- RegieCem Kaya
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2022
- Dauer98 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- Empfehlung der Jugendfilmjury12 - 99
- IMDb Rating8.3/10 (497) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Sehnsucht, Erschöpfung, Einsamkeit, Traurigkeit, Enttäuschung, Wut: Die Musik, die die Arbeitsmigrant:innen seit Anfang der 1960er-Jahre aus ihrer türkischen Heimat mit nach Deutschland brachten, zeichnet ein emotional wechselvolles Bild des Lebens im Exil. „Alamanya, Alamanya, mit uns kannst du dich nicht anlegen“, heißt es in einem Lied des Protestsängers Aşık Metin Türköz, der als einer der ersten das Leben als „Gastarbeiter“ musikalisch dokumentierte. In seiner Klage erzählt er von den schönen Geschichten, die man über Deutschland hörte, und der Realität, die die gerade Angekommenen in Form eines schlechten Arbeitsvertrags und eines schäbigen Sechsbettzimmers erwartete – „Statt Federn gaben sie mir eine Strohmatratze. Bad und Toilette sind in der Fabrik, sagten sie.“
Lieder wie „Alamanya“ und „Mayestero“ fanden ein riesiges Publikum, Aşık Metin Türköz sang vor 3000 Arbeitern, seine Platte verkaufte sich 3 Millionen Mal. Nur das Land, das in den Liedern gemeint war, wusste davon nichts, wollte davon nichts wissen. Der Filmemacher Cem Kaya hat dieses von der Mehrheitsgesellschaft ignorierte Kapitel türkisch-deutscher Zeitgeschichte in einem Dokumentarfilm-Essay jetzt aufgearbeitet. Er führt damit die Pionierarbeit fort, die Bülent Kullukcu und Imran Ayata mit ihrer 2013 veröffentlichten Compilation „Songs Of Gastarbeiter“ begonnen haben.
1961 brachte das Anwerbeabkommen mit der Türkei die ersten Menschen zum Arbeiten nach Deutschland. Der Begriff „Gastarbeiter“ stellte dabei von vornherein klar, dass die dringend gebrauchten Arbeitskräfte sich erst gar nicht zu Hause fühlen sollten. Bereits in den Sprachkursen wurde die Markierung als „Andere“ festgeschrieben. „Ich bin fremd hier. Ich bin Ausländer.“ – „Sie sind nicht von hier?“ – „Nein, ich bin fremd hier, ich bin Ausländer.“
Akribisch durchforschtes Archivmaterial
Cem Kaya hat sich mit Leidenschaft und Akribie durch die Archive der öffentlich-rechtlichen Sender gearbeitet. „Liebe, D-Mark und Tod“ montiert das Material mit aktuellen Interviews – von passionierten Sammlern über die Betreiber eines Berliner Kassettenladens bis hin zu Musikerinnen wie der „Nachtigall von Köln“ Yüksel Özkasap und dem Bağlama-Virtuosen Ismet Topçu – zu einem dokumentarischen Essay, der bei aller Dichte einer Fülle von Themen und Menschen Raum gibt.
Die titelgebenden Begriffe Liebe, D-Mark und Tod verleihen dem Film eine lose Struktur und spannen einen Bogen vom Leben in der Fremde über die Entstehung neuer Distributionswege und Märkte (wie Hochzeiten und andere Feiern im großen Maßstab) bis hin zur Entstehung des deutsch-türkischen Hip-Hop der Nachwendezeit – als eine wütende Antwort auf den wachsenden Rassismus und die Welle an Hassverbrechen in den 1990er-Jahren (von Hoyerswerda bis Mölln und Solingen).
„Liebe, D-Mark und Tod“ ist ein Film der Fülle, des Überschwangs und der Vielfalt, spielerisch, klug und voller Drive. Cem Kaya würdigt musikalische Genres und Stile ebenso wie Arbeiterkämpfe und inzwischen verschwundene kulturelle Orte: etwa den „Türkischen Bazar“ an der Berliner Bülowstraße, wo sich neben Teppich- und Imbissläden und Geschäften für Tonband- und Videokassetten auch ein „Gazino“, eine Art Bar mit Livemusik, befand.
Kassetten aus Gemüsegeschäften
Als billiges und leicht kopierbares Medium war die Musikkassette untrennbar mit der musikalischen Kultur verbunden. Das in Köln ansässige türkische Musiklabel Türkyola, das 500 bis 600 Künstler:innen unter Vertrag hatte, machte zwei Drittel seines Umsatzes mit türkischen Musikkassetten. Zu kaufen gab es sie in Gemüsegeschäften und Import-Export-Läden, nicht aber in den von Deutschen betriebenen Plattenläden. Musiker:innen wie Cavidan Ünal, die „Diva von Europa“, oder Ozan Ata Canani, der wie das Duo Derdiyoklar seine gesellschaftskritischen Lieder zum ersten Mal auf Deutsch sang, kamen auch in der Medienlandschaft nicht vor. In der „Rudi Carrell Show“ war „der Türke“ gerade mal für einen wohlwollend gemeinten, aber rassistischen Schwank („Man kommt nur noch weiter durch Gastarbeiter“) gut.
„Liebe, D-Mark und Tod“ ist insofern auch die Revision einer unvollständigen Geschichtsschreibung. Deutschland war, wie es im Film einmal heißt, „aus Versehen“ längst ein Einwanderungsland geworden.