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Filmkritik
Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) scheinen ein glückliches Paar zu sein. In einer frühen Szene des Langfilmdebüt „Aus meiner Haut“ von Alex Schaad sieht man die beiden auf einer Fähre; Leyla ist an Tristans Schulter eingenickt; er hat sie in Ruhe dösen lassen, auch wenn dabei sein Arm eingeschlafen ist. Nachdem Leyla wieder erwacht, zieht er los, um ihr Kaffee zu holen. Möwen schreien, und in der Ferne kommt eine Insel in Sicht. So weit, so idyllisch. Doch ganz am Anfang von „Aus meiner Haut“ gab es seltsame Traumbilder, in denen Leyla im dunklen Wasser untergeht. Und dann ist da dieser kurze Moment nach ihrem Erwachen, als sie aufsteht, übers Deck spaziert, kurz innehält und über die Reling ins Wasser hinunterschaut, als ginge von dort ein Sog aus. Irritationen, die andeuten, dass etwas nicht stimmt. Mit dem Paar? Mit Leyla?
Alex Schaad, der für seinen eindrucksvollen Kurzfilm „Invention of Trust“ 2016 einen „Studenten-Oscar“ gewonnen hat, versteht es mit simplen, effektiven Mitteln, den Film zügig ins Mystery-Fahrwasser zu steuern. Schon vor der Szene auf dem Boot gibt es einen kryptischen Prolog. Ein älterer Mann (Edgar Selge) steht in einem Zimmer fassungslos vor einem Bett, auf dem eine junge Frau liegt, offensichtlich tot. Er setzt sich zu ihr, nimmt zart ihre Hand und flüstert – „Papa“. Ein erstes Signal, dass es mit den (Geschlechts-)Identitäten in „Aus meiner Haut“ keine eindeutige Sache ist. Um die Frage, ob und wie man sich trotzdem lieben kann, geht es dann in der fantastisch überhöhten Geschichte von Leyla und Tristan.
Sich in andere hineinversetzen
Die Reise führt das Paar auf eine Insel und zu einer esoterisch angehauchten, zwischen Sekte und Wellness changierenden Gemeinschaft, wo Leyla eine frühere Studienfreundin besucht – die sich als die von Edgar Selge gespielte Figur aus dem Prolog entpuppt. Während Leyla und Tristan sich in einem Fachwerkhaus-Apartment und auf dem Gelände einleben, dämmert den Zuschauern allmählich, was dort vor sich geht. Die Bewohner haben einen Weg gefunden, der es Menschen ermöglicht, miteinander die Körper zu tauschen.
Offensichtlich hat der verstorbene Vater von Leylas Freundin, der eine Art Guru der Gruppe gewesen zu sein scheint, dies genutzt, um sich für seine kranke Tochter zu opfern und sie in seinem Körper weiterleben zu lassen. Die Paare, die sich nun auf der Insel versammeln, nutzen sie, um mit den anderen Paaren nicht Partner- sondern Körpertausch zu zelebrieren – also sozusagen um fremdzugehen, ohne fremdzugehen. Leyla und Tristan – letzterer etwas widerwillig – lassen sich darauf ein, das auch auszuprobieren, und finden sich bald in den Körpern von Fabienne (Maryam Zaree) und Mo (Dimitrij Schaad) wieder.
Das führt in mehrfacher Hinsicht zu existenziellen Erschütterungen. Tristan fühlt sich nicht nur in der fremden Haut sichtlich unwohl, sondern auch in seiner Loyalität zu Leyla hin- und hergerissen, weil er sich nicht nur zu ihrem Ich in Fabiennes Körper, sondern auch zum Leyla-Körper hingezogen fühlt. Für Leyla hingegen ist der Körpertausch eine Offenbarung. Sie, die offensichtlich schon länger mit Depressionen kämpfte, entdeckt, dass es ihr in dem fremden Körper mit einem gesunden Hirnstoffwechsel schlagartig besser geht. Damit tun sich zwischen dem bisher innigen Paar auf einmal Gräben auf: Tristan will das Experiment abbrechen, doch Leyla graut davor – und sie wittert Morgenluft, als ihr der Geliebte des Vaters ihrer Freundin, der den Tod seines Partners nicht verwinden kann, anbietet, ihr seinen gesunden Körper zu überlassen.
Die Spannweite der Liebe
„Aus meiner Haut“ flirrt faszinierend zwischen verschiedenen Tonlagen. Obwohl sich die Inszenierung dramatische Zuspitzungen weitgehend verkneift und die Handlung ruhig entwickelt, auch durch die Musikgestaltung, die nur sparsam-punktuell mit sphärisch anmutender Chor-Musik Akzente setzt, sorgt dieses Changieren für latente Spannung. Lange lässt sich nicht genau vorhersagen, ob die Handlung ins Unheimliche kippen wird, wenn ein Hauch von „The Wicker Man“ über die Insel weht, oder ob der Film zur Körpertausch-Komödie tendiert, wenn Dimitrij Schaad als Macho-Figur ins Spiel kommt und dem überforderten Tristan in mehr als einer Hinsicht zu Leibe rückt.
Das Schillern zwischen den Genre-Tonlagen trägt zur allgemeinen Verunsicherung bei, die das Thema des Films ist: Was macht uns und die, die wir lieben, eigentlich aus? Und welche Spannweite hat eine Liebe, wenn sich Veränderungen einstellen? Anders als in der US-Serie „Altered Carbon“, in der Menschen ihr Bewusstsein auf futuristische Datenträger transferieren und in verschiedenste Körperhüllen implementieren können, geht „Aus meiner Haut“ das Körpertausch-Thema nicht im Sinne einer futuristischen Technologie an, sondern eher als spirituelle Herausforderung. Den Figuren wird Vertrautes fremd – der eigene Körper, aber auch der des/der Geliebten. Und es erfordert neue Anstrengungen in Einfühlung und innerer Beweglichkeit, um wieder zueinander zu finden. Mala Emde und Jonas Dassler sowie Maryam Zaree, Dimitrij Schaad und Thomas Wodianka, die Leyla und Tristan im Lauf des Films verkörpern, machen daraus eine anrührende Odyssee.