- RegieFrank Capra
- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Dauer113 Minuten
- GenreKomödie
- Cast
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Filmkritik
Frank Capras wichtigste Filme sind dem deutschen Kinopublikum weitgehend unbekannt. Erst das Fernsehen begann, diesen Nachholbedarf zu decken. Wollte man Capras Filme gattungsmäßig umschreiben, so stieße man bereits auf Schwierigkeiten; "sozialkritische Komödien" würde den Kern nicht vollends treffen. Ihr Thema ist im Grundzug gleichbleibend: Der sozial Schwache überlistet Großkapital und staatliche Autorität. Capras hinter lächelnder Fassade verborgene Gesellschaftskritik resultiert aus einer betont optimistischen Sympathie für den Kleinbürger. Seine ganze sozialkritische Konzeption lebt von diesem Optimismus und entfernt sich dadurch von jeder realen Konkretisierbarkeit. Das ist bei aller Liebenswertheit die Schwäche seiner Filme, freilich eine Schwäche, die zur Zeit nach der Weltwirtschaftskrise, als "It happened one night", "Mr. Deeds geht in die Stadt" und "Mr. Smith geht nach Washington" entstanden, nicht nur für Capra typisch war. Sie wirkt am wenigsten bestimmend in "Arsen und Spitzenhäubchen", weil Capra sich hier in erster Linie einer Karikatur von Modeerscheinungen in Literatur, Schauspiel und Film zuwandte und gleichzeitig seinem Thema des Kleinbürgertums einen anderen Akzent verlieh.
Mortimer Brewster, einst eingefleischter Junggeselle und Autor zahlreicher Bücher über die verderbliche Macht der Ehe, schickt sich an, eine Pastorentochter zu heiraten. Bevor er noch mit ihr in die Flitterwochen fahren kann, entdeckt er im Hause seiner beiden reizenden alten Tanten einen Herrn fortgeschrittenen Alters in der Fenstertruhe. Da besagter Herr auf ihn einen recht toten Eindruck macht, verschiebt Mortimer die geplante Reise, zunächst in der Vermutung, sein geistesverwirrter Bruder, der sich für Präsident Roosevelt hält, sei im Eifer eines Gefechts etwas zu weit gegangen. Nach einigem Tuscheln jedoch weihen ihn die Tantchen in ihr Geheimunternehmen "Näher zu Gott" ein: Schon elf alte alleinstehende Herren haben sie mittels arsenhaltigem Holunderbeerwein von ihrer Einsamkeit erlöst und im Keller feierlich bestattet. Über diese Entwicklung der Dinge zutiefst beunruhigt, muß Mortimer auch noch mit seinem zweiten, aus dem Irrenhaus entsprungenen Bruder Jonathan vorlieb nehmen, der mit einer Visage wie Frankenstein und einem zitternden Faktotum von Quacksalber als Begleiter, ebenfalls zwölf Männer auf dem Gewissen, bei den allerseits geachteten Tanten Unterschlupf sucht...
Bis heute ist "Arsen und Spitzenhäubchen" der Klassiker im Genre der Mörderkomödien geblieben. Er parodiert gleichermaßen brillant die Mode der Gruselfilme wie die unterschwellige Freude des Publikums an behaglich genossenem Nervenkitzel, die nicht nur Dutzenden von Filmen, sondern auch einer ganzen - vorwiegend angelsächsischen - Literaturgattung zum Erfolg verhalf. Darüber hinaus rückt Capra dem von ihm bevorzugten Kleinbürgertum mit einer prächtigen Persiflage zu Leibe. Auch hier trennt er sich nicht von dem optimistischen Glauben an die Selbstbehauptung des kleinen Mannes, aber er versieht diese gleichzeitig mit allen Kennzeichen des Absurden. Die Typen, die er vorstellt - vom Vorortpolizisten über den Doktor bis zum Richter und Irrenarzt - treffen in den knappen Strichen der Karikatur einen gemeinsamen Wesenszug: Güte und Einfalt als bewegende Kennzeichen eines selbstzufriedenen Daseins, an dessen Beharrlichkeit der Lärm der großen Welt abprallt und das für jedes Problem eine einfache Lösung bei der Hand hat. Diese schon zum Zeitpunkt der Entstehung des Films mit allen Anzeichen äußerer Antiquiertheit versehene Dar-Stellung des kleinbürgerlichen Milieus inkarniert sich in den Figuren der ältlichen Tanten und der gar nicht so belanglosen Gestalt des Taxichauffeurs, der Tag und Nacht vor dem Haus auf seinen Fahrgast wartet, der sogleich wiederzukommen versprach.
Die Welt Frank Capras zeigt sich auch in diesem Film dem Märchen verwandt: Sie will nicht Realität sein, sondern Realität spiegeln. Personen, Zustände und Ereignisse sind flächig und einseitig gezeichnet; die persiflierende Überpointierung der Situation soll der befreienden Erheiterung über verborgene Schwächen dienen. Das Ganze würde naiv und platt wirken, gelänge es Capra nicht, durch Anwendung künstlerischer Mittel ein Milieu zu schaffen, das selbst die Naivität in sich als logisch erscheinen läßt. Darin ist er Chaplin oder mehr noch Keaton verwandt, wie er denn auch nicht selten zu Mitteln greift, die eindeutig aus der Slapstick-Komödie bezogen sind. Darunter nimmt der in verschiedensten Spielarten vorkommende Verfremdungseffekt eine besondere Rolle ein. Etwa wenn Mortimer während der wüsten Schlägerei bei Jonathans Festnahme geistesabwesend auf der Treppe hockt und seelenruhig mit dem Irrenhaus zu telefonieren sucht, während ihm Stuhlbeine und Scherben nur so um die Ohren fliegen. Die erheiternde Verfremdung des grausigen Geschehens steigert sich zum Gag, als Mortimer sich über eine völlig wirklichkeitsferne Theateraufführung ereifert, in der die Hauptperson nicht einmal merkt, daß ihr Mörder mit der Schlinge hinter ihr steht, während sich hinter Mortimers Rücken gerade dasselbe vollzieht. In solchen Augenblicken projiziert Capra genau jene wohlig-amüsante Lehnsesselfurcht in die Szene, die dem Zuschauer nicht nur das karikierte Gruselstück, sondern ebenso das einfältig sorglose Verhalten eines Menschenschlags vor Augen führt, der das Gewitter selbst am Donner noch nicht erkennt, und schließlich die eigene Freude am Mißgeschick und endlichen Triumph des naiven Helden. Die filmischen Mittel, deren sich Capra hierzu bedient, sind denkbar einfach. Er arbeitet mit kurzen, präzis auf die jeweils dialogwichtige Person bezogenen Einstellungen, wiederholt bei sich wiederholenden Situationen die schon gewohnten Perspektiven und akzentuiert durch Großaufnahmen und wirkungsvolle, ebenfalls kurze Kamerafahrten. Der Raum, so sorgsam er im Detail auch ausgestattet ist, gewinnt Aufmerksamkeit nur in wenigen handlungswichtigen Gegenständen: der Fenstertruhe, der Standuhr, der Weinkaraffe und der Kellertür. Die Welt Capras in "Arsen und Spitzenhäubchen" stellt sich durch die Art der filmischen Gestaltung trotz der Vertrautheit der aus ihr reflektierten Wirklichkeit als eine ebenso irreale Welt dar wie etwa die Edgar Allan Poes. In seinem Genre steht dieser Film auf einsamer Höhe. Daß er jetzt eine dem Original adäquate, meisterliche Synchronisation erfahren hat, darf dankbar am Rande notiert werden.
Besprechung aus Heft 35/1952:
Der Film ist eine geistvolle Satire auf die Kriminal- und Gruselfilme im allgemeinen und auf die psychoanalytischen und pathologischen Filme im besonderen. Der Fassade nach ist er selbst ein Gruselfilm, dessen Leichen ausreichen, ein Dutzend Gangsterfilme zu versorgen. Da leben in einem idyllischen Häuschen zwei reizende, wegen ihrer Wohltätigkeit allgemein geschätzte alte Tanten, die seit Jahren- aus Wohltätigkeit.- alleinstehende ältere Herren von der Qual des Erdenlebens befreien, indem sie ihnen arsenhaltigen Holunderwein kredenzen. Zwölf Leichen haben sie mit Hilfe ihres Neffen, der sich für Teddy Roosevelt hält, bereits im Keller verscharrt, als ein zweiter Neffe (Gary Grant) ihrem Treiben auf die Spur kommt. Bald gesellt sich auch der dritte Neffe zu ihnen, ein entsprungener Irrenhäusler, der ebenfalls, aber weniger sanft als seine Tanten, ein Dutzend Menschen ins Jenseits befördert hat. Bis die Handlung unter vorwiegend passiver und komischer Mitwirkung der Polizei und eines obskuren Arztes (Peter Lorre) zum "glücklichen" Ende geführt ist, haben alle angeschnittenen Motive, Themen und Institutionen ihre parodistisch-satirischen Hiebe reichlich abbekommen, so daß man als Zuschauer zuletzt den Eindruck gewinnt, daß es kaum eine wirksamere innere Abwehr gegen die ernstgemeinten sadistischen und pathologischen Filme gegeben hätte als das befreiende Lachen, das diese prachtvolle, mit allem artistischen Raffinement inszenierte und gespielte Filmkomödie ununterbrochen hervorruft.