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Filmkritik
Alles ist laut in diesem Film. Aber alles ist auch Bewegung. Die Jazzmusiker spielen sich die Seele aus dem Leib, während die spärlich bekleideten Körper durch goldenes Licht tanzen, Männlein und Weiblein munter miteinander kopulieren und sogar ein echter Elefant in den Saal geführt wird. Der musste vorher den Hügel hinauf, aber das ist eine andere Geschichte.
Die Kamera wirbelt durch diesen bombastischen Exzess, heftet sich an Figuren, verliert sie aus den Augen und tanzt, tanzt, tanzt. Irgendein Hollywood-Mogul gibt eine seiner legendären Partys. Aber alles ist doch zu schnell, um den Gastgeber eindeutig zu identifizieren.
Die Goldene Ära des Stummfilms
Wir befinden uns im Jahr 1926. Die goldene Ära des Stummfilms nähert sich ihrem Höhepunkt. Der Übergang zum Tonfilm wird sich bald kündigen. Doch noch darf die Sonne des Ruhms mit allen Sinnen genossen werden. Und inmitten dieser stürmisch-hedonistischen Party meint es das Schicksal mit der selbstbewussten Nellie LaRoy (Margot Robbie) mehr als gut.
Die junge Frau aus mittellosen Verhältnissen steht zunächst nicht auf der Gästeliste, verdreht aber dem eifrigen Kellner Manny (Diego Calva) den Kopf. Der verliebt sich in die dreiste Schönheit und schleust sie am Sicherheitspersonal vorbei. Beide verbindet der Wunsch nach einer großen Karriere in der Traumfabrik. Und ausgerechnet in dieser von Drogen, Sex und Exzess erfüllten Nacht wird ihnen ein erster Schritt gelingen.
Die Hauptdarstellerin einer wichtigen Produktion fällt aufgrund einer Überdosis aus. Als Ersatz wird Nellie ausgewählt, die die Feier in jeder Hinsicht als große Bühne nutzt. Und Manny? Der muss den großen Star Jack Conrad (Brad Pitt) am nächsten Morgen nach Hause bringen. Conrad hat zu tief in diverse Flaschen geschaut und das Bewusstsein verloren. Kaum zu Hause angekommen, erwacht die Alkoholleiche aber zum Leben und macht den jungen Mexikaner prompt zu seinem persönlichen Assistenten. In diesen Jahren wird nicht groß geplant. Dafür legen alle immer sofort los und machen das, wonach ihnen gerade der Sinn steht.
Die Luft ist erfüllt von kreativer Freiheit
Nelly, Manny und Jack: Damit hätte man die wesentlichen Hauptfiguren dieses überambitionierten Films ungefähr beisammen. Denn das Ensemble von „Babylon“ ist von nahezu epischer Unüberschaubarkeit. Es treten auf: egozentrische Regisseure, neidische Co-Stars, mächtige Studiobosse und ehrwürdige Kritikerinnen. Die filmischen Sprünge in der Zeit gehen schnell. Und zu Beginn ist alles ein wildes, lüsternes Durcheinander: Die Luft ist erfüllt von kreativer Freiheit, einem unerschöpflichen Erkundungsdrang, der mitunter über Leichen geht. Nach enormen historischen Schlachtsequenzen bleiben schon mal von Fahnenstangen durchbohrte Statisten auf dem Wüstenboden liegen. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Genau darin aber liegt das Problem des Films von Damien Chazelle, der nie ganz einen Fokus findet. „Babylon“ verzettelt sich, muss lange Umwege gehen und sein Jahrhundertporträt der Filmindustrie mit ganz klassischen Liebesgeschichten und zwischenmenschlichen Dramen am Laufen halten. Mit der Zeit beruhigt sich der Film zwar, doch die Figuren bleiben leer.
Mit Erschöpfung ist zu rechnen
Mit dem Abgrund, auf dem Chazelle seinen Film hinauslaufen lässt, ist allerdings ohnehin zu rechnen: Der Exzess mündet unausweichlich in Erschöpfung, die Kräfte der Körper sind irgendwann aufgezerrt, das Getriebe läuft leer. Doch „Babylon“ bleibt zwischen menschlicher Tragödie und der distanzierten Darstellung einer unvermeidbaren Entwicklung stecken. Der Stummfilm entwickelt sich einfach weiter und plötzlich fallen die alten Stars durchs Raster, weil ihre Stimmen zu dünn, ihr Spiel zu expressiv und ihr szenischer Ausdruck an großen Gesten hängt.
Am Ende interessieren die menschlichen Dramen nicht. Sie bekommen an keiner Stelle genügend Raum oder Tiefgang, um zu berühren. Suizid, Drogenmissbrauch und das Ende einer Karriere wirken eher wie die notwendigen Teile einer großen, leichtfüßigen Choreografie des Fortschritts. Das Kino ist größer als der Einzelne. Oder war es das Geld? Es wirkt naiv, dass Chazelle eine Kultur affirmiert, die immer schon vom Geschäft aufgezehrt wurde. Die Verluste sind bloß Kollateralschäden. Und jene Momente der Ruhe und reflektierenden Kontemplation, die der Film vorgibt, sich zu nehmen, wirken folglich wie unliebsam-unvermeidbare Verzögerung, die sich der Film dann schnellstmöglich wieder vom Hals schaffen will.
Weniger Tanz, mehr Reflexion
Das erklärt auch, warum „Babylon“ immer dann bei sich ist, wenn Chazelle die Puppen tanzen lässt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass er die Formel seines großen Triumphs „La La Land“ mit der Geschichte Hollywoods verknüpft. Das macht in Momenten großen Spaß, ist verführerisch schön, aber letztlich auch bieder und oberflächlich. Ähnliche Szenen gibt es auch in der deutschen Serie „Babylon Berlin“; allerdings nutzen sich die Bilder der 1920er-Jahre-Exzesse doch schnell ab. Weniger pubertärer Tanz und mehr Kinomagie und kritische Reflexion der eigenen Nostalgie wären besser gewesen.