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Filmkritik
Manchmal genügt eine einzige gelungene Figur, um einen Film sehenswert zu machen. Captain Jack Sparrow, der überkandidelte Pirat aus Disneys jüngstem Abenteuerfilm „Fluch der Karibik“, ist so ein tragender Charakter. Mit geschminkten Augen und wilder Rasta-Mähne stolziert er eitel über die Hafenstege, als wäre er auf dem Catwalk. Er scheint nicht ganz ernst zu nehmen zu sein, eine Lachnummer mit motorischen Zuckungen, ein Luftikus voll donquichottesker Selbstüberschätzung. Doch bald aber stellt sich der skurrile Freibeuter als ebenso wort- wie degengewandt heraus und erweist sich als ein zwar kindisch selbstverliebter und undurchsichtiger, aber gleichzeitig auch heldenmutiger Einzelgänger. Der von den beiden „Shrek“- Autoren Ted Elliot und Terry Rossio so humorvoll und vielfältig gezeichnete schlechteste „beste Pirat aller Zeiten“ wird kongenial umgesetzt von Johnny Depp. Selten lässt sich so uneingeschränkt von einer Idealbesetzung sprechen. Depp, der bereits in Filmen wie „Dead Man“ (fd 31 716), „Don Juan De Marco“ (fd 31 474) oder „Sleepy Hollow“ (fd 34 116) sein Talent für die ironische Darstellung von unkonventionellen Helden auf die Leinwand brachte, verleiht dem extrovertierten Seeräuber eine so leibhaftige Aura, dass man sich ihr erst gar nicht entziehen möchte. Von Anfang an, als er äußerlich unbeeindruckt vom Segelmast einer kläglich unter ihm wegsinkenden Jolle mit stolzem Kapitänsschritt den Hafen des karibischen Gouverneurssitzes Port Royal betritt, zieht seine Gestalt in ihren Bann und mit ihr die gesamte Geschichte. Denn mit einer einzigen gelungenen Figur lassen die beiden Autoren und Regisseur Gore Verbinski es nicht bewenden. Zwar fallen Keira Knightley und Orlando Bloom, die in weiteren Hauptrollen vor allem für die – leider wohl unvermeidlich kitschige – romantische Komponente des Films zu sorgen haben, im Vergleich zu Depp etwas ab, doch mit Geoffrey Rush als Bösewicht Barbossa erhält Jack einen ausdrucksstarken Gegenspieler, und auch in den Schiffscrews und Nebenrollen tummeln sich etliche einprägsam komische Gestalten. Dass der Film üppig ausgestattet und opulent in Szene gesetzt ist, versteht sich bei einer Jerry- Bruckheimer-Produktion fast von selbst. Anders als häufig sonst in Bruckheimers Post- „Flashdance“-Produktionen (u.a. „Pearl Harbor“, fd 34 886; „Black Hawk Down“, fd 35 629) stellt sich die gigantische Filmmaschinerie diesmal jedoch nicht in den Dienst knallharter Action, patriotischen Pathos oder schonungsloser Kriegsdarstellung, sondern einer eher harmlosen unbeschwerten Märchengeschichte. Zwar werden auch in „Fluch der Karibik“ Schlachten geschlagen und Tode gestorben, aber fern ab der Realität in einer in sich geschlossenen fantastischen Welt.
Jack Sparrow war einst der Kapitän des berüchtigten Piratenschiffes „Black Pearl“, ehe er es durch eine Meuterei an den macht- und geldgierigen Barbossa verlor. Jetzt will er sein Schiff zurück. Und auch die Gerüchte darüber, dass die „Black Pearl“ längst nur noch von Untoten gesteuert würde und daher unbesiegbar sei, halten ihn nicht von seinem Plan ab. Da kommt es ihm gelegen, dass die „Black Pearl“ ausgerechnet Port Royal überfällt, und die hübsche Tochter des Gouverneurs von den Piraten entführt wird. Gemeinsam mit einem heimlichen Verehrer der Schönen kann er sich endlich auf die Jagd nach den Meuterern begeben. Doch nicht nur Sparrow wird dabei noch manche Überraschung erleben. Immer wieder erfährt der kurzweilige Plot eine unvorhergesehene Wendung, kommt es zu folgenschweren Verwicklungen. Doch anders als die Zuschauer verlieren die Autoren dabei nie den Überblick. Ein ums andere Mal lösen sie die Handlungsknoten geschickt wieder auf und führen das Kinopublikum zum roten Faden der Geschichte zurück.
Starke Charaktere, ein rasant erzählter, intelligent konstruierter Plot, eine humorvolle Erzählhaltung und die Fähigkeit, einen eigenständigen fiktionalen Kosmos zu eröffnen, machen „Fluch der Karibik“ zu einem der gelungensten Abenteuerfilme seit der „Indian Jones“- Serie. Und noch etwas verbindet die Mantel-und-Degen- Geschichte mit der vom waghalsigen Archäologen: die Nähe zu einem Computerspiele-Klassiker. Doch während die „Indian Jones Adventures“ erst nach den Filmen entstanden sind, erinnert „Fluch der Karibik“ nicht nur durch die humorvollfantastische Atmosphäre an die einst beliebte „Monkey Island“- Reihe von Lucas Arts. Ein betrunkener Schmied, ein Geisterpirat, eine entführte Gouverneurstochter und ein komischer Held: das alles konnte schon vor über einem Jahrzehnt bestaunt werden – meist allerdings nur in geringer Auflösung und auf flimmernden Monitoren. Wer sich damals gewünscht hatte, die pixeligen Abenteuer auch einmal auf der Großleinwand bestaunen zu können, der darf sich jetzt freuen. Wer allerdings schon als Kind nichts mit Piraten anzufangen wusste, der wird wohl auch am „Fluch der Karibik“ wenig Reizvolles entdecken können. Ansonsten aber kann es nur noch heißen: Leinen los und klarmachen zum Entern!