Vorstellungen
Filmkritik
Im Vorfeld von „Bob Marley: One Love“ konnte man gespannt sein, auf welche Strategie der Spielfilm bei der Annäherung an die Legende des Reggae-Stars Bob Marley setzen würde. Denn dass „Marleys Musik und seine Botschaft“ heute „aktueller und populärer denn je“ seien, wie es die Filmwerbung formuliert, darf getrost bezweifelt werden.
Der Film ist sich wohl bewusst, dass seit dem Todestag des „Che Guevara des Reggae“ am 11. Mai 1981 unendlich viel Wasser die „Rivers of Babylon“ (Melodians) hinuntergeflossen ist. Der Film weiß auch um den schmalen Grat, auf den er sich begeben muss, wenn er den Nachgeborenen eine Ikone der Popkultur nahebringen will, ohne es sich mit den gealterten Fans der 1970er-Jahre zu verderben. Womit sich, blättert man durchs Archiv zeitgenössischer Musikmagazine, ein grundsätzlicher Widerspruch im kritischen Umgang mit dem Roots-Reggae und Bob Marley aufs Neue wiederholt. Auch Mitte der 1970er-Jahre wurden die Präsenz des charismatischen Performers und die Authentizität seines Auftretens gegen das lückenhaft-mangelhafte Wissen um die Geschichte des Reggae und die spirituellen Dimensionen des Rastafarismus verrechnet, wenn mühsam versucht wurde, die Interview-Statements und die Songtexte Marleys einerseits zu dokumentieren und andererseits zu entschlüsseln.
Ein musikhistorisches Paradox
In dem Standardwerk „Bass Culture“ von Lloyd Bradley zur Reggae-Geschichte beginnt der Bob-Marley-Abschnitt auf Seite 396 mit dem Hinweis, dass Marleys Einfluss auf die Reggae-Geschichte in den neun Jahren zwischen Marleys Durchbruch mit dem Album „Catch a Fire“ (1972/73) und dem frühen Tod Marleys eher marginal gewesen sei, während aus internationaler Perspektive der Name Bob Marley vielfach mit Reggae generell in eins gesetzt werde.
„Bob Marley: One Love“ löst dieses musikhistorische Paradoxon mittels einer Ladung Geschichtsunterricht, die zu Beginn in Form von Inserts kursorisch Auskunft gibt über Marleys Herkunft als Sohn eines schon älteren weißen Soldaten der British Army und einer sehr jungen schwarzen Mutter, über die bürgerkriegsähnliche Situation in Jamaika Mitte der 1970er-Jahre und über die Idee eines explizit unpolitischen, aber die Konflikte entschärfenden Konzerts von Bob Marley und seiner Band „The Wailers“. Erst dann setzt die eigentliche Handlung des Films ein.
Auch im weiteren Verlauf gibt es immer wieder kurze Szenen, die Andeutungen über die Sprachpolitik des Rastafarismus, über die Bedeutung des äthiopischen Kaisers Haile Selassie I. für diese Religion, über Bibel-Präsenz und Pan-Afrikanismus oder auch die ersten musikalischen Erfolge der „The Wailing Wailers“ („Simmer Down“, 1963) liefern. Das Resultat dieser Verfahrensweise aber ist ziemlich desolat. Wer sich mit der Geschichte von Reggae und der Karriere von Bob Marley ansatzweise auskennt, wird wohl zum Ergebnis kommen, dass alle Puzzleteile zusammen zwar kein vollständiges, aber auch kein falsches Bild ergeben. Wem solche Kenntnisse fehlen, wird von den Verkürzungen und Anspielungen dieses filmischen Kessel Buntes überfordert sein.
Ein möglichst vielschichtiges Porträt
Bob Marley wird als spiritueller Musiker gezeigt, der eigentlich unpolitisch, aber populär genug ist, um die Konflikte in seiner aus undurchsichtigen Gründen von bürgerkriegsähnlicher Gewalt gebeutelten Heimat Jamaika zumindest in symbolischen Gesten potenziell zu versöhnen. Marley erscheint aber auch als kommender Superstar mit internationalem Appeal, der seine Kunst gegen die ästhetisch-materialistischen Ansprüche der (westlichen) Musikindustrie, gegen die eigene künstlerische Kompromissbereitschaft (die Rockgitarre!) und gegen das egoistische Geschäftsgebaren seines Managers zu schützen versucht. Andererseits gerät er durch seinen internationalen Ruhm aber auch in Versuchung, Teil des Jet-Sets zu werden. Schließlich ist Marley auch noch promisker Liebhaber, eifersüchtiger Ehemann, liebender Vater, passionierter Fußball-Fan und Anführer („Skipper“) eines umfänglichen Künstlerkollektivs. Und muss trotz seiner Popularität auch auf der Insel stets mit rassistischen Anfeindungen rechnen.
Man merkt dem Film die Mühe an, ein möglichst vielschichtiges Porträt des Musikers zu zeichnen. Der Tendenz zur Hagiografie wird dabei durch eine interessante Aufwertung der Figur von Rita Marley entgegengewirkt, die Lashana Lynch eindringlich spielt und Kingsley Ben-Adir als Bob Marley privat recht uncharismatisch erscheinen lässt. Sie fungiert hier als talentierte Musikerin, verständnisvoll-tolerante Ehefrau, spirituelle Lehrerin und Mutter.
Gerahmt wird der Film durch die beiden Konzerte, die Marley am 5. Dezember 1976, zwei Tage nach dem Mordanschlag auf ihn, und am 22. April 1978 in Kingston gab. Dazwischen liegt die Zeit des Exils in London, die Produktion des kommerziell erfolgreichen Albums „Exodus“ und jenes Fußballspiels, in dessen Verlauf sich Marley verletzte. Die Nichtbehandlung dieser Verletzung führte dann zur Krebsdiagnose, deren Nichtbehandlung aus religiösen Gründen den frühen Tod Marleys 1981 nach sich zog.
So komplex wie oberflächlich
All dies und noch mehr versammelt der Film mühevoll auf 104 Minuten, die es wahlweise im Original, mit Untertiteln oder auch synchronisiert zu bestaunen gilt, und bleibt dabei gleichermaßen komplex und oberflächlich. Die lustigste Anekdote des Films zeigt Marley und seine Band beim Besuch eines Konzerts von „The Clash“, die als Punkband immer mit Reggae und Dub-Reggae liebäugelten. Draußen vor der Londoner Konzerthalle toben die Straßenschlachten des Notting-Hill-Karnevals. Was einerseits eine Illustration der „Punky Reggae Party“ darstellt, deren Allianz von weißer Kunsthochschul-Devianz und unterdrückten Migranten aus der Karibik Bob Marley im Verbund mit Lee „Scratch“ Perry und Musikern der Band „Aswad“ einen Hit bescherte, andererseits einen staunenden Musiker kalauern lässt, dass es in London ja wie in Kingston ausschaue. Es ist – und dies gilt auch für den Einsatz der Musik – immer zugleich zu viel und zu wenig. Dazu passt, dass das Original ohne Untertitel mit dem kreolischen Patois kaum verständlich ist, mit Untertiteln aber einen erstaunlichen Reiz ausübt, der synchronisiert dann komplett verloren geht.
Noch unbefriedigender fällt „Bob Marley: One Love“ aus, wenn man sich erinnert, dass es mit „Bob Marley: Time will tell“ (1991) und insbesondere mit „Marley“ (2012) bereits zwei Musikdokumentationen gibt, die ungleich genauer, vielstimmiger und letztlich auch faszinierender als die Wiedervorlage im Spielfilmformat ausfallen. Wenn „Bob Marley: One Love“ sporadisch immer mal wieder und zum Schluss noch einmal verdichtet auf dokumentarisches Material zurückgreift, könnte man fast meinen, dass dies als Selbstkritik zu verstehen ist.