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Filmkritik
Dass die Braune Einsiedlerspinne in den Fluren seines schäbigen Wohnblocks gesichtet wurde, gehört in Beaus Leben noch zu den kleineren Problemen. Ein nackter Serienkiller, der im Viertel mit einem Messer umherrennt, könnte es vielleicht ganz speziell auf ihn abgesehen haben. Auch malträtiert ihn der Nachbar die ganze Nacht mit wummernden Bässen und treibt fiese Psychospielchen mit unter der Tür durchgeschobenen Botschaften. Und dann werden ihm am nächsten Morgen beim Verlassen der Wohnung in einem unachtsamen Moment auch noch Schlüssel und Koffer gestohlen. Beau kann unmöglich zu seiner Mutter Mona Wasserman reisen. Zu unsicher, zu gefährlich das Ganze.
Schuld ist Trumpf
Der bevorstehende Trip zur Mutter wird in „Beau Is Afraid“ von Ari Aster zum Auslöser einer surreal-psychotischen Odyssee. Der lapidare Titel ist reine Tiefstapelei; fast jede Szene schreit nach Superlativen – und zitiert mit Ausrufungszeichen die Psychoanalyse herbei. Ausgerechnet ein phallisch konnotiertes Wurzelgemüse beschert Beau seinen Kosenamen Möhrchen. Eine Urszene gibt es auch, wenngleich sich der Film wie durch eine dicke Wand erst zum Kern durcharbeiten muss. Und natürlich ist Schuld immer Trumpf.
Als Beau seine Mutter anruft, um ihr kleinmütig zu gestehen, dass er das Flugzeug nicht erwischen wird und mit welchen Schwierigkeiten er vor Ort gerade zu kämpfen habe, hört man es in jedem Wort, in jedem Atemzug und jeder Sprechpause. „Schuld“ ist auch das einzige Wort, das Beaus Analytiker auf seinen Notizblock kritzelt. Ob ein Teil von ihm nicht wünschen würde, dass die Mutter bald weg wäre? Falsche Frage. Vorerst verschreibt er Beau ein neues, „cooles“ Medikament. Dass es immer mit Wasser einzunehmen ist, wird Beau noch vor große Herausforderungen stellen.
Beau ist das Produkt eines tragischen Todes; sein Vater starb beim Orgasmus an Herzinfarkt. Mit seiner Geburt, aus der Perspektive des Säuglings gefilmt, nimmt der Film seinen Anfang. Unschärfen, Schreie, die gedämpft von außen kommen, die Panik der Mutter, weil das Neugeborene zunächst keinen Mucks von sich gibt.
Rund fünfzig Jahre später ist Beau ein von Ängsten und schweren Medikamenten gezeichneter Mann mit schütterem Haar und tiefen Stirnfurchen. Seine Zeugungsgeschichte und die angeblich vererbte Herzschwäche des Vaters haben für eine lebenslange Jungfräulichkeit gesorgt. Im geradezu barocken Überschuss wird Beau zudem mit Angst- und Persönlichkeitsstörungen ausgestattet. Zu der Furcht vor Nähe und körperlichen Kontakten kommen neben allerhand Zwanghaftigkeiten Spinnenphobie, Agoraphobie und paranoide Wahnvorstellungen.
Ein strapaziöser Parcours
Paranoia und Depression waren schon in Asters vorherigen Filmen „Hereditary“ (2018) und „Midsommar“ (2019) Ausgangspunkt für Horror und Unwahrscheinliches. In „Beau Is Afraid“ ist der Exzess an Stress, Unfällen und herausfordernden Begegnungen und Begebenheiten mit Genre-Begriffen wie „Paranoia-Thriller“ oder „Albtraum-Komödie“ nicht mehr annähernd zu fassen. Der wahnwitzig strapaziöse Parcours, den Beau über drei Stunden zu durchlaufen hat, passt auch in das paranoideste und durch Psychopharmaka degenerierteste Hirn nicht mehr hinein. Beaus Trip löst sich von seiner Wahrnehmung und Perspektive und verselbständigt sich. Zumindest auf der Handlungsebene erinnert „Beau Is Afraid“ eher an eine Mischung aus Höllenfahrt und Computerspiel.
Nachdem Beau durch einen UPS-Boten vom Tod seiner Mutter durch einen herabstürzenden Kronleuchter erfahren muss – sie sei ohne Kopf und Gesicht, heißt es vom anderen Ende der Leitung – und seine Wohnung von einer Horde von Junkies und Wohnungslosen verwüstet wird (sie haben ja seinen Schlüssel), zermantscht ihn bei der Flucht vor dem Killer fast ein Lastwagen. Schwer verletzt erwacht er im Mädchenzimmer einer Familie, die alles dafür tut, seinen geplanten Aufbruch zur Beerdigung zu sabotieren, bis er nach einer Zwischenstation in einem erkenntnisreichen Märchenwald tatsächlich im mütterlichen Haus ankommt – und schließlich vor einer Art Tribunal endet.
Die überbordenden Bildwelten sind oft gar nicht vollständig zu erfassen. Aster organisiert die Elemente gerne in Wimmelbildern. Manchmal glaubt man sich auch in einem Gemälde von Hieronymus Bosch wiederzufinden. Ins Jetztchaos schieben sich Rückblenden hinein, kurze Erinnerungsflashs aus der Kindheit: eine Bekanntschaft mit einem Mädchen auf einem Kreuzfahrtschiff, ein erster Kuss, ein Versprechen. Eine Badewanne, eine Dachluke.
Ein Film in lauter Zirkeln
Asters Spiel mit der monströsen Mutterfigur wie sein genereller Umgang mit dem Werkzeug der Psychoanalyse wirken im Verhältnis zum inszenatorischen Aufwand und dem protzigen Einfallsreichtum eher abgegriffen. Die Insistenz und Konsequenz, mit der er ans Werk geht, hat bei aller Selbstgefälligkeit und Empathielosigkeit, die dem Film eigen ist, aber auch etwas Bestechendes.
Dramaturgisch bewegt sich der Film in Zirkeln. „Beau Is Afraid“ ist von Fluchtbewegungen getragen, die immer wieder in ein Szenario führen, das sich nach dem ersten Eindruck von Zuflucht als erneuter Gefahrenraum erweist. Nach der Flucht ist vor der Flucht. Ständig werden Glastüren eingerannt oder zieht sich Beau weitere Schrammen und Verletzungen hinzu; scheinbare Befreiungen erweisen sich als künftiger Albtraum. Wiederholung und Verschwendung sind die Prinzipien des Films, sie folgen einem Plan. Eine Entfesselung aus Kalkül.