, einem Stadtteil von Accra, der Hauptstadt Ghanas. Wie viele andere Jungs auch, zerlegen sie defekte Elektrogeräte aus dem Westen, um an die wiederwertbaren Metalle heranzukommen. Der Kontakt mit vielen gesundheitsschädlichen Giften lässt sich dabei nicht vermeiden.
Eines Tages trifft Kojo einen Borga, der in Deutschland viel Geld verdient hat und von seiner Familie bewundert wird. In Ghana versteht man unter Borgas Menschen, die es im Ausland zu Wohlstand gebracht haben. Phonetisch leitet sich das Wort von Hamburg ab. Es ist wenig verwunderlich, dass auch Kojo nach Europa will. Mit zehn Jahre zerreißt er das Familienband und bricht zu einer vierjährigen Irrfahrt über die Kontinente auf. Schließlich landet er im Hafen von Mannheim, wo er seinen Traum vom Wohlstand aber schnell aufgeben muss. Kojo muss sich mit schlecht bezahlten Aushilfsjobs bei dem Schrotthändler Bo durchschlagen. Damit er seiner Familie Geld schicken kann, schmuggelt er Drogen. Er verliebt sich in die ältere Deutsche Lina, doch die verlässt ihn, als sie erfährt, dass er einen gefälschten Pass hat.
Aus afrikanischer Perspektive erzählt
Bei einem Besuch in Accra streitet sich Kojo mit seinem Bruder Kofi. Der hat ihm verschwiegen, dass inzwischen ihr Vater verstorben ist. Dafür zeigt sich Kofis Sohn Ekwo fasziniert von Kojos elegantem Auftreten. Die Brüder binden Ekwo in einen florierenden Handel mit ausgesonderten Aktionswaren ein, die Kofi aus Deutschland nach Ghana verschiffen lässt. Doch Ekwo genügt das nicht. Er will auch ein Borga werden und reist heimlich in Richtung Europa, strandet aber in der südalgerischen Oase Tamanrasset und bracht dringend Geld. Kojo versucht, ihn zur Rückkehr zu bewegen – vergeblich.
Das Besondere an der packenden Inszenierung von „Borga“ ist, dass das deutsch-ghanaische Team um den weißen Drehbuchautor und Regisseur York-Fabian Raabe konsequent aus einer schwarzen Perspektive erzählt. Die Schauspieler sprechen in ihrer Muttersprache, hauptsächlich in Twi. Raabe hat ein Faible für Afrika. Nach dem Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin realisierte er mehrere Kurzfilme, die in Afrika spielen. Während der mehrjährigen Recherchen und Vorbereitungen zu „Borga“ drehte er 2013 in Ghana den kurzen Dokumentarfilm „Children of Sodom“ über zwei Straßenjungs auf der Elektroschrott-Deponie in Accra.
Raabe schildert in „Borga“ zwar auch soziale Probleme wie Armut, Korruption, Umweltverschmutzung und Migration, führt das subsaharische Afrika aber nicht als Kontinent von Hunger, Armut, Krankheiten und Kriegen vor, in dem Schwarze in der Opferrolle und Weiße als Retter agieren. Vielmehr steht eine starke schwarze Identifikationsfigur im Zentrum, der sich zunächst als Knabe und später als junger Mann nicht mit den Missständen abfindet will, sondern ins Ausland aufbricht, um für sich und seine Angehörigen einen besseren Platz im Leben zu gewinnen.
Der Rückhalt der Familie
Raabe will seinen ersten Langspielfilm nicht als „Mitleidsfilm“ verstanden wissen, sondern als „Empowerment“. Dafür engagierte er einheimische Schauspieler, vertraute die Hauptrolle jedoch dem Schauspieler und Tänzer Eugene Boateng an, der 1985 in Düsseldorf als Sohn ghanaischer Eltern geboren wurde und mit sieben Geschwistern in einem multikulturell geprägten Viertel aufwuchs. Boateng spielt den erwachsenen Kojo mit großer Energie und macht sichtbar, warum manche Einwanderer bereit sind, kriminell zu werden, um zu überleben oder ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Mit Christiane Paul als hilfsbereite Lina bildet Baoteng ein schillerndes Paar, auch wenn diese spannende Konstellation nur kurz angerissen wird.
„Borga“ vermeidet naheliegende Stereotype und formelhafte Narrative. Weder werden die gefährlichen illegalen Trips von Onkel und Neffe nach Europa gezeigt noch die Einzelheiten von Kojos kriminellen Aktivitäten. Vielmehr konzentriert sich Raabe auf die Darstellung der familiären Bindungen, die sich als entscheidend erweisen. Kojo macht bei seinem sozialen Aufstieg schwere Fehler und erleidet Rückschläge, erkennt aber, wie wichtig der Rückhalt der Familie ist.
Der als Stationendrama angelegte Film ist gelegentlich etwas holprig erzählt und hätte mit weniger Nebenhandlungen an Stringenz gewonnen. Die Musik trägt mitunter ebenfalls dick auf, um die Emotionen zu lenken. Dennoch ist „Borga“ ein überzeugendes Regiedebüt, das unaufdringlich für eine offene Gesellschaft und mehr Toleranz eintritt.